Brigitte Stenzel versteht es vorzüglich, perfekt zu malen, ihre häufig großformatigen Gemälde erwecken den Eindruck, als ob sie seit Jahrzehnten nichts anderes gemacht hätte, als eben darauf hin zu arbeiten. Doch dem ist mitnichten so. Zwar zeichnete und malte sie bereits als Kind gerne und viel gemeinsam mit ihren Schwestern, aber ihr Herz schlug für die Musik. Nicht ganz unschuldig daran waren ihre Eltern, die großen Wert auf eine musikalische Bildung legten und ihr entsprechenden Unterricht ermöglichten. Dabei entschied sie sich von Anfang an für die schwierigeren Instrumente, suchte die Herausforderung und griff als Sechsjährige (!) zum Akkordeon. Als Mentor fungierte damals der weithin bekannte Helmut Schranner, dessen Unterricht an der Musikschule Freising für sie so etwas wie eine Initialzündung werden sollte. Der umtriebige Musiker weckte nämlich zudem ihre Begeisterung für das Saxophon, was ihr sehr zu pass kam, da sie auch mal ein anderes Instrument spielen wollte. Von dem Blech war sie so angetan, dass Schranner die junge Freisingerin bald in seine Blaskapelle namens ‚Holledauer Musikanten‘ integrierte.
Und schon war sie mittendrin im Musikerleben, absolvierte so manche Konzerte und probierte sich in anderen Konstellationen aus, wie etwa mit einer Schülerband, in der sie per Bass für die tiefen Töne der Independent-Stücke sorgte. Nach zahlreichen Auftritten in der Region ging es dann bis nach Italien, zu den ’Europatagen der Musik‘, einem Street- Festival, das alljährlich in Bologna stattfindet. Verantwortlich dafür ist Beate Kittsteiner, ebenfalls Lehrerin an der Musikschule Freising, die 1998 das Saxophon-Quarett ‚Saxadon/na‘ gründete, dem Stenzel von Beginn an angehörte. Diese Gruppierung, die sich in erster Linie auf den Jazz in all seinen Facetten konzentriert, war aus dem Stand heraus so erfolgreich, dass sie bereits 1999 den 1. Preis des Freisinger EFI Musikwettbewerbs gewann. Dem folgten zahlreiche Konzerte, zwei hörenswerte CD-Produktionen und Touren nach Augsburg, Salzburg, Wien, Ferrara und eben Bologna. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich, dass die Altsaxophonistin Musik studieren wollte, deshalb vom naturwissenschaftlichen Hofmiller- auf das musische Camerloher-Gymnasium wechselte, um dort den Leistungskurs Musik belegen zu können. Als sie aber dann das Abitur in der Tasche hatte und eine Entscheidung für die weitere Ausbildung anstand, kamen ihr Selbstzweifel bezüglich eines Musikstudiums.
Angeregt durch den Ethik-Unterricht in der Schule interessierte sie sich für Philosophie und erkor sich dieses Fach für ein Studium in Regensburg aus, mit Kunstgeschichte als Zweitfach. Da sie aber freilich immer den Gedanken des späteren Auskommens im Kopf hatte, wechselte sie nach drei Jahren wegen der Möglichkeit einer kunstpädagogischen Ausbildung an die Akademie der Bildenden Künste in München. Eher zufällig, sofern es Zufälle überhaupt gibt, landete sie in der Klasse von Anke Doberauer und hatte ihr Berufung gefunden, ohne es gezielt zu suchen. Hier entdeckte sie ihre Lust am Malen und die Erkenntnis, dass sich auch mit anspruchsvoller Malerei Geld verdienen lässt. Das war anno 2006. Angesichts der Tatsache, dass sie erst vor 15 Jahren anfing „richtig zu malen“, hat sie zwischenzeitlich eine atemberaubende Blitzkarriere hingelegt.
Gleich zum Auftakt ihres Kunststudiums wurde sie als von der ‚Jubiläums-Stipendium-Stiftung‘ des Akademievereins bedacht, begann bereits 2007 Ausstellungen einzurichten, 2009 avancierte sie zur Preisträgerin des Wettbewerbs ‚König Ludwig II‘. 2010 sollte ein entscheidendes Jahr für ihren weiteren Weg werden: nachdem sie ihr Staatsexamen für das Lehramt abgelegt hatte, übersiedelte sie nach Prag, wo ihr ein Erasmusstipendium für ein Jahr ein zusätzliches Studium an der Akademy of fine Arts AVU ermöglichte, was sie so sehr bestärkte, dass sie sich von da an ganz und gar auf die Bildende Kunst konzentrierte und der Musik adieu sagte. So wie es aussieht, war diese Entscheidung goldrichtig. 2011 wurde ihr der ‚Förderpreis der Antonia-und-Hermann-Götz-Stiftung‘ verliehen, drei Jahre später wurde sie für das Atelierförderprogramm der Stadt München ausgewählt. Seither arbeitet sie in den weithin bekannten Domagk-Ateliers im Norden der Landeshauptstadt. 2015 erhielt sie ihr Diplom für Malerei und Graphik und damit einen weiteren Baustein für ihre Fortentwicklung, wie etwa ein Atelierstipendium des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung, Kultus, Wissenschaft und Kunst oder Einladungen zu Artist in Residence-Stipendien in Maskat und Abu Dhabi. Einen weiteren Höhepunkt stellt eine ganz spezielle Auftragsarbeit dar, ein Gemälde für den Privataltar von Kardinal Marx im Erzbischöflichen Palais Holnstein. Mit raffiniertem Feingefühl entwickelte sie eine zeitgenössische Verkündigungsszene, in der Maria im Profil vor einem leicht geöffneten Vorhangspalt, durch den ein gleißendes Licht hereinstrahlt, steht und in eben dieses Licht gerade so hineinschaut, wie es Darsteller auf der Bühne tun, wenn sie zu ihrem Publikum blicken.
