Lieber Reinfried, wir kennen Dich schon seit vielen Jahrzehnten. Wir wissen, dass Du kein gebürtiger Freisinger bist. Kannst Du uns verraten, wo Du eigentlich her stammst und wie Du nach Freising gekommen bist?
Also ich komme vom Vater her aus der Muschelmühle in Hotzenplotz (Mährisch-Schlesien), wo wir ab ca. 1760 nachweisbar gewesen sind. Aber was stellt Ihr für scheinheilige Fragen, Ihr Schelme? Ihr habt euch doch über meine Abkunft schon weidlich amüsiert. Meine Mutter kommt aus Tscheche (früher „Zeche“ = Bergbauanlage) im Elbsandsteingebirge bei Tetschen-Bodenbach. Und wie wir nach Freising gekommen sind? Mit unzähligen Ortswechseln, Abschieden und Tränen – das muss man in einer (!) Zeile abhandeln oder in einem Roman. Aber schließlich sind wir zutiefst in der Holledau gelandet, beim Stanglmeier, sprich Zeimer, einem Einödhof bei Nandlstadt, dann in Baumgarten beim Sommerer, sprich Romer, und dann beim Schreiner, sprich Schneider. Also bis wir das auseinanderhalten konnten, dieses „schreiben tut er sich, aber heißen tut er…“! Beim Kleinbauern Schneider Martl waren wir richtig glücklich, zutiefst christliche Leute, und die letzten lebenden Exemplare beider Familien halten immer noch Verbindung.
Schon während Deiner Schulzeit am Domgymnasium hast Du viel Theater gespielt. Dann wurdest Du Lehrer. Doch haben Dich das Theater und die Literatur nie los gelassen. Wie kamst Du zum professionellen Theater?
1968 habe ich den Beamtenstand verlassen, habe dann an der Uni mit Theaterwissenschaft angefangen, bin an dem Widerspruch Theater und Wissenschaft gescheitert und auf die Schauspielschule Ruth von Zerboni geflüchtet. Das waren wohl die schönsten Jahre meines Lebens. Dort in Gauting haben mir die Lehrer übrigens gleich gesagt, dass ich nie den Hamlet spielen würde, aber wenn ich später wirklich nur schreiben wolle und keinem die Rollen wegnehmen würde, dürfe ich bleiben. Übrigens haben mich auch meine Intendanten später nie mit dem Hamlet in Versuchung geführt und mich ausschließlich als Regieassistent und Dramaturg eingesetzt. Nur manchmal wurde ich ins Kostüm gesteckt, weil ich als Abendspielleiter sowieso herumstehen musste und viel billiger war als jeder Statist. Dann habe ich eine güldene Krone, ein abgeschlagenes Haupt oder eine knusprige Gans aus Styropor über die Bühne getragen (sog. tragende Rolle).
Schließlich hast Du Dein Hauptaugenmerk auf Schreiben von Drehbüchern gerichtet. Wir wissen, dass Du mit Werbespots begonnen hast. Was kam nach der Werbung?
