Ein längst untergegangenes Gebäude
Das fürstbischöfliche Grottenhaus auf dem Domberg

Künstlich angelegte Grotten (ital. „grotta“=Höhle) gehören zum festen Repertoire der Architektur der Renaissance und des Barocks (16. bis 18. Jahrhundert). Derartige Bauten wurden innerhalb unzähliger Schloss-, Villen- und Klosteranlagen Europas errichtet, oft im Bereich des Hauptgebäudes, zumeist aber in einem separaten Bau im dazugehörigen Garten. Mit großem architektonischen und finanziellen Aufwand versuchte man, den stimmungsvollen, mitunter mystisch aufgeladenen Charakter einer natürlichen Grotte nachzuahmen, in vielen Fällen auch zu überzeichnen und zu abstrahieren. Einfache Mittel wie Bruchstein oder bemalte Putze kamen ebenso zum Einsatz wie beispielsweise Buntglas, Silber, Gold und von weit her angekaufte Muschel- und Schneckenschalen, mit welchen die Wände überzogen wurden. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Umgang mit Licht und Wasser, beides für die Gesamterscheinung einer Grotte entscheidende Elemente. Trotz vieler Verluste hat sich eine stattliche Zahl dieses gleichermaßen eigentümlichen wie faszinierenden Bautypus‘ erhalten, im Umkreis Freisings zum Beispiel in der Münchner Residenz (1583ff.) oder im Schloss Neuburg an der Donau (1667 fertiggestellt).
Seinen Ursprung hatte das frühneuzeitliche Interesse an Grottenanlagen in der Auseinandersetzung mit der römischen Antike. Ausgrabungen wie beispielsweise im Bereich von Neros berühmter domus aurea in Rom oder Hadrians Villa bei Tibur (Tivoli) führten zur Wiederentdeckung des Typus‘ Grotte und förderten zugleich wichtige Erkenntnisse über dessen Architektur und Ausstattung zutage. Dass es infolge der Entdeckungen zur Errichtung zahlreicher neuer künstlicher Grotten kam – zunächst im italienischen Raum, schließlich immer weiter darüber hinaus –, ist auf die allgemeine Mode, die römische Antike zu rezipieren, aber auch auf den mystischen Charakter und die aufwändige und somit repräsentative Gestaltung von Grotten zurückzuführen. Die Ausgestaltung konnte stark variieren: von Grotten, bei denen man sich weitgehend an natürlichen Vorbildern orientierte bis hin zu Grottenräumen, die fest in das Gefüge einer übergeordneten architektonischen Struktur (z.B. in die Raumdisposition eines Schlosses) integriert waren (oft nicht weit entfernt vom Typus der „Sala terrena“).

In Freising wurde – nach derzeitigem Kenntnisstand – ein erster Grottenbau im ab 1663 angelegten fürstbischöflichen Hofgarten an der (nachmaligen) Kammergasse aufgeführt. Die Steine hierfür hatte der Bauherr, Fürstbischof Albrecht Sigismund von Bayern (reg. 1651-1685), im Dezember 1663 bei Propst Bernhard Glas von Weyarn (reg. 1660-1671) geordert; der Transport erfolgte kurz darauf bis München auf dem Landweg, von dort aus auf Isarflößen weiter bis nach Freising. Wo genau die Grotte gestanden und wie sie ausgesehen hatte, wissen wir nicht, denn spätestens mit der umfassenden Umgestaltung des Hofgartens 1720/21 wurde sie abgebrochen.

Über einen zweiten fürstbischöflichen Grottenbau sind wir wesentlich besser informiert, da sich hierzu mehrere Schrift- und Bildquellen erhalten haben (vgl. Abb.). Das Gebäude lag an der äußersten Südspitze des Dombergs, genau dort, wo man in die heutige Tiefgarage einfährt. Nach einer detaillierten Planzeichnung aus der Säkularisationszeit 1802/03 handelte es sich dabei um einen pavillonartigen Bau auf rechteckigem Grundriss, der drei Geschosse besaß: zwei an die obere – wahrscheinlich noch mittelalterliche – Hangmauer anstoßende kleinere Räume (einer davon als Kapelle genutzt), darüber, als drittes Geschoss, der quadratische Grottensaal, der auf das Plateau des Residenzgartens reichte. Bei der Dachform handelte es sich um das für die Freisinger Architekturlandschaft des 18. Jahrhunderts sehr seltene Mansarddach.

