Kunst als Mittel zu überleben
Zeichnungen aus dem Moosburger Kriegsgefangenenlager

„Die Ausstellung ist unfreiwillig aktuell geworden“, sagt der ehemalige Geschichtslehrer Karl Rausch und spielt damit auf den „Krieg vor der Haustür“ an. Der Zweite Vorsitzende des Vereins Stalag Moosburg e.V. ist der Leiter des Projekts „Überlebenskunst – Künstler sehen das Lager“, das weit über den Landkreis hinaus einmalig sein dürfte: In insgesamt vier Ausstellungen werden rund 180 Kunstwerke gezeigt, allesamt im und um das einstige Kriegsgefangenenlager Stalag VII A und das „Civilian Internment Camp No. 6“, dem Internierungslager Nr. 6, entstanden. Die beiden Lager in Moosburg bestanden von 1939 bis 1945 und fast unmittelbar nach der Befreiung der Stadt und des Stalags durch amerikanische Truppen von 1945 bis 1948.

Da wie dort entstanden Kunstwerke – eine Menge Kunstwerke, von denen sich zumindest einige im Moosburger Stadtarchiv und Heimatmuseum erhalten haben. Ein Glücksfall war es, dass Wilhelm Ellböck im Februar 2015 die lange Jahre verwaiste Stelle des Stadtarchivars übernahm und nachforschte, wo denn die Bilder waren, von denen man nur Fotos und Reproduktionen kannte. „Wie einen Aufschrei“ habe er dann den Fund von rund 80 im Stalag VII A entstandenen Kunstwerken empfunden, schildert er den Moment der Wiederentdeckung. Diese sind nun das „Herz der Ausstellung“. Auch im Heimatmuseum lagerten derweil Werke von Kriegsgefangenen und Internierten, die bislang kaum wahrgenommen wurden. Diese außergewöhnliche städtische Sammlung verlangte geradezu nach einer Präsentation. Doch das fand und findet nicht bei jedem Anklang…

Günther Strehle, als Vorsitzender des Vereins Stalag Moosburg e.V. Teil des Mini-Teams, das die Ausstellungsreihe vorbereitet, schildert die Situation: „Erschreckend, dass solche einmaligen Erinnerungsstücke prägender Jahre Moosburgs von manchen Mitbürgern selbst im Jubiläumsjahr Moosburgs als wertlos und uninteressant betrachtet werden. Dies gilt umso mehr, als wir heute für das Erbe dieser Generation verantwortlich sind. Deren Botschaft ist in Anbetracht des neuen Krieges vor unserer Haustür sehr aktuell: Krieg ist Leid der Menschen, ob in Kampf, Trennung, Verlust, Gefangenschaft oder Tod.“

Jeder, der diese Kunstwerke aus eigener Anschauung kennt, ist begeistert von ihrer Wucht, beeindruckt von ihrer Lebendigkeit, Farbigkeit oder feinen Ausführung. Mit „Lagerkunst“ würde man Tristesse verbinden, meint Rausch. „Da sind satte Farben ein Gegenentwurf.“ Die Moosburger Kunsthistorikerin Christine Fößmeier, ebenfalls Teil des Teams, beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren mit diesen Werken und hat selbst einige Originale aufgetan. Immer wieder kommt sie ins Schwärmen: „Die Bandbreite ist enorm. In Moosburg waren später in ihren Heimatländern renommierte Künstler inhaftiert und tätig, daneben Menschen, die hier vielleicht zum ersten Mal ernsthaft zu zeichnen begannen. Gewissermaßen Dilettantisches trifft auf perfekt Ausgeführtes oder lässig Hingeworfenes, das seine Qualität erst bei genauer Betrachtung offenbart.

 

Ihren Entstehungsort können diese Werke jedoch nicht verleugnen und das nicht nur, weil dort Männer in Uniformen, Baracken und nicht zuletzt Lagerzaun und Wachturm auftauchen. Es ist der schmerzhaft banale Alltag in der Ausnahmesituation, die Beschränktheit innerhalb der engen Grenzen des Lagers, was auf vielfältige Weise dargestellt ist: Antreten und Inspektion einerseits, „Spaziergänge“ durch das Lager und Schwarzmarkt andererseits. Immer wieder taucht das Thema Essen auf: Ganze Kübel mit Suppe oder Eintopf werden von der Küche zu den einzelnen Baracken transportiert, und beim Verteilen wird genau beobachtet, dass es gerecht zugeht. Manche scheinen die Mahlzeit regelrecht zelebriert zu haben, während andere Quantität und Qualität bemängelten. Manches Gesicht schreit förmlich „Hunger“.

