Stadtbäche sind eine Attraktion. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn man sieht, wie viele Städte sich in den letzten Jahren der Aufdeckung, Sanierung und Erlebbarmachung ihrer Stadtbäche, vorwiegend im Altstadt-Bereich, angenommen haben. Allein im süddeutschen Raum können – ohne freilich einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben – mühelos mehrere entsprechende Projekte genannt werden: in der Memminger Altstadt etwa der Stadtbach (ab 2008), in Mittenwald der Marktbach am Obermarkt (1998), in der Ravensburger Altstadt der Flappach (1992), in München z. B. der Köglmühlbach (Altstadtring, 1992) und der Auer Mühlbach (Stadtteil Au, 1984) oder in der Augsburger Altstadt die Lechbäche (1980-1996 mit über 1,9 km Bachöffnung). Viele derjenigen Städte, deren historisches Stadtzentrum von einem Bachlauf durchflossen wird, nehmen dies als topographische Begünstigung und damit als Chance wahr, dem Gewerbe- und Kulturstandort Innenstadt mehr Flair und Aufenthaltsqualität zu geben. Bekanntermaßen durchfließt auch die Freisinger Altstadt ein Bachlauf: die Stadtmoosach; in ihrem östlichen Teilstück offen, in ihrem westlichen seit dem späten 19. Jahrhundert überdeckt. Genau an diesem westlichen, überdeckten Teilstück scheiden sich mindestens seit Mitte der 1980er Jahre die Geister. Seit dieser Zeit gibt es Gedanken, teils auch sehr konkrete Pläne, den dortigen Verlauf der Stadtmoosach streckenweise zu öffnen. Hatte sich der Stadtrat 1986 noch mit knapper Mehrheit dagegen ausgesprochen, so entschied er sich 2011 im Rahmen des „Integrierten Innenstadtentwicklungskonzepts“ einstimmig für den niveaugleichen Ausbau der Hauptstraße inklusive der abschnittsweisen Bachaufdeckung in der Oberen Altstadt. Am 25. Mai 2014 – zur Europawahl – haben nun die Freisingerinnen und Freisinger im Rahmen eines Bürgerentscheids die Möglichkeit, für oder gegen die streckenweise Öffnung der Stadtmoosach zu stimmen. Nachfolgend wird versucht, die historische Bedeutung des kleinen Stadtbaches, seine Überdeckung 1880 bzw. 1893 und die Diskussionen um die Öffnung in einem kurzen Überblick nachzuzeichnen. Zuletzt soll noch auf die geplante Bachaufdeckung im Rahmen des „Integrierten Innenstadtentwicklungskonzepts“ eingegangen werden.
Zum Verlauf und zur Funktion der Stadtmoosach
Die Moosach mit ihren vielen das Stadtgebiet durchziehenden, idyllisch-verworrenen Flussarmen gehört zu den topographischen Alleinstellungsmerkmalen Freisings. Seine ursprüngliche Quelle hatte der Fluss im heutigen Münchner Stadtteil Moosach. Nachdem gegen Ende des 17. Jahrhunderts der bayerische Kurfürst Maximilian II. Emanuel (reg. 1679-1726) die Schlossanlagen von Nymphenburg, Schleißheim und Dachau mit einem umfangreichen Kanalsystem hatte verbinden lassen, wurde die ursprüngliche Moosach-Quelle in dieses System integriert. Ihr weiterer Lauf wird seither vom Wasser verschiedener kleinerer Quellen im Dachauer und Inhauser Moos gespeist.
