Natürlich war das keine spezifisch lokale Erscheinung, sondern kennzeichnend für die stark politisierte westdeutsche Gesellschaft der 1970er Jahre. Es war eine Zeit hitziger, mitunter stark ideologisierter Debatten, innerhalb wie außerhalb der Parlamente. Einzelne gesellschaftliche Strömungen, deren Interessen innerhalb der Programme der etablierten Parteien nicht vertreten waren, weiteten sich im Lauf des Jahrzehnts zu einflussreichen sozialen Bewegungen („Neue Soziale Bewegungen“) aus. Besondere Bedeutung hatten die („zweite“) Umweltbewegung, die Anti-Atombewegung und – ab 1979 infolge des NATO-Doppelbeschlusses – die neue Friedensbewegung. Um ihren Themen mehr gesellschaftliche Durchschlagskraft zu verleihen, gründeten zahlreiche lokale Initiativen eigene Presseorgane – ein Phänomen, das später unter dem Begriff „Stattzeitungen“ zusammengefasst wurde.
Die Macher der Freisinger politisch-alternativen Zeitschriften jener Jahre lassen sich in der Mehrzahl der politischen Linken zuordnen. Je nach Blatt sind aber unterschiedliche Strömungen auszumachen, was auch am jeweiligen Erscheinungszeitraum liegt. Die erste Zeitschrift ihrer Art in Freising war der „Spucknapf“, den die Mitglieder des Freisinger Jugendclubs unter dem Motto „unabhängig, kritisch, unbequem“ herausgaben. Sie standen der Jugendzentrumsbewegung nahe. Die zwischen 1973 und 1975 erschienenen Hefte fokussierten Themen der Jugendkultur und der politischen Mitsprache Jugendlicher. Themen zum Natur- und Umweltschutz spielten noch keine Rolle. Häufiger Gegenstand der Berichterstattung ist der Streit zwischen dem Jugendclub und der Freisinger CSU, die aufgrund der politischen Ausrichtung einiger Clubmitglieder nicht zu seinen Unterstützern gehörte.
Zwischen 1975 und 1978 erschien in zehn Ausgaben die „Freisinger Stadtzeitung“, die thematisch und – in geringem Maß – auch personell an den „Spucknapf“ anknüpfte. Neu waren spezifisch Freisinger Themen wie der Neubau eines Jugendzentrums, die Forderung nach Einführung einer Fußgängerzone und die Planung zum Flughafen im Erdinger Moos.
Speziell an Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildende richtete sich die ab 1975 herausgegebene Zeitschrift „Zündstoff“. Sie behandelte vorwiegend lokale Themen. Der Stil des „Zündstoffs“ war kritisch, aber insgesamt eher gemäßigt. Offensichtlich kam es nur zu einigen wenigen Ausgaben. Um dieselbe Zeit brachten die Freisinger Jungdemokraten eine Zeitschrift mit dem Titel „Bladl“ heraus, über das aktuell nichts weiter bekannt ist.
Ab Sommer 1979 gab es zwei neue politisch-alternative Zeitschriften in Freising: der „Zeck“ (bis 1982) und die „Perspektive“ (bis 1981). Der „Zeck“ hatte seinen Ursprung in der Abiturzeitung eines Abschlussjahrgangs der Freisinger Fachoberschule. Beide Zeitschriften zeichneten sich durch eine große Themenvielfalt aus. Neben allgemeinen gesellschaftlichen Fragen, etwa der Diskussion um den Paragraphen 218 oder zum Thema Korruption, galt das Interesse der Redaktionen in besonderer Weise Themen der sozialen Bewegungen jener Jahre. So finden sich zahlreiche Berichte beispielsweise zur Aufrüstung, zu Möglichkeiten einer sozialen Ökologie, zum Müllrecycling, zu Tierversuchen oder zum neugegründeten Ortsverband der Freisinger Grünen. Besonders häufig wurde der Bau des neuen Großflughafens thematisiert.
Den Freisinger politisch-alternativen Zeitschriften jener Jahre, die im Stadtarchiv leider nicht ganz vollständig vorhanden sind, kommt heute Quellenwert für die jüngere Stadtgeschichte zu. Sie geben wieder, was viele insbesondere jüngere Bürgerinnen und Bürger in den 1970er und frühen 1980er Jahren bewegt hat – zumal sich ihre Sichtweisen in den etablierten Presseorganen nicht oder nur in geringem Umfang wiederfanden.
QUELLEN: Stadtarchiv Freising, Zeitungssammlung. Ein ausdrücklicher Dank für wertvolle Informationen gilt Herrn Herbert Swetlik, Freising; er war einer der Redakteure der Zeitschrift „Zeck“.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2021.
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