Jahrelang haben sich die beiden alten Villen an der Münchner Straße hinter hohen Hecken und Zäunen versteckt. Seit kurzem sind die Bäume und Büsche verschwunden und jetzt kann sie jeder sehen: Die eine ganz grau und erbärmlich zugerichtet, die andere hellgelb und noch ganz ansehnlich. Im Januar sollen sie abgerissen werden. Auf dem Grundstück wird ein modernes Wohnquartier entstehen. Die beiden Häuser, von denen eines in der Bayerischen Denkmalliste geführt wurde, haben eine interessante Geschichte zu erzählen. Sie gehörten einst Ludwig Petuel, einem gebürtigen Freisinger und erfolgreichen Münchner Geschäftsmann.
Auf der Spurensuche nach den Villen finden sich im Stadtarchiv Freising mehrere Aufzeichnungen, die der Freisinger Franz Bichler über die Häuser an der Münchner Straße zusammengetragen hat. Darunter ein Magistrats-Erlass vom Mai 1903, der dem „Herrn Rentier L. Petuel in München gehörig“ den Bezug der „neuerbauten Villa“ an der Münchner Straße erlaubt. Außerdem darf Petuel auf seinem Anwesen ein Gartenhaus bauen, später auch ein „Magdhaus“. Das Freisinger Adressbuch aus dem Jahr 1907 weist ihn als Besitzer beider Villen aus. Der erfolgreiche Geschäftsmann Ludwig Petuel konnte sich mehrere Häuser samt Personal gut leis-ten – und auch einen guten Architekten. Noch ist zu ahnen, wie schön die beiden Häuser mit ihren Erkern, Rundbögen, kleinen Säulen und dem geschwungenen schmiedeeisernen Zäunen einmal waren. Wie Stadthistoriker Florian Notter herausgefunden hat, wurden die Baupläne von Johann Baptist Grässel unterzeichnet. Grässel war zu seiner Zeit ein prominenter Architekt in München. Zwei seiner Häuser im Münchner Lehel, die um 1891 im Stil der Neurenaissance entstanden sind, gelten als Baudenkmale.
1911 ist Ludwig Petuel gestorben und die beiden Freisinger Villen wurden verkauft. Das Haus Nummer 26 – damals als „Villa Augusta“ bezeichnet – hat es schlecht getroffen. Das Gebäude mit dem stolzen Turm wurde laut seinen Unterlagen bereits 1932 öffentlich versteigert. Schon seit Jahren ist die Villa völlig verwahrlost, zerstört. Alle Fenster sind eingeschlagen, der Putz völlig abgebröckelt, Türen herausgerissen, das Mauerwerk voll Moos. Das Nachbarhaus mit Nummer 24 hielt sich dagegen ganz gut. Die Mauern sind in einem freundlichen Gelb gestrichen, die rötlich eingefassten Fenster mit den grauen Läden haben immer noch Vorhänge. Dieses Haus stand bis vor einigen Jahren auf der Bayerischen Denkmalliste. Die offizielle Bezeichnung dort lautete: „Villa, zweigeschossiger Mansardenwalmdachbau mit Erkern und Zierbalkon, erbaut 1900/01; Nebengebäude, kleiner Schopfwalmdachbau mit seitlich angeschlossenen Flügeln; Einfriedung, massive Pfosten mit eisernen Gittern.“ Jetzt soll das gesamte Gelände in ein modernes Wohnquartier umgewandelt werden. Dafür müssen die beiden Petuel-Villen weichen. Das Gebäude liegt innerhalb eines rechtsgültigen Bebauungsplans und dort ist die Villa bereits im Jahr 1994 „als abzubrechendes Gebäude“ festgesetzt worden.
Mit den beiden Villen verschwinden auch zwei Zeitzeugen, die an eine Freisinger Brauerfamilie erinnern. Ludwig Petuel sen. ist am 19. August 1839 in Freising geboren. Im Stadtarchiv findet sich eine ganze Mappe mit Dokumenten, darunter der Taufschein. Daraus geht hervor, dass Ludwigs Vater Thomas Petuel der Freisinger Hacklbräu (heute Anwesen General-von-Nagel-Straße 6) gehörte. In dem Gebäude befinden sich heute die Altstadtgalerien mit Cafés und kleinen Läden. Auch Mutter Rosina Petuel kam aus einer bekannten Freisinger Familie: Sie war eine geborene Sporrer, ihre Familie besaß einst das Hotel „Bayerischer Hof“. Ludwig Petuel war offensichtlich ein ausgezeichneter Schüler. Ein Zeugnis bescheinigt dem Freisinger Brauersohn: „Fähigkeiten: sehr viele. Fleiß: sehr groß. Fortgang: sehr gut. Betragen: sehr lobenswürdig.“ Nach dem Tod von Thomas Petuel im Jahr 1861 ist Ludwig der Haupterbe. Laut Vertrag wird ihm unter anderem Folgendes übergeben: Der Hacklbräu samt Lagerkeller am Büchl und an der Vöttinger Straße, mehrere Grundstücke in Attaching und Tüntenhausen, ein Wald bei Itzling sowie ein großes Grundstück im Landkreis Erding im Wert von 66.000 Gulden. Ludwig Petuel machte etwas aus seinem Geld: Mit 29 Jahren zog er nach Milbertshofen, erwarb auch dort mehrere Grundstücke und errichtete eine Brauerei. 1877 baute er in München die „Schwabinger Brauerei“ mit Gaststätte und Biergarten. Heute steht dort das Karstadt-Kaufhaus an der Münchner Freiheit. Von 1870 bis 1875 war Ludwig Petuel sogar Bürgermeister von Milbertshofen. Er gründete die Fahrradwerke Riesenfeld. Seine „Motorwagen-Gesellschaft München“ betrieb eine der ersten Omnibusverbindungen in Deutschland. Darüber hinaus finanzierte die „Petuel´sche Terraingesellschaft“ den Bau von Straßen in der Landeshauptstadt. 1911 verstarb Ludwig Petuel als Ehrenbürger von Milbertshofen.
Auch Ludwig Petuel jun., geboren 1870, war sehr geschäftstüchtig. Er führte bis 1910 den „Schwabinger Bräu“, betrieb eine Tapetenfabrik sowie einträchtige Grundstücksgeschäfte. Seine Ehe mit Karolina Meitinger blieb kinderlos und so vermachte das Paar sein Vermögen der Stadt München. 1959 wurde der „Stiftungsfonds Ludwig und Lina Petuel“ gegründet, mit einem Vermögen von damals rund einer Million Mark und vielen Immobilien. Die Stiftung unterstützt bis heute ältere und körperbehinderte Menschen und gilt als größte Privatstiftung Münchens.
Ludwig Petuel sen. und Ludwig Petuel jun. sind beide am Münchner Nordfriedhof begraben. Der Name Petuel ist in München fast allgegenwärtig: Dort gibt es den Petuel-Ring und eine gleichnamige U-Bahn-Station, den Petuel-Tunnel, eine Petuelstraße und seit 2003 zwischen Schwabing und Milbertshofen auch den Petuel-Park. In Freising erinnert immerhin die Petuelstraße an die bekannte Familie. Die Straße liegt in Lerchenfeld. Auch hier sollen die geschäftstüchtigen Petuels fleißig mit Grundstücken gehandelt haben.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Januar 2014.
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