Es ist im Moment nicht zu ermitteln, wann genau das Gebäude errichtet wurde. Bereits auf Stadtansichten des späten 17. Jahrhunderts ist an der topographisch auffallenden Stelle ein Gebäude zu erkennen. Erstmals einwandfrei identifizierbar als dasjenige Gebäude, das uns die obige Planzeichnung wiedergibt, ist es auf einem Schabkunstblatt der Brüder Klauber, das um die Mitte des 18. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Die beiden Stadtansichten des Freisinger Hofmalers Johann Baptist Deyrer zeigen es recht deutlich (zu dessen Ansicht von Osten vgl. Abb.), auch auf diversen Darstellungen der Zeit um 1800 tritt der Bau in seinem bekannten Erscheinungsbild klar hervor.

Den besten Einblick in die Funktion und Gestalt des Gebäudes erhalten wir über die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv verwahrten Rechnungen der Jahre 1772 bis 1775, in denen die Umbau- und Renovierungsmaßnahmen im Auftrag Fürstbischof Ludwig Josephs von Welden (reg. 1769-1788) detailliert niedergeschrieben sind. Der Umbau zielte auf die Erneuerung des Wasserwerks der Grotte, die Instandsetzung und teilweise Neugestaltung der Innenausstattung sowie den Bau einer Traillage (mit Gittern eingehauste Terrasse) östlich des Grottenhauses. In diesem Zusammenhang ist zu fragen, seit wann der obere Raum tatsächlich als Grottensaal genutzt wurde. In den Inventaren des Residenzgartens, einer seit dem späten 17. Jahrhundert nachweisbaren und ab dem Jahr 1740 nach und nach aufgelösten Gartenanlage, die sich zwischen dem oberen Marstall und der südlichen Hangkante befand, wird mehrmals ein „Sommerhaus“ mit einem darin befindlichen „Sahl“ erwähnt; auch ein „herundter Zimer“ ist dort aufgeführt. Möglicherweise ist dieses Sommerhaus mit Saal und einem darunter liegenden Raum mit dem späteren Grottenhaus identisch; zu einem unbekannten Zeitpunkt hätte es dann durch den Einbau eines Wasser- und Grottenwerkes eine Nutzungsänderung erfahren.

Zurück zur Renovierung 1772 bis 1775 und den darüber verfassten Rechnungen, die uns ein Bild vom (letzten) Aussehen des Gebäudes geben können. Die Durchführung der in dieser Zeit getätigten Arbeiten lag in Händen einer relativ großen Gruppe an Hand- und Kunsthandwerkern, die teilweise auch am Freisinger Hof angestellt waren (Hofhandwerker), darunter Hofmaurermeister Floßmann, Hofzimmermeister Heylmayr, Hofkupferschmid Asam, Hofschlosser Galleutner, Hofglaser Aicher. Besondere Aufgaben hatte der kurfürstliche Grottenmeister Joseph Joch aus München zu bewältigen: Er richtete den oberen Raum wiederum als Grotte ein, wozu er 100 Stück „Korallen“, 2.000 Stück „Lauben“, „Muschln“, „Auster Schallen“, „Schnegen“ und „Silber Müschl“ mitbrachte. Diese Stücke wurden in den feuchten Putz eingedrückt und damit die Wände des Raumes überzogen. Der Freisinger Hofsteinmetz Johann Nepomuk Einsele polierte die dortigen Wasserschalen und pflasterte den Grottensaal mit Solnhofer Platten neu. Hofbrunnmeister Anton Osl verlegte etliche neue Bleideicheln und schloss damit das Grottenwerk an das Wasserversorgungssystem des unter dem Domberg gelegenen Hofbrunnhauses an; die vier auf der Planzeichnung dargestellten Brunnen konnten also automatisch mit Wasser gefüllt werden, dessen Ableitung erfolgte über ein eigenes System. Hofbildhauer Martin Sailler schuf für den neuen Grottensaal einen 5 Schuh hohen „Schwann“ (5 Schuh = knapp 1,5 m). Hofspangler Johann Abraham Schader fertigte für das Mansarddach zwei blecherne „Vasa“ und der bürgerliche Schneider Johann Gözl lieferte Schnüre und Quasten aus „Kameél Haár“ für verschiedentliche Stoffe im renovierten Grottensaal. Diese Beispiele stehen selbstverständlich für eine viel größere Anzahl an Bau- und Ausstattungsmaßnahmen, die in den besagten Rechnungen aufgelistet sind.

Nach dem Übergang Freisings an Bayern 1802/03 verfiel das Gebäude und wurde um 1830 abgebrochen. Die Grundmauern wie auch die Hangmauer, an die die unteren Räume angebaut waren, blieben bis zum Bau der Tiefgarage 1994 bis 1996 erhalten, wurden dann aber – ohne gründliche archäologische Untersuchungen – abgebrochen.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Februar 2013.
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