Kunst als Weltaneignung
Volker Hartmann generiert vielschichtige Bildwelten

Schon während seiner Kindheit in Saarbrücken modellierte Volker Hartmann leidenschaftlich mit Ton. Leider aber konnte er diese Art der Kreativität nicht weiter verfeinern, da ihm dazu schlicht die entsprechende Werkstatt samt Brennofen fehlte. Stattdessen begann er dann als 14-jähriger Diskothekenwände mit den Konterfeis einschlägiger Popgruppen zu bemalen. Parallel dazu spielte das Multitalent sieben Jahre lang den Bass in einer Band, die zunächst Jazz-Standards interpretierte, später zum Free-Jazz und weiter zur experimentellen Musik überging. Dies führte so weit, dass er nach seiner Studienzeit sogar ein Jazzlokal in Wiesbaden eröffnete.

Bereits mit 17 malte er mit wachsender Begeisterung in Öl und liebäugelte damit, nach Wien zu ziehen, in die Stadt der Phantastischen Realisten. Sicher hätte er dort gut hingepasst, doch da er sich außer an der Donau auch in Berlin und in Mainz für ein Kunststudium beworben und überall bestanden hatte, musste er sich entscheiden. Letztlich fiel seine Wahl auf Mainz, wo er in den 70er Jahren Malerei, Kunstgeschichte und Philosophie studierte. Zudem besuchte er die Filmklasse, was in drei vollkommen unterschiedliche Projekte mündete. „Spleen“ beruht auf einem Gedicht von Baudelaire, „Ohne viel Trara“ reflektiert einen Bankraub derart realistisch, dass er dafür eine Polizeigenehmigung einholen musste und als drittes drehte er einen Streifen in Anlehnung an „Das große Fressen“. Schon aus dieser Vielfalt lässt sich erahnen, was sich später in seinen Gemälden ereignen sollte. Doch bevor Hartmann sich vollends in die Malerei stürzte, war er erst noch für vier Jahre in einer Agentur als Illustrator tätig.

1986 startete er schließlich einen Neuanfang in Freising, wo er quasi bei null begann. Als erstes baute er sich sein Atelier in der ehemaligen Seifenfabrik Illinger am Graben zu einem beeindruckenden Ambiente aus. Mit viel Fingerspitzengefühl schuf er dort einen Ort der Ruhe und Konzentration. Wer dies jemals gesehen hat, wundert sich nicht, dass er immer wieder mir innenarchitektonischen Aufträgen betraut wird, zumal er obendrein auch exklusive Möbel aus Holz, Stahl und Marmor entwirft. Er selbst liebt diese Arbeiten als körperlichen Ausgleich zu der Feinarbeit an seinen Gemälden. Zuletzt verlieh er dem Fitness-Studio des Weihenstephaner Hochschulsport neuen Pepp, was er als Trainer im Rahmen des Uni-Sports selbst regelmäßig genießen kann.

Seit nun bald 30 Jahren konzipiert er mit schier unerschöpflicher Finesse komplexe, großformatige Bildwelten, die er als Dialektischen Symbolismus bezeichnet. Die Grundlage seiner Kompositionen bildet die alltägliche Realität in all ihren Facetten, jedoch nicht deren übliche Wiedergabe. Vielmehr bedient er sich des Symbolgehaltes von Menschen, Gegenständen und Landschaften, um daraus metaphorische Bildgeschichten zu kreieren, mit denen er sich die Welt aneignen will. Er betrachtet die Kunst als Möglichkeit, sich des Nicht-Fassbaren zu vergewissern und der unaussprechlichen Wirklichkeit Ausdruck zu verleihen, eine Metasprache als Gegenpol zur wissenschaftlichen Aneignung des Weltgefüges. Paart sich dieser Inhalt in seiner handwerklichen Umsetzung und der Interpretation des Betrachters, der je nach Naturell ganz verschiedene Sichtweisen haben wird, zu einer Einheit, entsteht daraus ein Dialektischer Symbolismus. Er selbst betrachtet sich innerhalb dieses Dialoges als ein Medium, das symbolistische Inhalte erzeugt, um damit den Betrachter zu neuen Sichtweisen anzuregen.

Aufgrund der aufwändigen Technik benötigen seine illusionistischen Bildgefüge, deren Farbauftrag so glatt ist, dass keinerlei Pinselstrich erkennbar ist, Wochen und Monate, um zu reifen. Als Trägermaterial verwendet er Hartfaserplatten oder Sperrholz und stützt sich damit auf die Erkenntnisse der alten Meister, die schon erkannten, dass Holz als Malgrund der Farbe ein besonderes Leuchten verleiht. Bevor er jedoch das jeweilige Gemälde mit Acryl anlegt, überzieht er das Holz mit einem klassischen Kreidegrund. Die Ausarbeitung wird in unzähligen Schichten von fein nuancierten Öllasuren in der Weise aufgebaut, dass sich mehrere Bedeutungsebenen transparent überlagern und so eine Gleichzeitigkeit verschiedener Begebenheiten an unterschiedlichen Orten zu differierenden Zeiten suggeriert wird. Ein Paradebeispiel dafür ist Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, ein 250 auf 172 Zentimeter messendes Oeuvre, das die ganze Geschichte rund um den Terroranschlag vom 11. September 2002 auf das World Trade Center visualisiert. Rund um die zentrale Figur der New Yorker Freiheitsstatue scharen sich Feuer und Rauch, Osama bin Laden, schwer bewaffnete Maskenmänner und auch George W. Bush. Selbst die schöne, schlafende Unschuldige im Vordergrund, eine Reminiszenz an Böcklins „Iphigenie auf Tauris“, wird von einem opulenten Geschütz bedroht. Sämtliche Details in diesem sinnfälligen Werk verdichten sich in einer Form zu einer Geschichte, wie dies üblicherweise aus den Historienbildern vergangener Jahrhunderte bekannt ist.

Ein ebenso klassisches Genre der Kunstgeschichte stellen biblische Motive dar. Volker Hartmann bezieht sich mit seiner Erwartung klar auf das Sinnbild der Verkündigung. Nicht nur, dass die vermeintliche Maria ikonografisch korrekt nach links oben blickt, auch der Raum ist lichtdurchflutet. Aber Achtung, im Hintergrund ist ein aufsteigender Atompilz zu erkennen – hoffentlich keine böse Vorahnung! Hier wie auch in Tarkowskijs Traum spiegelt sich die Liebe des Malers zur Renaissance in Form der verwendeten Architekturen und der idealisierten Landschaften, in denen er gezielte Akzente mit der Führung des Lichtes setzt. Letzteres spielt ebenso in all den durchinszenierten Stillleben eine entscheidende Rolle. Da mutiert das berühmte Abendmahl zu einer Anordnung von drei Brotlaiben auf einem Holztisch, der allein im menschenleeren Raum steht und somit seines Sinnes beraubt ist. Immer wieder muss der Betrachter aufpassen, dass er den gewitzten Gedankengängen eines Volker Hartmann folgen kann.

Dies war in den letzten Jahren in der näheren Umgebung leider nicht möglich, da er sich auf Ausstellungen in Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart konzentrierte. Nun aber ist noch bis zum 22. November 2015 ein Querschnitt seines Schaffens im Bürgerhaus Garching, Bürgerplatz 9, von Montag bis Samstag von 18 bis 20 Uhr und am Sonntag von 10 bis 15 Uhr, zu sehen.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2015.
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