Also bitte! Mit Werbepots habe ich mir die Finger natürlich nie und nimmer schmutzig gemacht – hätte ich aber schon gerne, mit beiden Händen. Aber die Herren Porsche und Dallmayer haben mich nie angerufen. Ich seh ja auch eher nach Packerlsuppe aus. Aber auch Herr Maggi hat sich nie gerührt. Doch eigentlich trifft Eure Frage sogar: Da haben wir mal eine Serie mit Gustl Bayr- hammer und Toni Berger geschrieben, der eine Viehhändler und der andere Metzger. Als gründlicher Mensch wollte ich wenigstens eine einzige Folge an den Ort ihres Wirkens verlegen. Ich bin um vier Uhr früh aufgestanden und mit einem etwas skeptisch dreinblickenden Viehhändler und 6 stattlichen Bullen im Schlepptau in den Schlachthof gefahren. Und ich Vegetarier habe alle Fettteppiche, rausgesprengten Ochsenaugen und dampfenden Blutbottiche umsegelt ohne grün zu werden. Und dann habe ich eine Folge geschrieben, die sich gewaschen hatte: Endlich wurden Bayrhammer und Berger einmal bei ihrem harten Handwerk gezeigt. Und der Redakteur hat das Buch in Bausch und Bogen verdammt: „Das hat doch keinen Drive, und soll das Action sein, wo bleiben die menschlichen Verwicklungen, wo das Suspense…?“ Sie haben immer tausend stinkende Ausreden zur Hand. Nie werden sie sagen „Vorher wirbt Herr Knorr für seine Rindfleischsuppen und nachher macht sich Mr. Mc Donald für seine Burger breit und Sie wagen es zu zeigen, dass mittendrin bluttriefende Panik und Todesangst ausbrechen? Wollen Sie an meinem Stuhl sägen? Das verbitte ich mir!“
Ist es richtig, dass Du für den Kabarettisten Dieter Hildebrandt und seine Sendung „Notizen aus der Provinz“, dem Vorläufer des „Scheibenwischers“, Texte geschrieben hast?
Ja, das stimmt. Mein 1. Beitrag hat „Rekordereltern“ geheißen und damals ist zum erstenmal im Abspann mein Name über den Bildschirm gelaufen, Tschaikowskis Klavierkonzert im Hintergrund. Fragt nicht, wie ich mich da gefühlt habe! Später bin ich nicht mehr um die Erkenntnis herumgekommen, dass die Gebührenzahler nie auf die Namen schauen, außer sie kennen den Darsteller, der soeben den dritten Lustmord vorgeführt hat, vom Sehen ganz genau, sie kommen bloß ums Verrecken nicht auf den Namen. Übrigens waren gerade die „Notizen“ ganz ungeeignet uns bei Land und Leuten namentlich zu etablieren. Erstens ist neben Dieter Hildebrandt sowieso jeder geschrumpft und zweitens waren unsere spöttischen drei-Minuten-Beiträge viel zu kurz, um uns einzuprägen. Mich hat jedenfalls nie jemand mit der Bitte um ein Autogramm belästigt.
Neben Deiner Arbeit für das Fernsehen hast Du auch einige Theaterstücke geschrieben. Wo sind diese uraufgeführt worden? Und wer hat bei Deinen Stücken mitgespielt?
Städtische Bühnen Osnabrück („Der Tod im Lindenbaum“), Stadttheater Ingolstadt („Der Heiratsantrag“ nach Tschechow), Theater rechts der Isar München („Hinterkaifeck“), Schillertheater Berlin („Die indische Witwe“. Das gab es damals noch und ich habe mich an seinem Niedergang wacker beteiligt). Wer mitgespielt hat? Da muss ich jetzt in den alten Programmheften wühlen (am Anfang hebt man ja alles auf). Ihr meint doch Darsteller, die vom Fernsehen geschluckt worden sind? Also Gisela Schneeberger, Gunter Berger, Elisabeth Wiedemann (Die „dusslige Kuh“ aus „Ein Herz und eine Krone“ Udo Thomer, Florian Münzer, Klaus Nierhoff („Lindenstraße“,) Barbara Auer, ach kommt, Namen…!
Der FINK Verlag veröffentlicht zwei Bücher von Dir mit den Titeln „Der Franzosenbaum“ und „Gerechtigkeit für Jakob Schmid!“. Worum geht es in den beiden Erzählungen?
