Abscheu und Amüsement, Schrecken und Schafott
Ernst Kellers neues Buch „Vergessene Geschichten - Wahre Kriminalgeschichten aus Freising“

Früher war alles besser. Wirklich? Lesen Sie selbst: „† Heute Morgen 7 Uhr [Samstag, 13. November 1858] verließ der Kettensträfling Johann Krieger die Frohnfeste, um seinen letzten Gang, den zur Richtstätte, anzutreten. Reuig und gefasst benahm er sich bei der Urteils-Publikation und bei dem Stabbrechen vor der Frohnfeste, inbrünstig betete er auf dem ganzen Wege bis zum Schafott, welches er festen Schrittes bestieg.
Kurz nach halb 8 Uhr fiel sein Kopf. Sowohl an den Straßen, durch welche sich der verhängnisvolle Zug bewegte, als auch auf dem Richtplatze fand sich ein zahlreiches Publikum ein, das größtenteils den unteren Schichten der Bevölkerung angehörte. Der Delinquent war eben wegen der Kälte unter dem schwarzen Armensünderkleide mit seinen Sträflingskleidern angetan.“ Wie eine andere Zeitung berichtet, habe sich der Delinquent zuvor „noch auf unerhörter Weise seiner schauerlichen Untaten gerühmt“ und sei erst in letzter Zeit zur Selbsterkenntnis und Reue übergegangen. „Die Exekution ging überaus rasch von sich und dauerte von der Ankunft am Richtplatz bis zum Ende weniger als 5 Minuten. Einen würdigen Eindruck machte das stille Gebet der begleitenden Geistlichen auf dem Schafotte gegen die früher übliche Predigt, die, wie der Reporter sich selbst überzeugte, vorher wie nachher sich mit rohen Späßen belustigte.“
So steht es auf Seite 63 zu lesen. Es ist eine jener Geschichten, die Ernst Keller aus Archiven ausgegraben hat, mit denen er die Zeit des bayerischen Königtums aufleben lässt und mit denen er ein wichtiges Stück Geschichte für den früheren Gerichtsbezirk Freising ans Tageslicht gebracht hat.
In drei große Abschnitte ist das Buch des Heimatforschers unterteilt – „Kriminalgeschichten aus den königlichen Gerichtsbezirken“ (von Neustift bis Langenbach, von Vötting bis Neufahrn), „Freisinger Wirtshausgeschichten“ und „Das Alte Gefängnis und seine Geschichten“. Und so reihen sich spektakuläre Morde an wilde Raubzüge, Rauforgien an Berichte über Hinrichtungen. Keller

schildert ein Wortgefecht mit blutigem Ende ebenso wie die Geschichte vom „ungeratenen Sohn“, gibt die Berichte über Raubzüge einer Bande ebenso wider wie den „Kaltblütigen Auftragsmord nach Heiratsverweigerung“, es geht um Kindsleichen ebenso wie um „Hundswuth“, man erfährt von „Raufexzessen bei Kirchweihfesten“ ebenso wie von einem weit über das Königreich hinaus Schlagzeilen machenden „bestialischen Dreifachmord“ in Langenbach. Man erfährt, dass es in Gasthäusern und auch nach deren Besuch wahrlich nicht immer gesittet zuging in jener Zeit, und schließlich kann man nachlesen, was an absonderlichen Gestalten und Ereignissen in der Freisinger Fronfeste noch bekannt ist. Zum Beispiel die Bindl Maria, Näherin und Mitglied einer sechsköpfigen Diebesbande, die dadurch aufgefallen sei, „dass sie die Gefängniswärter mit allen nur erdenklichen Schimpfnamen überhäuft und ständig beleidigt. Wie das Gericht später feststellt, soll sie einen Wärter als ,platterten Petrus und Spitzbuben‘ bezeichnet haben.“  