Das heutige Stadtgebiet von Freising erreicht die Moosach bei Pulling. Im Bereich des Stadtteils Vötting trifft sie auf die Tertiärhügel, die sie daran hindern, weiter in Richtung Norden zu fließen, und sie zu einer Kurve in Richtung Osten „zwingen“. Unterhalb des Weihenstephaner Berges, einige Meter westlich des Veitshofes, wird vom Hauptstrom der Moosach ein Flussarm abgeleitet, der die Stadt, insbesondere auch die historische Altstadt, durchfließt und sich erst im Stadtteil Neustift wieder mit dem Hauptstrom vereinigt: die Stadtmoosach. Ihr heutiger Flusslauf dürfte weitgehend von Menschenhand geformt sein, wenn es sich bei ihr nicht überhaupt um einen in mittelalterlicher Zeit gänzlich neu angelegten Kanal handelt, der vornehmlich die Funktion einer Geländeentwässerung zu erfüllen hatte – eine Grundvoraussetzung für die Besiedlung und Bebauung der auf sehr sumpfigem Terrain errichteten historischen Freisinger Bürgerstadt. Anders als die drei südlich verlaufenden Moosacharme (Wörthmoosach, Herrenmoosach, Schleifermoosach), die sich in einem weitgehend natürlichen Flussbett bewegen, wurde die Stadtmoosach in die Bebauung der mittelalterlichen Stadt einbezogen und erfuhr dadurch eine urbane Gestaltung: nicht grüne, mit Rohr und Schilf bewachsene, sondern steinerne Ufer, Stufen, Brücken und Geländer bestimmen ihr Bild. Ihre besondere Rolle als „verstädterter“ Bach spiegelt sich auch im Namen Stadtmoosach wider: derjenige Moosacharm also, der, eben ganz anders als die anderen Arme, den Weg durch die Stadt nimmt. Die Freisinger Stadtmoosach ist ein historischer Stadtbach, der als fester Bestandteil in die funktionale Vielfalt, in das Erscheinungsbild und in die Identität der Stadt integriert war und ist. Wie die Hauptstraße, die die Stadtstruktur Freisings dominierende Magistrale, besitzt auch sie die Funktion einer Art „Rückgrat“ der Stadt. Ihre Bedeutung für die Entwicklung Freisings kann man nicht zuletzt an ihrer Funktion als historischer Orientierungsmaßstab ablesen: Sie gab den einzelnen Teilen der Altstadt ihre Namen; ihrem Verlauf von Westen (oberer Bachlauf) nach Osten (unterer Bachlauf) entsprechend finden sich bis heute die Bezeichnungen „Obere Stadt“, „Mittlere Stadt“, „Untere Stadt“ oder „Obere Hauptstraße“ und „Untere Hauptstraße“, „Obere Domberggasse“ und „Untere Domberggasse“ sowie „Oberer Graben“, „Mittlerer Graben“ und „Unterer Graben“.
Die Überdeckung der Stadtmoosach 1880 und 1892/93
Über viele Jahrhunderte hinweg bestimmte die durchgehend offen fließende Stadtmoosach das Freisinger Stadtbild. Neben ihrer primären Funktion als Entwässerungsgraben wurde sie auch als Mühlwasser – für den Betrieb der fürstbischöflichen Hofkastenmühle, heute Untere Domberggasse 2 – genutzt. Zunehmend dürfte der Stadtbach aber durch die Einleitung aller möglichen Abwässer verunreinigt worden sein, vor allem durch private Haushalte, darüber hinaus durch Einrichtungen wie etwa die Gerberei am Johannisplatz oder die beiden Fleischbänke (Schlachthäuser), die ihre Schlachtabfälle tagtäglich über die Stadtmoosach entsorgten. Sowohl die Wasserqualität als auch der Geruch unmittelbar am Bach muss äußerst schlecht gewesen sein. Das erklärt den im Lauf des 19. Jahrhunderts zunehmend stark geäußerten Wunsch, sich der offenen Stadtgewässer zu entledigen.
Viele Jahrzehnte, bevor man an die Überdeckung der Stadtmoosach ging, widmete man sich einem anderen, deutlich schmaleren Fließgewässer, das die historische Freisinger Bürgerstadt durchfloss, nämlich dem sogenannten Nierenbach. Anders als die Stadtmoosach, die die Hauptstraße nur in ihrem oberen Teil tangiert, zog sich der Verlauf des Nierenbaches von seiner Ableitung aus der Stadtmoosach in Höhe der Kochbäckergasse durch die gesamte Hauptstraße und die Heiliggeistgasse, wo er wiederum in die Stadtmoosach eingeleitet wurde. Zwischen 1817 und 1819 wurde der Nierenbach überwölbt und später ganz zugeschüttet. Eine Überwölbung oder großflächige Überdeckung der Stadtmoosach scheiterte zu diesem Zeitpunkt an den technischen und finanziellen Möglichkeiten.
