Es sind vor allem die musikalischen Erinnerungen und jene akustischen Rückblenden, mit denen wir das Leben kartographieren. Denken wir zurück, hören wir oftmals Klangkulissen, Soundfragmente oder einzelne Töne – doch wenn wir Glück haben, sind Erinnerungen mit Songs oder ganzen Alben verwebt und auf alle Ewigkeit unauslöschlich verbunden. Und hier stellt sich die Frage: Was haben wir vor 20 Jahren gemacht? Haben wir zum Himmel hochgeschaut und nach den Rissen zwischen den Wolken gesucht, nach dem „Hole In The Sky“? Im Jahr 2000, nur ein paar Monate nach der totalen Sonnenfinsternis, legte eine Freisinger Band nämlich einen Tonträger vor, der selbst zwei Jahrzehnte später voller Geheimnisse steckt und gleichzeitig doch alles freilegt: Ein Soundtrack, der aus Stanley Kubricks Träumen entstanden schien und damit zum perfekten Nachhall dieser Zeit wurde. RPWL malte mit ihrem Debüt „God has failed“ auf ganz großer Leinwand, vermutlich sogar ohne es zu bemerken, und schuf diesen ganz speziellen Sound, der in der Rückschau getrost als schönste Echokammer der Jahrhundertwende gelten kann – ein wenig geheimnisvoll und mit losen Querverweisen auf die versteckte Welt von Syd Barrett. Und wenn er auch unvermeidlich ist, dieser Vergleich zu Pink Floyd, ist er im Grundsatz falsch: RPWL schwamm sich schon mit den ersten Tönen vom Opener „Hole In The Sky“ frei und zeigte damit, dass in Freising Musik von Welt-Niveau gemacht werden kann. Oder anders gesagt: Das Licht der Band fing an zu leuchten.
Eigentlich, erzählt Kalle Wallner, war ja zur Feier des Alben-Jubiläums alles anders geplant gewesen, nämlich eine große Anniversary-Tour, auf der dann „God has failed“ erneut live auf die Bühnen gebracht werden sollte. Die Corona-Pandemie machte der Band allerdings einen gehörigen Strich durch die Rechnung – aber die Träger des Freisinger Kulturpreises wären nicht eine Ausnahme-Erscheinung, wäre ihnen da nicht etwas Wunderbares eingefallen. Denn das Debüt war nicht nur damals ein Verkaufserfolg, es geht auch heute noch oft über die Merchandise-Theke. Die Fan-Gemeinde, und auch das weiß Wallner, interessiert sich natürlich für die Anfänge der Band. Nicht zuletzt, weil ja beispielsweise unter anderem „Hole In The Sky“ immer noch bei ihren Live-Auftritten zu hören ist, sozusagen als galanter Verknüpfungspunkt zwischen Vergangenheit und Gegenwart mit hoher Symbolik: Letztendlich ist es ihnen ja auch gelungen, den musikalischen Himmel aufzureißen. Und auch das ist faszinierend: Bereits in ihrem ersten Werk ist alles das angelegt, was die Formation bis heute ausmacht. Umso charmanter ist es nun, dass RPWL in ihrer Heimatstadt Freising ihrem Debüt nochmals ein Denkmal setzen, das sich sehen und hören lassen kann. In der Luitpold-Halle reiste die Band nochmal zurück in ihre eigene Vergangenheit – entstanden ist dabei eine großartige Neuauflage ihres Albums, das zweierlei gleichermaßen ist: Eine Hommage und eine Neuentdeckung der Träume von damals.
Erstaunlich: Tatsächlich könnte „God has failed“ ohne Probleme ein brandneues Release von RPWL sein, so unverbraucht und glimmend kommen die Stücke daher. Aber die Freisinger setzten noch eines drauf: Um diese außergewöhnliche Wiedergeburt auch visuell einzufangen, hat RPWL ihre Rückkehr zu den musikalischen Wurzeln auch filmisch mit einem Konzert-Dokument eingefangen. Und das präsentiert sich eindrucksvoll: Filmisch auf höchsten Niveau offenbaren die Aufnahmen, in welcher Liga RPWL eigentlich spielt – traumwandlerische musikalische Episoden, die überall auf der Welt ihr zuhause finden können und das ja auch tun, sogar in Amerika. Und niemand würde es wundern, würde dieses Konzert demnächst auf ARTE laufen. In feinsten Nuancen wird die Luitpoldhalle zur Mitternachtsbühne von Pompeii, und während Yogi Lang längst unter tausend Stimmen herauszuhören ist, gelingt es Kalle Wallner erneut, mit seiner Gitarre jene Sehnsuchtsklänge vibrieren zu lassen, die bei diesem Konzert für Gänsehaut sorgen. Hier ist kein Song schlecht gealtert, keine Textzeile peinlich geworden – sämtliche Stücke von „God has failed“ packen den Zuhörer nach wie vor an den Nervenenden, als wäre es nie anders gewesen. Ein Debüt, das zwanzig Jahre später das offenbart, was es immer gewesen ist und damals vermutlich verkannt wurde – nämlich ohne Zweifel ein Meisterwerk. Und das leuchtet heller denn je.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2021.
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