Korbinians Problembär
Zur Kulturgeschichte des Bären

Vom gefürchteten König der Tiere zum flauschigen Plüsch-Teddy: Der Bär hat wie kein anderes Tier im Laufe der Jahrhunderte eine rasante Wandlung in seiner kulturellen Rezeption erfahren. Ein kleiner Blick in die Kulturgeschichte des Bären.

Das Freisinger Stadtwappen zeigt einen Bären, auf seinem Rücken trägt er ein schweres, weiß-rotes Gepäckbündel. Doch was erzählt uns dieser Bär? Natürlich steht der Bär stellvertretend als pars pro toto für den heiligen Korbinian. Der Legende nach riss auf der Reise des Heiligen nach Rom ein Bär eines seiner Lasttiere. Der Heilige zähmte den Bären, ihm wurden die Gepäckstücke auf den Rücken gebunden und so konnte die Reise fortgesetzt werden. Das „Bärenwunder“ bekräftigte einmal mehr die Heiligkeit Korbinians. Doch warum zähmte Korbinian keinen Wolf oder Hirsch, warum musste es ausgerechnet ein Bär sein? Diese Wahl fiel nicht zufällig.

Der Historiker Michel Pastoureau schildert in seinem Buch „Der Bär. Geschichte eines gestürzten Königs“ die sich im Lauf der vergangenen Jahrhunderte stark veränderte soziokulturelle Wahrnehmung des Bären. Pastoureau führt aus, dass der Bär, genauer gesagt der Braunbär, für das Christentum im Früh- und Hochmittelalter nicht ein beliebiges, im Wald lebendes Tier war; der Bär war für die Kirche ein teuflisches Geschöpf.

Seit der Frühzeit der Menschheit wurde der Bär vergöttert, seine Stärke gerühmt. Davon zeugen Höhlenmalereien und die Stellung des Bären als Attribut in der griechischen Mythologie. Als König der Tiere wurde der Bär von den germanischen Stämmen verehrt, ausschweifende Feste gefeiert, Riten zelebriert.

So sehr die heidnischen Kulturen den Bären verehrten, so sehr missachtete ihn die christliche Kirche. Im Zuge der Christianisierung lag ein Hauptaugenmerk auf der Zurückdrängung des Bärenkultes. Feste, die an den Bären erinnerten, wurden mit bedeutenden Heiligenfesten überschrieben: Das St.-Martinsfest am 11. November, das einst den Winterschlaf des Bären einläutete oder Maria Lichtmess am 2. Februar, an dem sein Erwachen gefeiert wurde. Zahlreiche Lebensbeschreibungen von Heiligen erzählen daher nicht allein vom Sieg über den Bären, sondern von seiner Zähmung, seiner Unterwerfung. Das Christentum stilisierte den einst furchteinflößenden, unbezwingbaren Bär zu einem lasterhaften Geschöpf. Der König der Tiere wurde vom Thron gestoßen.

In diese Phase des früh- und hochmittelalterlichen Bärenverständnisses reiht sich auch der Bär des heiligen Korbinian ein. Der ehemalige König der Tiere tritt als blutrünstiger „Problembär“ auf, wird bezwungen und zieht als Lasttier in die Stadt seiner Widersacher ein. Für Korbinian ist der gezähmte Bär Ausdruck seiner heiligen Kräfte, seines Sieges über das Böse; für den Bären ist es der Beginn einer kulturellen Umdeutung: vom König der Tiere, zum teuflischen Geschöpf, später zur grotesken Zirkusfigur und schließlich zum flauschigen Plüsch-Teddy.

von Isabella Hödl-Notter

Foto: Diözesanmuseum Freising, Thomas Dashuber

Die Kulturgeschichte des Bären findet im Mittelalter noch lange nicht ihr Ende. Wer wissen möchte, wie es weitergeht, dem sei das Buch von Michel Pastoureau „Der Bär. Geschichte eines gestürzten Königs“ empfohlen, erschienen 2008 im Wunderkammer Verlag.

Der FINK verlost fünf Exemplare von Michel Pastoureaus „Der Bär. Geschichte eines gestürzten Königs“, bereitgestellt vom Wunderkammer Verlag. Was Sie dafür tun müssen? Senden Sie uns bitte bis zum 18.09.2022 eine Mail an presse@fink-magazin.de oder nehmen Sie Teil über Instagram und Facebook. (Teilnahmebedingungen auf unserer Facebook-Seite)

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom September 2022.
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