Im Jahr 1857 wurde seitens des „Verschönerungsvereins Freising“ ein Alternativvorschlag eingebracht, wonach entlang der Stadtmoosach in der Oberen Stadt Hecken und Kastanienbäume gepflanzt werden sollten, um den Stadtbach dahinter zu verstecken. Von der Pflanzung der Hecken wurde abgesehen, die Kastanien hatte man entlang der Nordseite der Stadtmoosach tatsächlich gesetzt.
Gut zwei weitere Jahrzehnte vergingen, bis im Frühjahr 1880 beim Freisinger Stadtmagistrat eine Bittschrift von 28 Hausbesitzern der Oberen Hauptstraße einging; die Kernforderung dieser Schrift war die „vollständige Überbrückung der ganzen Stadtmosach“. Tatsächlich fasste der Stadtmagistrat kurz darauf den Beschluss, die Stadtmoosach zu überdecken, aus Kostengründen vorerst jedoch nur das vergleichsweise kurze Stück von der Sackgasse bis zur Hirtlederergasse. Der erst ein Jahr zuvor, 1879, angestellte erste Freisinger Stadtbaumeister Abele konnte hier seine Fähigkeiten als Ingenieur unter Beweis stellen. Die Überdeckung, die zunächst mit Nagelfluhplatten vorgesehen, letztlich jedoch mit Granitplatten ausgeführt wurde, erforderte umfangreiche Vorarbeiten, vor allem die Neumauerung der Bachwände. Im Herbst 1880 kamen die Bauarbeiten schließlich zum Abschluss.
Der Großteil des Bachlaufs in der Oberen Stadt, von der Hirtlederergasse zur Bahnhofstraße, blieb geöffnet. 1881 erhielt die Stadtmoosach hier ein neues, gusseisernes Geländer, das die Firma Frimberger-Esterer in Altötting herstellte (ein letzter Rest dieses schönen alten Geländers hat sich an der Moosach hinter dem „Asamgebäude“ erhalten). Der untere Teil der Oberen Stadt (im Bereich des heutigen Kriegerdenkmals) wurde in jenen Jahren zur Abhaltung des Freisinger „Viktualienmarktes“ genutzt; die Verkaufsstände standen entlang der offenen Moosach. Elf Jahre nach der ersten – erfolgreichen – Petition einiger Hausbesitzer wurde erneut eine entsprechende Initiative von privater Seite gestartet: Im Frühling 1891 konnte sich jeder Hausbesitzer in eine Liste eintragen, der eine weitere Bittschrift zur Überdeckung der Stadtmoosach, nun hinunter bis zur Bahnhofstraße, unterstützte. Und wieder fand die Initiative einiger Bürger der Oberen Stadt die Zustimmung des Stadtmagistrats. Im Lauf des Jahres 1893 wurde sodann die Stadtmoosach in ihrer gesamten Länge von der Hirtlederergasse bis zur Bahnhofstraße überdeckt. Auch im Vorfeld dieser Maßnahme musste das Bachbett erneuert werden: Die Bachwände wurden instandgesetzt und der Bachboden mit Holzdielen ausgelegt – den favorisierten, kostspieligen Betonboden wollte man sich letzten Endes nicht leisten (2011 durchgeführte Untersuchungen am Bachbett haben gezeigt, dass der Bachboden aus Holzdielen heute unverändert erhalten ist). Damit war die Stadtmoosach nach vielen Jahrhunderten aus dem Stadtbild der Oberen Stadt verschwunden. Eine Überdeckung des Baches in der Fischergasse wurde übrigens im 19. und frühen 20. Jahrhundert niemals ernsthaft in Betracht gezogen, da dort mehrere Fischereibetriebe ansässig waren, die diesen noch immer als Fischwasser nutzten. Erst die 1960er Jahre des 20. Jahrhunderts fassten vor dem Hintergrund des Ausbaus der Freisinger Innenstadt zur „autogerechten Stadt“ Gedanken in diese Richtung, die jedoch bald wieder fallen gelassen wurden.
