Seit einem Jahrzehnt steht Tobias Eschenbacher als Oberbürgermeister an der Spitze der Großen Kreisstadt Freising. Im Alter von 34 Jahren setzte er sich im März 2012 in der Stichwahl mit 56,9 Prozent der Stimmen durch. Am 25. März 2020 wurde Tobias Eschenbacher mit 65,5 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang in seinem Amt bestätigt.
Eschenbacher wurde in München geboren, kam im Alter von sechs Jahren nach Freising, besuchte die Grundschule in Vötting, dann das Dom-Gymnasium und schließlich die Fachoberschule in Freising. Nach der Fachhochschulreife und dem Grundwehrdienst absolvierte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Seine politische Laufbahn begann Eschenbacher 1995 bei der CSU, zog 2002 erstmals in den Stadtrat ein. Nach Gründung des Vereins Freisinger Mitte im September 2011 eroberte Eschenbacher für die FSM den Chefsessel im Rathaus. Und da sitzt er heute noch. Im Gespräch mit dem FINK zieht Eschenbacher Bilanz.
Die erste Frage und gleich mal vorneweg: Macht Ihnen das Amt noch Spaß?
Ja, überwiegend. Man merkt jetzt schon, dass wegen der Corona-Pandemie alles angespannt ist. Jetzt kommt noch der Ukraine-Krieg dazu. Man merkt: Die Leute können nicht mehr, die Nerven liegen blank. Und das merkt man auch bei uns im Haus. Auch da sind die Menschen belastet und das macht sich ein wenig in der Stimmung bemerkbar. Gottseidank läuft es thematisch aber gut, da gibt es Impulse, die einem immer wieder Auftrieb geben. Trotzdem: Die bedrückende Stimmung durch die Pandemie und den Krieg schlägt durch.
Bei Ihnen auch?
Ja, klar. Auch mich lässt das selbstverständlich nicht kalt. Ich muss sagen, dass ich persönlich von der Pandemie nicht so betroffen war. Die Einschränkungen waren für mich aushaltbar, nicht sooo dramatisch. Aber ich kenne natürlich Leute, für die es dramatisch war – wenn man kleine Kinder hat und für die Betreuung jemand braucht, oder wenn man direkte Angehörige durch Corona verloren hat oder wenn man es selbst hatte und noch an den Nachwirkungen leidet. Das ist freilich schon hart. Und der Ukraine-Krieg belastet mich auch. Das ist etwas, von dem ich nicht gedacht hätte, dass das in solch einer Nähe zu uns wieder passieren könnte. Das geht nicht spurlos an mir vorbei.
Was sind denn die schönen und was die weniger schönen Seiten des Amts?
Die schönen Seiten sind sicherlich, dass man etwas bewegen kann und dass man eigentlich jeden Tag sieht, was man schafft und bewirkt in unserer Stadt. Und da läuft es wirklich gut. Man kann sagen, dass wir kontinuierlich etwas voranbringen. Man merkt freilich, dass die Leute die Baustellen allmählich satt haben. Andererseits merkt man aber auch, dass die Menschen es durchaus anerkennen, dass etwas passiert, und die Projekte mit all den vorübergehenden Einschränkungen mittragen. Denn sie wissen, das ist jetzt notwendig, das dauert noch etwas, aber dafür wird es richtig schön. Das andere Positive am OB-Dasein ist, dass man – also in Nicht-Pandemie-Zeiten – viel herumkommt und viele Menschen trifft. Das passiert aktuell im Netz und in Videokonferenzen. Auch das funktioniert, aber man merkt, dass nach zwei Jahren Pandemie die Leute sich wieder treffen wollen. Ich merke es an mir selbst: Ich freue mich, wenn ich mal wieder einen Termin auswärts habe und eine halbe Stunde unterwegs bin. Sonst sitze ich ja nur im Büro oder im Homeoffice oder in einer Halle auf Abstand bei irgendwelchen Sitzungen. Also interessant ist an dem Job in normalen Zeiten, dass man sehr viele interessante Menschen kennenlernt, dass man sich mit sehr vielen Themen beschäftigt.
Die weniger schönen Seiten?
Klar, der Job geht mit einer großen Verantwortung einher und man steht sehr in der Öffentlichkeit. Und dadurch ist man eine große Projektionsfläche. Das heißt, man hat gerade dann große Herausforderungen, wenn es Probleme gibt. Denn es ist in einer Kommune klar: Wenn es irgendein Problem gibt, dann liegt es für die Bürger an der Bürokratie – und teilweise stimmt das auch. Und am Ende der Beschwerdekette stehe halt ich.
