Die Namensbezeichnung von Straßen und Plätzen stellt seit dem 19. Jahrhundert insbesondere auch in Deutschland eine weit verbreitete Form der Erinnerungskultur dar. Meistens sind es Personen, deren Erinnerung mittels einer Platz- oder Straßenbenennung wach gehalten werden soll, manchmal sind es auch bestimmte Orte oder besondere Ereignisse. Platz- oder Straßenbezeichnungen eröffnen jeweils zwei geschichtliche Ebenen: Einmal geht es dabei um den Straßennamen selbst mit seiner Funktion des tagtäglichen plakativen Erinnerns. Zum anderen spiegeln einzelne Namensbezeichnungen oft auch die Zeitumstände wider, in denen sie ausgewählt, vergeben oder – in besonderen Fällen – ersetzt wurden. Fast immer sind Straßenbenennungen politisch motiviert. Eine einzelne Person oder eine Gruppe von Personen, die einen Vorschlag für einen Straßennamen macht, verfolgt damit in der Regel ein bestimmtes Ziel. So hat zum Beispiel der Freisinger Stadtrat aktuell beschlossen, die sechs Planstraßen im neuen Stadtquartier „Steinpark“, das auf dem Areal einer NS-Kaserne von 1936 errichtet wird, nach Personen zu benennen, die sich während und kurz nach dem Ende des NS-Regimes positiv hervorgetan haben. Es ließen sich unzählige Beispiele für Diskussionen um Freisinger Straßenbenennungen seit dem beginnenden 20. Jahrhundert anführen. Die historischen wie auch die aktuellen Fälle machen dabei deutlich, dass es sich bei Straßenbezeichnungen häufig um eminent politische Erinnerungsorte handelt.
Auch die nationalsozialistische Diktatur verstand es gut, den plakativen Effekt und die politische Aussagekraft von Straßen- und Platzbezeichnungen für ihre Zwecke zu nutzen. Vor allem in den ersten Jahren nach der Machtübernahme 1933 kam es im Deutschen Reich flächendeckend zu Um- und Neubenennungen. Eine zentrale Rolle spielte hier die Verwendung von Namen hoher NS-Funktionäre sowie militärgeschichtlich (vermeintlich) bedeutender Personen. Darüber hinaus wurden häufig auch Namen von (im Sinne der NS-Ideologie) aussagekräftigen Orten und Ländern herangezogen, so etwa Namen mit dem Versailler Vertrag (1919) abgetretener Gebiete. Die Umbenennung betraf oft zentrale Plätze und Straßenzüge im historischen Stadtkern oder im Umfeld von Bahnhöfen, insgesamt also prominente und stärker frequentierte Bereiche. Nach der Logik der NS-Ideologie mussten zudem die Straßenbezeichnungen nach Personen jüdischer Herkunft, nach Repräsentanten der Demokratie sowie nach kirchlichen Personen ersetzt werden.
Für die Um- und Neubenennungspraxis in kleineren Städten während der NS-Zeit kann man die Stadt Freising als aussagekräftiges Beispiel aufführen. In den Jahren von 1933 bis 1938 lassen sich hier viele Um- und Neubenennungsinitiativen durch die lokalen Machthaber, allen voran NS-Kreisleiter und Oberbürgermeister Carl Lederer, feststellen. Im Folgenden wird versucht, die einzelnen für Freising belegten Straßennamen der NS-Zeit nach thematischen Gruppen zu ordnen.
Bezeichnungen nach hochrangigen NS-Funktionsträgern
Bereits wenige Wochen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Freisinger Rathaus (23. März 1933) beschäftigte sich der Stadtrat in der Sitzung vom 10. Mai 1933 mit dem Thema der Straßenumbenennung. Dabei wurde „einmütig“ beschlossen, „dass die Hauptstrasse in Freising in ihrer ganzen Länge künftig als „Adolf Hitlerstrasse“ bezeichnet werden soll.“ In der Ausführung wurde dieser Beschluss jedoch etwas modifiziert: Während von den drei historischen Teilen der Freisinger Hauptstraße (Obere Hauptstraße, Mittlere Hauptstraße, Untere Hauptstraße) der obere und der mittlere Teil tatsächlich eine Benennung nach Adolf Hitler (1889-1945) erfuhren, wurde der untere Teil mit der neuen Bezeichnung „Hindenburgstraße“ – nach dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg – versehen. Nach einem weiteren NS-Spitzenfunktionär, Adolf Wagner (1890-1944), wurde der innere Teil der Gartenstraße benannt. Er fungierte als Leiter des NS-Gaues München-Oberbayern, zu dessen Zuständigkeitsbereich auch der Stadtkreis Freising gehörte.