Die überdeckte Stadtmoosach in der Oberen Stadt verursachte der Stadt indes mehrmals gewaltige Kosten. Die von der permanenten Feuchtigkeit in Mitleidenschaft gezogenen Bachwände und -abdeckungen mussten jeweils im Abstand von etwa drei Jahrzehnten grundlegend erneuert werden, so zuletzt Mitte der 1980er Jahre, davor zu Beginn der 1960er Jahre; im Rahmen dieser Sanierungsmaßnahmen war die Stadtmoosach jeweils für einige Monate geöffnet. 2011 durchgeführten Untersuchungen der Stadt Freising zufolge ist der aktuelle Zustand bereits wieder so schlecht, dass ohne eine Sanierung des Bachbettes bzw. der Deckplatten die Tragfähigkeit für größere Lasten mittelfristig nicht zu gewährleisten ist.
1986: Moosach-Öffnung im Stadtrat knapp gescheitert
Im Lauf der 1970er Jahre hatte sich in Westdeutschland die Auffassung, welche Funktion historischen Altstädten zukommen soll, grundlegend gewandelt. Das in den ersten Nachkriegsjahrzehnten dominierende und vielerorts geradezu radikal umgesetzte Konzept der „autogerechten Stadt“, das dem motorisierten Verkehr in Stadtkernen den Vorrang vor der Aufenthalts- und Lebensqualität sowie kulturell-ästhetischen Gesichtspunkten einräumte, war in die Kritik gekommen. Bürgerinitiativen, Heimat- und Denkmalpfleger und nicht selten auch Geschäftsleute forderten den Erhalt des historischen Stadtgepräges, die Verlagerung des motorisierten Verkehrs und die Schaffung attraktiver, vor allem dem Altstadtgewerbe zuträglicher Aufenthaltsorte. Die Folgen dieser Diskussion waren bald sichtbar: neue Verkehrsleitsysteme, Parkhäuser am Altstadtrand, Fußgängerzonen in vielen Geschäftsstraßen; damit einhergehend die engere Zusammenarbeit von Altstadt-Gewerbetreibenden (z.B. in Form von Vereinen) und die Sanierung und Nutzbarmachung von historischer Bausubstanz. Derartige Diskussionen gingen auch an Freising nicht spurlos vorüber. Noch wenige Jahre zuvor, Mitte der 1960er Jahre, hatte es ernsthafte Pläne gegeben, die Stadtmoosach auch in der Fischergasse zu überdecken, um eine zweispurige Parallelstraße zu erhalten, die durch den Abbruch des Alten Gefängnisses, des Hochscheinbaderhauses (1962 tatsächlich abgerissen) und des Sainer-Hauses über die Obere Domberggasse hinweg bequem zur Bahnhofstraße hätte verlängert werden können. Vor diesem Hintergrund hatte die Stadtpolitik dann 1974 bei der Ingenieurgesellschaft Dorsch Consult ein Gutachten über die Neuregelung des Verkehrs in und um das Stadtzentrum in Auftrag gegeben; dieses sah im Ergebnis unter anderem die Errichtung von Parkhäusern, die Einschränkung des Innenstadt-Verkehrs und die Schaffung einer Fußgängerzone im Bereich der Mittleren Hauptstraße und des Marienplatzes vor – Vorschläge, mit denen sich der Stadtrat nur schwer und das Innenstadt-Gewerbe fast gar nicht anfreunden konnten, weshalb eine Umsetzung entsprechend des Gutachtens nicht in Gang kam. Eine Öffnung der