Dem jungen Reinhard Fiedler vom FINK Verlag hohes Lob für seine Entdeckerfreude und seinen liebevollen Umgang mit den zwei Texten! Das musste ich jetzt loswerden. Aber zu Eurer Frage: Beide Erzählungen fußen jeweils auf einem wahren Ereignis, das nur in ganz wenigen Zeilen aktenkundig gemacht ist. Freilich hätte ich mit viel emsiger Wühlarbeit mehr „Wahrheit“ aufstöbern können. Aber ich finde immer, das ist verplemperte Zeit. Als Autor setzt man viel besser seine Phantasie in Gang und erfindet sich seine Figuren und ihre Wünsche, Erwartungen und Verirrungen ganz neu. Die beiden Täter in den Geschichten haben kaum noch etwas mit den Originalen zu tun. So kann ich ohne den Ballast der „Wirklichkeit“ viel genauer hervorheben, dass beide eine Schuld auf sich geladen haben, die sie nicht mehr loswerden können. Zum Schluss büßen sie beide und jeder für sich auf seine gewalttätige Art.
Haben wir es richtig verstanden, dass es sich bei den Erzählungen nicht um Bayernkrimis handelt, sondern hinter der Freisinger Fassade die Frage nach Schuld und Sühne gestellt wird?
Ganz richtig. Im Krimi allgemein und im Bayernkrimi genauso sind die Bayern so kriminell, dass sie eine eigene Untergattung kriegen! Im Krimi wird der Täter immer unwiderlegbar von einem Kommissar überführt und zwar mit allen Künsten der Vernehmungstaktik, der Fingerspuren-suche und der DNA-Analyse. Und immer, immer siegt die Gerechtigkeit (Ephraim Kishon: „Es gibt nichts Langweiligeres als die siegende Gerechtigkeit.“) Dass ich die Geschichten in Freising gelassen habe, na ja, warum nicht? Die Gegend hier kenne ich und eine solide Erzählung muss in einem soliden Boden wurzeln. Wie weit es ihr dann gelingt, über die Region hinauszuschauen und überregional gesehen zu werden, tja… Entscheidend ist bei mir, dass nicht etwa ein amtlich befugtes Mitglied der allmächtigen Mordkommission den Täter einkreist. Meine Täter treibt es um, bis sie sich ihrer Gewissensnot geschlagen geben.
Wie bist Du auf diese beiden Geschichten gestoßen?
Das Ehepaar Sepp und Resi Riedl in Jägersdorf hat mir von dem armen Andrè erzählt. Na und an den Mord an der armen Leni Hörger erinnert man sich halt persönlich noch, war ja erst 1954 (jetzt bitte nicht nachrechnen, blühende Jugend!).
Durch Deine ganzen Arbeiten zieht sich wie ein roter Faden das Thema Heimat. Als Beispiele nennen wir Hinterkaifeck, die Wiesingers, Franz Xaver Brunnmayr, die fünfte Jahreszeit und die beiden aktuellen Bücher. Hat es damit zu tun, dass Dich als Heimatvertriebenen das Thema Heimat besonders beschäftigt?
Ja! Wenn man die eine Heimat verloren hat, krallt man sich besonders hartnäckig in die neue, die man sich erobern durfte. Und gerade in meiner jetzigen Situation erfahre ich so viel Hilfe und treue Freundschaft von – nein! Sie sind alle bescheidene Leute, die ich nicht ans Licht zerren darf. Nur so viel: „Ich bin ein Freisinger!“ Und jedenfalls klingt das seriöser als „Ich bin ein Hotzenplotzer“.
Darf ich noch was sagen? Immer wieder taucht im TV oder im Kino der Name Matthias Keilich auf, auch er Drehbuchautor und Regisseur („Die Könige der Nutzholzgewinnung“). Auch er stammt aus Hotzenplotz, wir haben denselben Beruf im selben Bühnenverlag (Verlag der Autoren) und sind natürlich miteinander verwandt. Um 1879 taucht bei uns beiden eine Anna Seichter auf, aber wie wir verschwistert und verschwägert sind, das zu klären haben wir keinen Gewährsmann mehr. Wir kennen uns ja auch erst seit 4 Jahren, als Matthias in „meinem“ Theaterverlag gelandet ist. Also schauen Sie, liebe Leser, bitte auch auf die Vornamen und beschämen Sie mich nicht mit einem Lob, das dem Herrn Vetter zugedacht ist.
(Das Gespräch führten Rudolf und Thomas Goerge.)
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2012.
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