Eine geplante „Hermann-Göring-Straße“ (am nördlichen Teil der Asamstraße) wurde nicht realisiert.
Bezeichnungen nach NS-Ideologen
Auch in Freising wurde versucht, die Erinnerung an den deutschen Dichter Heinrich Heine aufgrund dessen jüdischer Herkunft zu tilgen. Im hinteren, westlichen Bereich der ab 1920 errichteten Goldberg-Siedlung lag (und liegt) die Heinestraße. Sie wurde in „Dietrich-Eckart-Straße“ umbenannt. Dietrich Eckart (1868-1923) war schriftstellerisch tätig, zudem ein Gründungsmitglied der NSDAP und früher Mentor Adolf Hitlers.
Bezeichnungen nach „Blutzeugen“
Eine zentrale Rolle bei den Umbenennungsmaßnahmen durch die Nationalsozialisten stellte die Gruppe der sogenannten „Blutzeugen“ oder „NS-Märtyrer“ dar. Als solche wurden Mitglieder der NSDAP oder ihrer Unterorganisationen bezeichnet, die an der Durchsetzung der NS-Ideologie beteiligt waren, dabei gewaltsam ihr Leben verloren und posthum von der NS-Propaganda als „Märtyrer“ für die nationalsozialistische Sache stilisiert wurden.
In Freising wurden vergleichsweise viele Straßenzüge nach „Blutzeugen“ benannt: Die Bahnhofstraße erhielt die Bezeichnung „Horst-Wessel-Straße“, nach dem SA-Sturmführer Horst Wessel (1907-1930), dem Verfasser des später nach ihm benannten SA-Kampfliedes. Die Fabrikstraße hieß fortan „Herbert-Norkus-Straße“; der Hitlerjunge Herbert Norkus (1916-1932) war – wie Horst Wessel – von Kommunisten getötet worden. Nach dem Münchner SA-Mitglied Georg Hirschmann (+ 1927) hatte man die spätere Kesselschmiedstraße bezeichnet. Albert Leo Schlageter (1894-1923) wurde 1923 von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet; er hatte als Angehöriger der NS-nahen Großdeutschen Arbeiterpartei mehrfach terroristische Anschläge auf Einrichtungen der Ruhr-Besatzung verübt. In Freising wurde die nachmalige Goethestraße nach ihm benannt.
Eine eigene Gruppe der „Blutzeugen“ bildeten die im Zusammenhang mit dem Hitlerputsch am 8./9. November 1923 gewaltsam ums Leben gekommenen Nationalsozialisten. Vor allem die Straßen der 1936 bis 1938 errichteten Siedlung „Eichenfeld“ erhielten entsprechende Straßennamen: nach Theodor Casella (1900-1923), Karl Kuhn (1897-1923), Karl Laforce (1904-1923) und Theodor von der Pfordten (1873-1923). Weitere Straßennamen nach „Blutzeugen“ waren in Lerchenfeld zu finden: die „Kurt-Neubauer-Straße“ (später „Rabenweg“) nach dem Putschisten Kurt Neubauer (1899-1923) sowie die „Andreas-Bauriedl-Straße“ (später „Meisenstraße“) nach Andreas Bauriedl (1879-1923).
Personen in bedeutenden Staatsämtern
Wie weiter oben bereits erwähnt erhielt der untere Teil der Freisinger Hauptstraße die Bezeichnung „Hindenburgstraße“, nach dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg (1847-1934). Die Bezeichnung wurde auch nach dessen Tod 1934 und der Absorption des Amtes des Reichspräsidenten durch Adolf Hitler beibehalten.
Personen der deutschen Geschichte
Eine neue Straße am Nordrand Neustifts erhielt 1937 den Namen „Bismarckstraße“. Der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) gehört zu denjenigen Personen der deutschen Geschichte – wie beispielsweise auch Kaiser Friedrich I. Barbarossa oder König Friedrich II. von Preußen –, die von der NS-Propaganda häufig für ihre politischen Zwecken missbraucht wurden.
Personen aus dem militärischen Bereich
Eine Reihe (mehr oder weniger) bedeutender Namen aus dem militärischen Bereich wurde ebenfalls für die Bezeichnung von Freisinger Straßen während der NS-Zeit herangezogen. Die neue Straße, die die 1936 errichtete Artillerie-Kaserne, die spätere „General-von-Stein-Kaserne“, südlich begrenzte, wurde zunächst mit dem Namen „Von-Blomberg-Straße“ versehen. Als der Namensgeber, Reichswehrminister und Generalfeldmarschall der Wehrmacht Werner von Blomberg (1878-1946), 1938 bei Hitler in Ungnade fiel, reagierte man auch vor Ort; die Straße wurde nunmehr in „Von-Stein-Straße“ umbenannt, nach dem bayerischen Artillerie-General Hermann Freiherr von Stein (1859-1928). Die westlich parallel zur Neustifter Wiesenthalstraße verlaufende Straße erhielt 1937 den Namen „Moltke-Straße“; hier ist unklar, auf welche Person dieses Namens sich die Straßenbezeichnung bezieht; infrage kommen Helmuth Karl Bernhard von Moltke (1800-1891), preußischer Militärstratege während des deutsch-dänischen Krieges 1864, des preußisch-österreichischen Krieges 1866 und des deutsch-französischen Krieges 1870/71, sowie dessen Neffe Helmuth Johannes Ludwig von Moltke (1848-1916), Generaloberst der preußischen Armee bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs. Mit Ausnahme von Blombergs haben diese Personen nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun.