Stadtmoosach in der Oberen Stadt war zu diesem Zeitpunkt noch kein Thema. Mit einiger Verspätung begann die Stadt Freising neun Jahre später, 1983, dennoch mit der Abänderung der Verkehrsführung sowie mit der Umgestaltung der Straßen und Plätze in der Altstadt. Von der Fußgängerzone, dem Kernstück des Dorsch-Gutachtens, das den nun umzusetzenden Maßnahmen noch immer zugrunde lag, hatte man sich jedoch zwischenzeitlich verabschiedet. Als die Umbauarbeiten an der General-von-Nagel-Straße abgeschlossen und im Abschnitt der Unteren Hauptstraße in vollem Gang waren, kamen die Planungen zum Umbau der Oberen Hauptstraße auf die Tagesordnung der Stadtpolitik. Und nun, 1986, spielte die Aufdeckung der Stadtmoosach eine wichtige Rolle. Wer genau das Thema ins Spiel gebracht hatte, lässt sich nicht nachvollziehen. Befürworter einer Moosach-Öffnung fanden sich in fast allen Stadtrats-Fraktionen, besonders nachdrücklich setzten sich dafür die Stadträte Max Mayer (SPD), Hans Gruber (UFB, Unabhängige Freisinger Bürger), Helmut Fischer (Grüne) und Helmut Kratzer (CSU) ein, letzterer als Planungsreferent des Stadtrates. Dem weitgehend positiven Echo einer Bürgerversammlung im Rathaus mit über 200 Teilnehmern (März 1986) und auch den Äußerungen der Mitglieder des vorberatenden Planungs- und Verkehrsausschusses (März/April 1986) nach war zunächst eine Entscheidung im Stadtrat für diejenige Planungsvariante zu erwarten, die eine Umgestaltung der Oberen Hauptstraße inklusive Moosach-Öffnung vorsah. Widerstand gegen die Bachaufdeckung kam jedoch massiv von den Vertretern der Altstadt-Geschäftsinhaber im Stadtrat: Die Hauptstraße sei „…eine Einkaufsstraße und nicht dazu da, um spazieren zu gehen.“, so die entsprechende Argumentation im Planungsausschuss vom 22. April 1986. Der damals durchgehend als Parkplatz gestaltete Straßenraum der Oberen Stadt (vgl. Abb.) sollte nach Meinung vieler Ladenbesitzer erhalten bleiben: „Zur Zeit funktioniert doch alles, warum will man das denn ändern?“, so ein ansässiger Geschäftsmann. Der Protest zeigte bald Wirkung. In der entscheidenden Stadtratssitzung vom 7. Mai 1986 wurde zwar mit 24:14 Stimmen der Baubeginn der Umgestaltungsmaßnahme noch für dasselbe Jahr beschlossen, die Öffnung der Stadtmoosach jedoch mit 16:22 Stimmen abgelehnt. Die Befürworter saßen vor allem in den Reihen der SPD, der Grünen, der UFB sowie eines Teils der CSU. Planungsreferent Helmut Kratzer hatte noch vehement für die Bachaufdeckung appelliert: „Wir brauchen eine Atmosphäre, die zum Besuch der Innenstadt und zum Einkaufen einlädt, wir brauchen mehr Lebensqualität im Zentrum.“ Bei einem Teil seiner eigenen Fraktion sowie beim Freisinger Block, der FDP und auch einem kleinen Teil der SPD-Fraktion um den damaligen Stadtrat Dieter Thalhammer, der vor einem „Freilichtmuseum in der Oberen Hauptstraße“ warnte, fand Kratzer offensichtlich kein Gehör.