Lernt man in dieser Beziehung dazu? Steigt die Leidensfähigkeit?
Mir gelingt es fast immer zu differenzieren zwischen Oberbürgermeister und mir. Das muss ich mir immer wieder vor Augen halten – gerade wenn es emotionaler wird, ich selbst auch trotzig oder wütend werde und mir denke, so lasse ich nicht mit mir reden. Ich trete dann einen Schritt zurück und überlege, ob das auch so passieren würde, wenn jemand anders gerade dasitzen würde in dieser Position. Und fast immer lässt sich diese Frage mit Ja beantworten. Und dann versuche ich, die Emotionen auszublenden und zu schauen, was die eigentlichen Themen sind. Denn in diesem Job ist man ja bemüht, einen Kompromiss oder sogar eine Lösung für jedes Anliegen zu finden. Freilich kann das nicht immer gelingen.
Das heißt, der Herr Oberbürgermeister muss sich mehr gefallen lassen als der Herr Eschenbacher?
Richtig. Das auf jeden Fall. Das ist zumindest meine Auffassung. Es ist auch ein Teil dieses Jobs, dass man für die Menschen eine Projektionsfläche darbietet. Dinge, die ich mir privat nicht gefallen lassen würde, lasse ich mir als Oberbürgermeister gefallen – auch nicht alles, da gibt es natürlich Grenzen, aber es gibt schon Emotionen, die ich aushalte.
Wie fällt die Gesamtbilanz aus? Gibt es auch etwas, das Sie gerne geschafft und angepackt hätten, was aber noch nicht passiert ist?
Ja sicher. Gerade bei neuen Wegeführungen merkt man mit der Zeit, dass es doch recht schwierig ist. Ich denke da vor allem an den Bahnposten 15. Das habe ich mir am Anfang viel leichter vorgestellt. Freilich verstehe ich die Komplexität des Projekts. Dieses Projekt habe ich bisher nicht geschafft, das muss man ganz ehrlich sagen. Die Maßnahmen, die wir jetzt in dem Vertrag mit der Initiative Radentscheid Freising aufgeführt haben, sind zwar nicht neu für uns, weil sehr vieles davon bereits beschlossen wurde. Aber diese erneute Auflistung bringt eine gewisse Struktur. Wir haben nun einen Überblick, was in ein, drei oder fünf Jahren realistisch umsetzbar ist. Und das finde ich hilfreich. Mit der Gesamtbilanz bin ich persönlich zufrieden: Es gibt einige Bereiche, bei denen wir Halb-Jahrhundert- oder gar Jahrhundert-Projekte angepackt und fertiggestellt haben oder die zumindest in der Fertigstellung sind. Das ist nicht alles mein Verdienst, das ist schon klar, weil es ja Projekte sind, die schon länger vorbereitet sind. Aber zum Beispiel die Westtangente hat in den vergangenen 50 Jahren gezeigt, dass die Umsetzung sich verzögern lassen oder sogar scheitern kann. Das gilt auch für die Innenstadtsanierung – ein riesiges Projekt, das man in dieser Größenordnung nur alle 50 oder 100 Jahre einmal anpackt. Das Asamgebäude ist eigentlich ein 300-JahreProjekt. Das finde ich schon super, bin vor allem aber dankbar, dass ich so viele tolle Kolleginnen und Kollegen habe, die diese einzelnen Projekte bearbeiten. Als OB trägt man ja die Hauptverantwortung, aber nicht die Hauptarbeit. Und da haben wir in Freising ein Riesenglück wir haben so tolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Ohne die würde es nicht gehen. Und deshalb finde ich es wichtig, dass man gemeinsam auf die Projekte blickt, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind natürlich genauso stolz, so etwas umzusetzen.
Sie haben eine ausgleichende Art. Das scheint sich in der Stimmung im Stadtrat niederzuschlagen. Sticheleien, Mäkeleien, böses Blut praktisch Fehlanzeige. Sehen Sie das auch so?