So wie hier spielt die Lichtführung in ihren Bildern eine entscheidende Rolle. Mal ist die gesamte Komposition hell erleuchtet, an anderer Stelle schiebt sich ein dramatischer Lichteinfall aus dem Dunkel hervor, dann werden wesentliche Elemente wie von einem Spot betont, oder aber ganze Szenerien versinken im Nebel, wenn nicht gar im fahlen Schimmer des nächtlichen Mondscheins. Der christlichen Ikonographie aber bedient sie sich eher selten, so wie etwa in zwei Arbeiten aus dem Jahr 2009, die vom Diözesanmuseum Freising angekauft wurden. ‚Abendmahl‘ zeigt zwei wie Putten anmutende Kinder, die sich vor einem düsteren Himmel einen Apfel teilen, ein sinnfälliger Verweis auf den Sündenfall und das letzte Abendmahl. ‚Himmelfahrt‘ verleiht unzähligen wunderschönen, vom Aussterben bedrohten Schmetterlingen, gemalt auf Goldgrund, zu einem letzten Leuchten. So wie sie hier mit ikonographischen Bedeutungen gezielt agiert, macht Stenzel das häufig, um deren Inhalt und Aktualität zu hinterfragen und deren unendliche Interpretationsmöglichkeiten zu erforschen. Und immer wieder stellt sich dabei heraus, dass die christliche Ikonographie ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Ikonographie ist, denn schließlich leben wir in einer christlich geprägten Gesellschaft.
Mit dieser Methode konzipiert sie ausdruckstarke Bilder, die immer wieder die Symbiose von Mensch und Natur zum Thema haben, die aufzeigen, wie bedeutend es ist, dass der Mensch im Einklang mit der Natur lebt. Häufig schwingt dabei auch der Ansatz der Romantiker mit, die danach strebten, im Einklang mit der Natur zu leben, ein Gedanke, der kaum aktueller sein könnte. Stenzel ist dabei durchaus kritisch, setzt eine Figur ins Bild, die auf einer sonnigen Maiwiese liegend in den blauen Himmel mitsamt seinen Kondensstreifen blickt. Häufig spielen ihre Geschichten in Freising und Umgebung, wo sie geboren und aufgewachsen ist und ihre ersten Entdeckungen machte, eine Rolle. Heute inspirieren sie unterschiedlichste Erlebnisse zu Konzeptionen, die sie mit technischer Perfektion in naturalistische Gemälde transferiert. Immer wieder schwingt dabei eine philosophische Note mit, die wie im Nachhinein erklärt, warum sie sich einst für ein Philosophiestudium entschied. Und wer die Existenz des Daseins hinterfragt, der reflektiert auch über sich selbst und so erscheint es nur logisch, dass sie selbst als Modell fungiert, einer klassischen Methode, um so niemandem zu nahe zu treten.
Weil das mit dem einander nahe Treten in den letzten eineinhalb Jahren oft gar nicht so einfach war, verbrachte sie viel Zeit allein in ihrem Atelier und begann Stillleben zu komponieren. Diese gelten seit je her als Metapher für den Vanitas-Gedanken, an dem Stenzel gezielt arbeitet, in dem sie Tier- und Menschenschädel als elementare Bestandteile nutzt und so das Memento Mori thematisiert. Dank ihrer meisterlichen Malweise, die an jene der Renaissance erinnert, verleiht sie selbst diesen melancholischen Motiven Brillanz. Wie das genau aussieht, lässt sich alsbald in mehreren Ausstellungen erleben. Vom 15. Oktober bis 3. Dezember 2021 stellt Stenzel mit drei Kollegen im Auktionshaus Koller in München am Maximiliansplatz 20 (Mo – Fr 10 -16 Uhr) aus, ab 8. Dezember ist sie an einer Ausstellung in der Pasinger Fabrik beteiligt und das Diözesanmuseum zeigt die beiden Ankäufe in seiner Eröffnungsausstellung im kommenden Jahr. (Elisabeth Hoffmann, Foto: Thomas Dashuber)
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2021.
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