Vom 1974 gestarteten Projekt zu einer umfassenden Umstrukturierung der Freisinger Innenstadt als attraktives Einzelhandelszentrum mit hoher Aufenthaltsqualität blieb vergleichsweise wenig übrig: tiefergelegte, den Stadtboden zerschneidende „Renngassen“ für den – gegenüber Fußgängern und Radfahrern klar bevorzugten – motorisierten Verkehr, keine Barrierefreiheit, eine zu heterogene Materialität, ein Marienplatz aus klotzigen, völlig ahistorischen „Riesenpflastersteinen“, ein Duzend Bänke und ganze neun Bäume. Ein großzügiger, charmanter Stadtraum mit vielen kleineren „Attraktionen“ wie Bäumen oder auch offenen Fließgewässer-Abschnitten hätte einer klareren politischen Willensbekundung bedurft. Der lokale SZ-Redakteur Hans Kirchberger bezeichnete die Vorgehensweise in Sachen Innenstadt in seinem Kommentar vom 9. Mai 1986 – vielleicht nicht ganz zu Unrecht – als „…halbherzige, verwässerte Lösungen, mit denen letztlich niemand zufrieden sein kann.“
Die Moosach-Öffnung als Bestandteil des „Integrierten Innenstadtentwicklungskonzeptes“ (2009-2011)
Knapp drei Jahrzehnte nach den Umstrukturierungsmaßnahmen der 1980er Jahre läutete die Stadt Freising 2009 ein neuerliches Programm ein, in dessen Rahmen die Freisinger Innenstadt auf ihre gewerbliche und kulturelle Funktionen hin untersucht und – in enger Zusammenarbeit mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern – Leitlinien für eine mittel- und langfristige Ausrichtung ausgearbeitet werden sollten. Die Rahmenbedingungen haben sich im Vergleich zu den 1980er Jahren deutlich verändert: Die Stadt hat nunmehr fast 50.000 Einwohner, ist Oberzentrum und vor allem einer bedeutend stärkeren wirtschaftlichen Konkurrenz ausgesetzt; die Freisinger Innenstadt muss als lokales und regionales Einzelhandelszentrum im System konkurrierender Zentren (vor allem in der Metropolregion München) bestehen können. Bestehen können muss sie aber auch vor der Konkurrenz unmittelbar vor der „eigenen Haustür“, dem sogenannten „Gewerbe auf der grünen Wiese“. Parameter wie Attraktivität und Aufenthaltsqualität spielen dabei eine viel größere Rolle als noch vor drei Jahrzehnten.
Das Projekt ist Teil des Städtebauförderprogramms „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“. Angeleitet wurde der eineinhalbjährige Planungsprozess von einer Gruppe aus Stadtplanern, Verkehrsplanern und Marketingexperten. Das Ergebnis, konkret 23 verschiedentlich priorisierte Einzelmaßnahmen, wurde im Mai 2011 einstimmig vom Stadtrat verabschiedet (vgl. dazu: http://www.freising.de/wirtschaft/projekte-engagement/innenstadt.html).
Entscheidend ist bei dem verabschiedeten Paket das Ineinandergreifen verschiedenartiger Maßnahmen: Direkt wirtschaftsfördernde Maßnahmen (z.B. Installierung eines zentralen Innenstadtmanagers) spielen ebenso eine Rolle wie die verkehrsmäßige Erreichbarkeit (z.B. Bau eines neuen Parkhauses im Westen) oder gestalterisch-erlebnismäßige Teilprojekte (z.B. Begrünung; Stadtmöblierung; Bachaufdeckung). Um die Kaufkraft in der Freisinger Innenstadt anzuheben, ist es unbedingt notwendig, eine große Vielfalt individueller Bedürfnisse zu berücksichtigen.
Eine Maßnahme der „Innenstadtkonzeption“ sieht die Öffnung einzelner Abschnitte der Stadtmoosach in der Oberen Stadt vor. Seit dem Grundsatzbeschluss von 2011 durchlief dieses Thema bereits mehrere „Instanzen“ auf dem Weg zur Realisierung: so etwa 2012 die Beauftragung einer Machbarkeitsstudie, die fachlicherseits eine Umsetzbarkeit bestätigt hat; so auch die Durchführung eines städtebaulichen Wettbewerbs, den man im November 2013 mit der Prämierung des Siegerentwurfs beendet hat (das Sieger-Büro wurde im Januar 2014 mit der Ausarbeitung der Detailplanung beauftragt). Mehrere Argumente waren es, die den Stadtrat 2011 dazu bewogen haben, das Thema Bachaufdeckung in der Oberen Altstadt als ein Element in die Neugestaltung der Freisinger Innenstadt mitaufzunehmen:
Die Öffnung der Stadtmoosach als Beitrag zu einer höheren Attraktivität und Aufenthaltsqualität in der Freisinger Innenstadt
Wasser belebt. Dass dies so ist, zeigen nicht nur seit alters her unzählige Brunnenanlagen, die in vielerlei Altstädten (auch in Freising) zu sehen sind, sondern auch offengelegte, sanierte und gepflegte Stadtbäche. Ein offenes Fließgewässer inmitten einer historisch-urbanen Umgebung hat Charme und regt zum Schauen und zum Verweilen an. Wer möchte sein Eis im Sommer nicht neben oder über einem leise plätschernden Stadtbach essen? Städte wie Augsburg, Memmingen, Ravensburg oder der Markt Mittenwald haben es vorgemacht: Sie haben ihre traditionsreichen Stadtbäche für sich neu entdeckt und diese ihren heutigen Bedürfnissen angepasst. Warum sollte das nicht auch in Freising funktionieren? Wichtig ist, dass – wie jede Maßnahme der „Innenstadt-Konzeption“ – auch eine Bachaufdeckung in der Oberen Stadt stets im Zusammenhang mit anderen Teilprojekten gesehen wird: Eine Öffnung der Stadtmoosach macht beispielsweise nur Sinn im Verbund mit dem niveaugleichen, barrierefreien Ausbau der Hauptstraße zu einer „Begegnungszone“ sowie mit einer ausreichenden Stadtmöblierung (Bänke, Begrünung, Beleuchtung, u. ä.).