Sagen wir mal so: Ich bemühe mich, dass ich die Dinge nicht persönlich nehme. Und meistens gelingt es mir. Ein bis zwei Mal pro Jahr schaffe auch ich das nicht. Das merken die Kolleginnen und Kollegen aber schnell. Vielleicht ist das ein Vorteil von mir, der die Arbeit erleichtert. Denn ich finde, dass es mehr Spaß macht, wenn man gemeinsam an den Dingen arbeitet und nicht konfrontativ. Ob das die richtige Art und Weise ist, weiß ich nicht, aber mir macht es mehr Spaß zu sagen „Komm, das packen wir jetzt gemeinsam an“. Auch wenn es auf dem politischen Feld um Wettbewerb geht, kann man mit Respekt diesen Weg des Wettkampfs der besten Ideen gehen. Es ist ja auch so, dass nicht alle Beschlüsse so laufen, wie ich mir das vorstelle. Aber man tut sich am Ende einfach leichter, einen Kompromiss einzugehen, wenn alle Argumente ausgetauscht und jeder gehört wurde.
Wie interpretieren Sie Ihre doch klare und ungefährdete Wiederwahl im Jahr 2020?
Das Ergebnis hat mich schon sehr erstaunt. Das war schon außergewöhnlich gut. Ich durfte mich davor in acht Jahren beweisen und habe dann als Quittung ein Ergebnis bekommen, das ich eben als außergewöhnlich bezeichnen würde. Man arbeitet die ganze Zeit an Themen, bei denen es Probleme gibt. Es kommen oft Menschen auf mich zu, wenn es Probleme gibt. Da hat man oft den Eindruck, dass es von einem Problem zum nächsten geht, dass ganz viele unzufrieden sind. Und da stellt einem so ein Ergebnis wie in 2020 wieder vor Augen, dass die große, meist schweigende Mehrheit zufrieden ist und sogar die Arbeit honoriert. Ich konnte durch meine Arbeit noch einmal so viele Menschen wie 2012 von mir überzeugen. Und das ist für einen Politiker das beste Ergebnis, das man sich wünschen kann.
Bestätigt wird das ja auch dadurch, dass sämtliche Bürgerentscheide in den vergangenen zehn Jahren – sei es Westtangente, Moosachöffnung, Transgourmet – sozusagen gewonnen wurden, also der Wille des OB und der Stadtratsmehrheit bestätigt wurden.
Die Bürgerentscheide zeigen ja noch einmal den klaren Willen der Bürgerschaft. Da geht es um Themen, die man eigentlich auf die Mandatsträger transferiert hat, die aber so wichtig für die Allgemeinheit sind, dass man nochmal extra darüber entscheiden will. Wie das Beispiel Westtangente zeigt, kann so ein Bürgerentscheid gerade auch bei aufwändigen und umstrittenen Themen eine klarstellende Wirkung haben: Es passt schon, in welche Richtung das geht. Der Bürgerentscheid zur Moosachöffnung hat mich anfangs ein wenig geärgert, weil er erst initiiert worden ist, nachdem alle Beschlüsse gefasst worden waren. Aber so im Rückblick war das gar nicht schlecht, weil das unter die emotionale Diskussion einen Schlussstrich gezogen hat. Wenn also die Bürgerentscheide die Beschlüsse des Stadtrats bestätigt haben, dann zeigt das, dass wir da auf dem richtigen Weg waren. Von „gewonnen“ würde ich da nicht reden.
In den kommenden Jahren werden einige Großprojekte abgeschlossen. Und dann, Herr Oberbürgermeister? Brauchen die Stadt oder auch die Finanzen eine Verschnaufpause? Oder haben Sie schon die nächsten Großprojekte im Visier?
Das ist schwierig zu sagen. Man hat natürlich schon etwas das Bedürfnis, zu sagen, dass jetzt erstmal etwas Ruhe sein soll. Aber wir leben in einer unheimlich dynamischen Region, in der wir unter einem sehr hohen Druck stehen – Siedlung, Verkehr, demographischer Wandel, und und und. Es wird also weitergehen. Wir haben uns ja entschieden, bei der Internationalen Bauausstellung (IBA) mitzumachen, das ist ein Zehn-Jahres-Projekt. Da gibt es beispielsweise das Strukturkonzept für den Bahnhof. Und in Freising sind noch genügend Flächen vorhanden, auf denen es einiges zu tun gibt: der P+R-Platz, die Luitpoldanlage zum Beispiel. Die Themen werden in den nächsten zehn Jahren nicht ausgehen. Natürlich muss man die finanzielle Lage im Blick haben, man merkt ja gerade, wie die Preise in die Höhe gehen. Wir haben einige Einrichtungen, die andere Kommunen nicht haben und die defizitär sind– das Schwimmbad fresch zum Beispiel. Das kostet uns ungefähr zwei Millionen Euro im Jahr – und das muss man sich als Kommune erst einmal leisten können. Aber ich bin jetzt seit 20 Jahren im Stadtrat, und es hat immer eng ausgesehen, war dann in der Realität aber immer besser.