 Wie viel Arbeit, wie viel Forschung und wie viel Leidenschaft hinter diesem Buch steckt, das lässt der Blick ins Quellenverzeichnis erahnen. Denn von den vielen Straftaten, die im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Gerichtsbezirk Freising verübt wurden, ist kaum noch etwas überliefert. „Selbst die herausragenden Kriminalfälle, die von jeher eine große Faszination auf die Menschen ausübten und in den Akten der Staatsanwaltschaft München II ihren Niederschlag gefunden hatten, sind nur in Ausnahmefällen in den Beständen des Staatsarchivs oder der Polizeidirektion München archiviert“, beschreibt Keller in seinem Vorwort die schwierige Quellenlage. Zum Glück gibt und gab es damals schon Zeitungen, die oft als einzige Quelle verblieben: Neben den Lokalzeitungen wie dem Freysinger Wochenblatt und dem Freisinger Tagblatt, die das Stadtarchiv Freising verwahrt, bietet die Bayerische Staatsbibliothek Zugang zu rund 1000 digitalisierten historischen Zeitungen. Interessant sei auch das „Bayerische Central-Polizei-Blatt“, das von der Königlichen Polizeidirektion München von 1866 bis 1914 für Fahndungszwecke herausgegeben wurde. Und auch wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, so habe er doch beim Besuch der früheren Schauplätze oder Tatorte noch den einen oder anderen Ortsbewohner ausfindig machen können, der aus Erzählungen seiner Eltern oder Großeltern von dem „Fall“ gehört hatte. Damit nicht alle diese Geschichten in Vergessenheit geraten, dazu soll dieses Buch beitragen, sagt Keller.

Das Buch, das wegen Corona für einige Monate gezwungenermaßen ins Stocken geraten war und zu dem es auch einen eigenen Film geben wird, der exemplarisch einige Geschichten nacherzählt und am 5. Dezember im Neufahrner Cineplex Premiere feiert, wird Mitte November im FINK-Verlag erscheinen und im regionalen Buchhandel sowie im „Hinterland“ erhältlich sein. (von Andreas Beschorner)



Interview

Ernst Keller (75) im Gespräch mit dem Stadtmagazin FINK:

Wie lange haben Sie an diesem Buch gearbeitet?

Schon drei bis vier Jahre. Die ganzen Primärquellen zu sichten, war eine Heidenarbeit – auch wenn ich nach 35 Jahren Heimatforschung bereits manches in Händen hatte. Aber ich gehe ja dann auch immer zu den Leuten vor Ort, schaue, ob die etwas zu erzählen haben. In diesem Fall war das manchmal etwas heikel, weil beispielsweise jemand nicht wollte, dass sein Grundstück, auf dem vor über 200 Jahren ein Mord verübt wurde, fotografiert und abgebildet wird.  

Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Das ist jetzt schon mein viertes Buch. Und ich dachte mir, dass ich mich einmal um ein bestimmtes Thema kümmern müsste. Und weil mir aus meiner früheren Forschung einige solcher Kriminalfälle untergekommen sind, fand ich das eine interessante Sache. 

Sind Sie also ein Tatort- und Krimi-Fan?

Ich schaue mir das schon gerne an, aber mich interessieren die Sachen, die wirklich geschehen sind, mehr.

Die Beschäftigung mit Morden und Schicksalen – auch wenn sie 200 Jahre zurückliegen – ist ja nicht immer leichte Kost.

Das stimmt, da habe ich schon manchmal mitgefühlt, wenn ich von besonders harten und grausamen Strafen gelesen habe, wenn ich auf Schilderungen von Hinrichtungen gestoßen bin oder auch die Beschreibung von Mordfällen. Aber dass ich mich beim Schreiben versuche, in die Menschen und Situationen hineinzuversetzen, macht mir auch Spaß.

Und dann gibt es ja noch einen Film zum Buch. Erzählen Sie doch mal.

Zusammen mit dem Studio Winklmeier aus Fürholzen werden in diesem Film ein paar der im Buch beschriebenen Fälle dargestellt und nachgespielt – meistens an den Original-Schauplätzen. Und auch mit Kostümen und Requisiten aus dieser Zeit.Als Darsteller fungierten die Mitglieder der Theatergruppe der Giggenhausener Maibaumfreunde. Am Schluss des Films sind wir dann im Freisinger Gefängnis. Das hat echt Spaß gemacht und war eine rechte Gaudi. Premiere des Films wird am 5. Dezember um 17 Uhr im Cineplex in Neufahrn sein. Aber auch in anderen Kinos wird der Film zu sehen sein.

Gehen Sie mit dem Buch auch auf Lesereise?

Ja, ich werde ab Dezember sozusagen durch den Landkreis touren und es wird Lesungen geben. Wo und wann, das kann man in den Tageszeitungen finden.  

 

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2021.
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