Verbesserung des innerstädtischen Kleinklimas
Fließgewässer als Kaltluft-Transporteure haben eine hohe Bedeutung für die Lebensqualität insbesondere auch urbaner, nachverdichteter Räume. Diese Funktion spielt im Zusammenhang mit dem Klimawandel eine zunehmend wichtige Rolle und wird seit einiger Zeit auch im Bereich der Stadtentwicklung stärker forciert. Auch die streckenweise geöffnete Stadtmoosach kann im Straßenraum der Oberen Stadt in den Sommermonaten eine Abkühlung bewirken und ein insgesamt angenehmeres Klima schaffen – ein Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist.
Ein offener Stadtbach als Alleinstellungsmerkmal
Die Stadtmoosach ist ein echtes Freisinger Alleinstellungsmerkmal. Allzu zahlreich sind die historischen Innenstädte nicht, die über eine topografische Besonderheit wie ein urbanes Fließgewässer verfügen. Mit einer abschnittsweisen Öffnung der Stadtmoosach kann Freising eines seiner Charakteristika präsentieren und sein ohnehin schönes Stadtbild noch weiter aufwerten.
Natürlich bedeutet eine Maßnahme wie die Öffnung der Stadtmoosach eine Veränderung, an die man sich erst gewöhnen muss. Die Vorstellung, wie ein geöffneter Stadtbach in der Oberen Stadt aussehen könnte, wirft Fragen auf. Diese haben sich auch Stadtpolitik, Stadtverwaltung und Fachplaner gestellt.
Eine häufige Frage ist, ob sich ein Hochwasser wie 2013 nach einer Bachaufdeckung negativ auf die Obere Hauptstraße auswirken würde. Dies kann eindeutig verneint werden. Laut Aussage des Wasserwirtschaftsamtes können durch den engen Einlass in das Bachbett der Stadtmoosach, der sich unter der Karlwirtkreuzung befindet, nicht mehr als vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde eingeleitet werden. Ob eine geöffnete oder geschlossene Stadtmoosach – auf die Hauptstraße hat ein mögliches Hochwasser keine Auswirkungen.
Auch würde Freising mit der abschnittsweisen Moosach-Öffnung keine Rattenplage bevorstehen – im Gegenteil. Ratten sind lichtscheue Tiere, mit einer Moosach-Öffnung würden sie einen Teil ihres Rückzugsortes verlieren.
Immer wieder infrage gestellt wird die Wasserqualität der Moosach. 1880 und 1893, als man den Bach unter Steinplatten verschwinden ließ, war die Verschmutzung des Wassers und der damit verbundene Gestank tatsächlich ein großes Problem. Eine ähnliche Situation auf das frühe 21. Jahrhundert, nachdem längst keine Abwässer mehr in Fließgewässer eingeleitet werden, zu projizieren, macht wenig Sinn. Im Gegenteil: Die Moosach ist ein sehr sauberes Gewässer – dank auch der wissenschaftlichen Obhut und der besonderen Pflege der Lehre und Forschung in Weihenstephan bzw. des Wasserwirtschaftsamtes. Desöfteren kann man dort wieder Flusskrebse sehen – ein Indikator für eine besonders hohe Wasserqualität.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2014.
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