Schriftsteller der Epoche der Napoleonischen Kriege
Mit einem Schreiben des Städtischen Kulturamtes Freising an das für die Um- und Neubenennungen zuständige Stadtbauamt vom 5. Juni 1935 wurden mehrere diesbezügliche Vorschläge gemacht. Ein handschriftlicher Vermerk führt unter der Überschrift „Freiheitsdichter“ die Namen Max von Schenkendorf (1783-1817), Ernst Moritz Arndt (1769-1860) und Theodor Körner (1791-1813) auf. Alle drei haben sich schriftstellerisch gegen die französische Fremdherrschaft und für die Mobilisierung der (im Entstehen begriffenen modernen) deutschen Nation eingesetzt. Ihre Namen wurden auch andernorts im Sinne der NS-Ideologie missbraucht. Eine Straßenbezeichnung erfolgte schließlich jedoch nur nach Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner, beide Straßen befinden sich in Neustift.
Bezeichnungen nach Orten mit besonderer Bedeutung für die NS-Ideologie
Unter diese Kategorie fallen in Freising lediglich zwei Straßen: Die südlich der Vimy-Kaserne verlaufende „Prinz-Arnulf-Straße“ wurde in „Vimystraße“ umbenannt (ebenso auch die alte „Jäger-Kaserne“ in „Vimy-Kaserne“); damit sollte an die im Frühling und Sommer 1915 stattgefundene, unter dem Befehl von Kronprinz Rupprecht von Bayern stehende „Lorettoschlacht“ bei Vimy/Artois im Nordosten Frankreichs erinnert werden.
Die die Gartenstraße mit der Münchner Straße verbindende und an der Protestantischen Kirche vorbeiführende „Kreuzstraße“ erhielt während der NS-Zeit den Namen „Saarstraße“. Hintergrund für diese Umbenennung dürften die offene „Saarfrage“ und die damit verbundenen Vorbereitungen zur Volksabstimmung über die künftige Zugehörigkeit dieses seit 1920 von Frankreich besetzten Landes gewesen sein; bei der Abstimmung am 13. Januar 1935 stimmten schließlich 90,73 % für eine Zugehörigkeit zu Deutschland.
Nach der Befreiung der Stadt Freising durch die U.S.-Armee am 29. April 1945 wurden zügig Entnazifizierungs- und Entmilitarisierungsmaßnahmen eingeleitet. Dies betraf auch die Bezeichnungen von Freisinger Straßen. U.S.-Stadtkommandant Captain Albert G. Snow gab unterm 3. August 1945 den von der U.S.-Besatzung ausgegebenen Befehl an Bürgermeister Emil Berg weiter, wonach die „Namen aller Parks, Strassen oder öffentlichen Wege, Institute, Gebäude (in öffentlichen oder Privatbesitz), oder Industrievereinigungen in der amerikanischen Besetzungszone, welche nach einer Person oder Sache benannt sind, die entweder mit Nationalsozialismus oder mit deutschem Militarismus, wie sie hierin definiert werden, verknüpft sind […]“, entfernt werden müssen. Zusätzlich wurde erklärt, dass unter „Personen, die mit dem Nationalsozialismus oder dem deutschen Militarismus verknüpft sind“, solche gemeint seien, die in irgendeiner Weise mit der NSDAP oder deren Unterorganisationen freiwillig zusammengearbeitet hatten; der Begriff „Deutscher Militarismus“ bezöge sich dabei auf alle „Personen, Schlachten, Feldzüge und Einrichtungen, die mit deutschem Militarismus nach dem 1. Januar 1933 verknüpft sind“.
Im Folgenden kam es auch in Freising wiederum zu etlichen Umbenennungen. Mehrere Straßennamen, die während der NS-Zeit eingeführt wurden und auch in einen – mehr oder weniger starken – ideologischen Zusammenhang eingebettet waren, hatte man jedoch beibehalten, weil sie die oben genannten Kriterien der U.S.-Besatzung für die Umbenennung nicht erfüllten.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom März 2014.
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