Es droht Ärger: Josef-Hofmiller-Gymnasium und die Event-Arena. Da braucht man gute Nerven, oder?
Zum Thema JoHo: da gilt das, was bei allen anderen Themen auch gilt. Man sollte versuchen, das Ganze sachlich zu betrachten. Das wäre eigentlich meiner Auffassung nach immer der richtige Weg. Mir sind da derzeit zu viele politisch-emotionale Aussagen in der Diskussion. Mir fehlt da die Einstellung bei manchen: „Wir schauen es uns erst an und entscheiden dann“. Ob Generalsanierung oder Neubau oder ein anderer Standort – das sollte man sich objektiv anschauen. Es gibt Handlungsbedarf beim Gebäude, aber es ist ja nicht kaputt, es ist eine funktionsfähige Schule. Die Schule hat ja auch Ausstrahlung und Flair.
Und die Event-Arena?
Bei der Event-Arena ist es auch spannend, weil es ein emotionales und polarisierendes Thema ist. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung so eine Einrichtung haben möchte. Es wird ja manchmal so dargestellt, als würde ein Investor dort etwas bauen, was für uns ein Problem ist. Aber letztendlich baut er es ja nur, weil die Nachfrage da ist. Und weil da auch viele Freisinger zu Konzerten gehen würden, hat das ja auch für den einzelnen Bürger einen Mehrwert. Gleichzeitig hat es für uns als Kommune einen Mehrwert, weil es auf unserem Gebiet liegt und wir dadurch Gewerbesteuereinnahmen haben. Es hätte für uns auch den Vorteil, dass man eine Halle mit Kapazitäten bekommt, in der man auch einmal einen größeren Kongress abhalten könnte. Auch das Wissenschaftszentrum Weihenstephan benötigt Kapazitäten in dieser Größe. Der große Vorteil ist freilich, dass es uns nichts kostet. Klar gibt es Punkte, die man beachten und lösen muss – zum Beispiel die Verkehrsanbindung –, aber dafür gibt es ja ein aufwändiges Bauleitverfahren.
Was war das erfreulichste Erlebnis in zehn Jahren Oberbürgermeister?
Das ist jetzt schwierig. Es gab viele schöne Erlebnisse, da kann ich nur schwer ein einzelnes hervorheben. Vielleicht tatsächlich das Wahlergebnis aus dem Jahr 2020, schließlich habe ich mich auch acht Jahre lang angestrengt.
Und das unerfreulichste?
Es gab ein paar schlimme Momente, wenn man Kollegen verliert. Jedes Schicksal ist schwierig, manche Bürgermeisterkollegen sind gestorben. Und da tue ich mich schwer, das nagt an mir.
In welchen Gremien sind Sie eigentlich überregional vertreten?
Ich bin Vorsitzender vom Bau- und Planungsausschuss im Bayerischen Städtetag, Vorsitzender vom Ausschuss für Städtebau und Umwelt im Deutschen Städte- und Gemeindebund, Vorstand vom Bayerischen Städtetag, im Vorstand der Europäischen Metropolregion München und dort auch im Lenkungsausschuss, dann bin ich Mitglied im Planungsausschuss vom regionalen Planungsverband, im Nachbarschaftsbeirat, in der Fluglärmkommission und ich bin Vorsitzender der Leader-Aktionsgruppe Mittlere Isar. Ich fühle mich schon verantwortlich, die kommunalen Interessen zu vertreten.
Haben Sie Buch geführt, wie viele Trauungen Sie vollzogen haben?
Nein, die Zahl kann ich nicht genau sagen. Aber ich würde mal schätzen, dass es so zwischen 120 und 130 waren.
Kommen da ab 2026 noch mehr dazu? Oder, anders gefragt: Werden Sie 2026 wieder antreten?
Das kann ich heute noch nicht sagen. Bis dahin sind es noch vier Jahre. Nach einer Tendenz können Sie mich in zwei Jahren fragen. Der Job ist anstrengend, aber er macht auch Spaß.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2022.
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