Die Kunstwerke dürfen jedoch nicht oder nicht nur als Dokumentation des Lebens im Lager verstanden werden. Das ist der Kunsthistorikerin wichtig: „Besonders die Karikaturen oder solche Bilder, die zum Schmunzeln einladen, sprechen die Betrachter an. Doch der Humor übertüncht nur das eigentliche Leiden an der Situation.“ So durchsuchen in einem Bild Kriegsgefangene ihre Kleidung nach Läusen, permanente Plagegeister wie Überträger des Fleckfiebers, und „knacken“ das Ungeziefer mit ihren Fingern. Fößmeier zeigt auf, dass die Männer durch die traumatisierende Extremsituation auch auf vielfältige Weise von psychischer Erkrankung bedroht waren. Für die lähmende Depression gab es sogar einen Namen: „Stacheldrahtkrankheit“. Mit diesem Hintergrund bekommen die Bilder, in denen der Lagerzaun den Horizont verstellt, eine tiefere Bedeutung. Mehr noch war jegliche Form der Beschäftigung, von deren Bandbreite auch die Bilder künden, darunter Spiel, Sport oder Kultur, von den Bewachern eine sogar geförderte Aktivität, um den gefürchteten Lagerkoller zu vermeiden. Gerade das Kunstschaffen stellte eine gute Methode dar, die äußeren und inneren Erlebnisse zu verarbeiten, also keineswegs nur schlichter Zeitvertreib, sondern „Überlebensmittel“. Deshalb heißt die Ausstellungsreihe auch vieldeutig „Überlebenskunst“.

„Hinter jedem Werk wird ein Mensch sichtbar“, macht Strehle deutlich. „Jeder mit anderen Wahrnehmungen und Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch mit (Über-)Lebenswillen trotz der Entbehrungen.“ Um dem Publikum die ganze Bandbreite des Kunstschaffens zu vermitteln, hat Fößmeier bei der Konzeption der Ausstellungsreihe nicht einfach nur die Anzahl der Werke durch vier geteilt. Teil 1 mit dem Titel „Hinterm Stacheldraht“ thematisiert sowohl den Alltag im Stalag VII A wie die „Stacheldrahtkrankheit“, darüber hinaus die Vielfalt der in Kriegsgefangenschaft entstandenen Kunst. „Traum und Trauma“ heißt der zweite Teil, wobei auf verblüffende Weise auch die Träume der Deutschen einfließen. Ein eigener Teil nur für Porträts war Fößmeier ein Anliegen. In „Die Gezeichneten“ kommt es zu spannenden Gegenüberstellungen mit den Werken meist französischer Künstler, die Wachsoldaten porträtiert haben, denen des Deutschen Georg Hummitzsch, dessen künstlerisches Interesse vor allem den Kolonialsoldaten galt, während der polnische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter Wladyslaw Miller mehrfach Frauen und Kinder gezeichnet hat. Im Herbst werden zuletzt unter dem Titel „Unter Verdacht“ die im Internierungslager Nr. 6 entstandenen Kunstwerke präsentiert. Begleitet wird jeder Ausstellungsteil mit Erklärungen, die hineinführen in das zeitliche und räumliche Umfeld ebenso wie in das Empfinden der Menschen hinter dem Stacheldraht.

Eine Besonderheit der zweiten Vernissage am 29. April ist die Uraufführung einer Komposition von Georg Reindl. Der Moosburger Musiker hat mit „Befreiung“ einen dreiteiligen Zyklus zu eben dieser Befreiung des Stalag VII A am 29. April 1945 geschaffen. Pandemiebedingt konnte das Werk der Öffentlichkeit noch nicht vorgestellt werden. Nun erfolgt im Rahmen der usstellungseröffnung ein Auftritt von Reindl selbst mit weiteren Musikern und dem Männerchor der Liedertafel. Das eröffnet umrahmt von den Kunstwerken aus dem Stalag VII A den Besuchern noch einmal eine neue Perspektive auf das nicht immer leichte Thema.

Informationen zur Ausstellungsreihe

1. April bis 10. April 2022: Hinterm Stacheldraht Alltag im Stalag VII A

29. April bis 8. Mai 2022: Traum und Trauma. Hoffnung und Leid im Stalag VII A

27. Mai bis 6. Juni 2022: Die Gezeichneten Gesichter des Lagers

30. September bis 9. Oktober 2022: Unter Verdacht, „Automatic arrest“ im Internierungslager Nr. 6

Die Ausstellungen sind in der VHS Moosburg, Stadtplatz 2, täglich von 8 Uhr bis 21 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Eröffnung mit Vernissage jeweils am ersten Ausstellungstag um 19 Uhr

(Foto: Stadtarchiv Moosburg)

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2022.
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