Joseph von Utzschneider
Eine Spurensuche in Freising und Umgebung

Utzschneider wurde vor 250 Jahren auf einem Bauernhof am Staffelsee geboren. Sein Onkel, der als Privatsekretär der Herzogin Maria Anna – einer Schwägerin des Kurfürsten Karl Theodor – schon damals Verbindungen bis in die höchsten Adelskreise hatte, erkannte frühzeitig die Begabung seines Neffen. Er und die Herzogin förderten Utzschneiders schulische und akademische Ausbildung, die er an der Landesuniversität Ingolstadt mit dem Titel eines Doktors der Philosophie abschloss. Nach seinem Studium trat er in den Staatsdienst ein, wo er unter anderem die Kultivierung des Donaumooses veranlasste, die allgemeine Landvermessung zur Regulation der Grundsteuer einführte, das Salinenwesen neu ordnete und sich noch bei der Sanierung der bayerischen Staatsfinanzen auszeichnete.Auch als Unternehmer und Gründer zahlreicher Betriebe konnte er weit über die Landesgrenzen Anerkennung finden. Er gehört damit an der Zeitenwende des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zu dem kleinen Personenkreis, der in diesen turbulenten Zeiten bereits Weichen für die Entwicklung eines „modernen Bayern“ gestellt hat. Sein Andenken mag zwar in der breiten Öffentlichkeit verblasst sein, in der Fachwelt und der Stadt München, wo er fünf Jahre das Amt des 2. Bürgermeisters bekleidete, wird es aber immer noch gepflegt.

Eine historische Persönlichkeit der Stadt München

Bei einem Spaziergang durch die Innenstadt von München ist das Wirken von Utzschneider immer noch präsent. So entdeckt man im Glockenbachviertel in der Nähe des Viktualienmarktes sogar eine Straße, die nach ihm benannt ist. Einen Straßenzug weiter erinnern heute noch in der Müllerstraße 40 die am ehemaligen „Optischen Institut“ in der ersten Etage angebrachten Büsten an die Gründer Utzschneider (links) und Fraunhofer (rechts). Die beiden Männer ergänzten sich in idealer Weise. Während sich der eine als Unternehmer um die Finanzen und den europaweiten Vertrieb der optischen Präzisionsgeräte kümmerte, begründete der andere durch seine bahnbrechenden Entdeckungen und Erfindungen auf dem optischen Gebiet den Weltruhm des Institutes. Utzschneider hatte bei der Auswahl seiner Mitarbeiter und späteren Partner die seltene Gabe, sofort deren besondere Talente für ein bestimmtes Vorhaben zu erkennen. Er förderte sie gezielt, um ihre Erkenntnisse gewinnbringend für sich in der Praxis anwenden zu können.  Von seinem Institut in der Müllerstraße sind es nur wenige Gehminuten bis zu seinem Wohnhaus in der Blumenstraße 8, in dem er zeitweise auch eine Niederlassung für den Verkauf von Rübenzucker für die Münchner Hausfrauen eingerichtet hatte. Besucht man dann noch am Ende des Rundganges den Großen Sitzungssaal im Neuen Rathaus, dann kann man Utzschneider auf dem Monumentalgemälde des Historienmalers Piloty in einer Schar berühmter Münchner Persönlichkeiten direkt in Augenschein nehmen, wie er sich im rechten Bildrand zur Herzogin Maria Anna vorbeugt, um einen Brief in Empfang zu nehmen. Piloty spielt hier auf seine Rolle als Geheimkurier der Herzogin bei der Vereitelung eines Tausches Kurbayerns gegen die Österreichischen Niederlande an. Als weiteres Erkennungsmerkmal sei hier noch auf sein herabhängendes linkes Augenlid – bedingt durch den Verlust seines linken Auges – hingewiesen, das er in früher Jugend beim unsachgemäßen Hantieren mit einem Gewehr verloren hatte. Beigesetzt ist er wie viele seiner anderen berühmten Zeitgenossen im Südfriedhof.

Reformer und Bildungspolitiker

Am Beginn seiner Beamtenlaufbahn im Oberforstkommissariat bei der Hofkammer erkannte Utzschneider sehr bald, dass die Nutzung der Staatswälder dringend verbessert werden musste. Dazu erstellte er nicht nur eine fortschrittliche Forstordnung, sondern unterbreitete auch noch ganz konkrete Vorschläge für eine einheitliche Ausbildung an einer noch zu gründenden Försterschule. Der Lehrplan für diese Schule sollte neben der Theorie auch noch praxisbezogene Übungen und Exkursionen beinhalten. Für die dazu notwendige Ausarbeitung moderner Lehrbücher konnte er anerkannte Wissenschaftler wie Georg Daezel gewinnen. Da das Oberstjägermeisteramt bei der Umsetzung seiner Vorschläge Kompetenzen hätte abgeben müssen, war es dazu zunächst nicht bereit. Es gründete aber kurze Zeit später 1790 in München eine Staatsforstschule, die von ihm nicht nur viele Anregungen übernommen hatte, sondern auch noch von Georg Daezel als Direktor geleitet wurde. Für Freising ist Utzschneider insofern von Bedeutung, da die von ihm initiierte Forstschule 1803 nach Weihenstephan umzog, da hier nach der Säkularisation des Benediktinerklosters die notwendigen Infrastruktur für forst- und landwirtschaftliche Ausbildungsgänge vorhanden waren. Diese Tatsache machte sich auch Max Schönleutner zu Nutze, der dort 1804 mit seiner neu gegründeten Musterlandwirtschaftsschule ebenfalls einzog. Beide Institutionen mussten jedoch schon nach drei Jahren wegen zu geringer Studentenzahlen wieder schließen. Georg Daezel wurde an die nach Landshut verlegte Landesuniversität berufen, um dort die forstwissenschaftliche Ausbildung weiterzuführen. Es sollte dann noch ganze 185 Jahre dauern, bis die Forstwissenschaftliche Fakultät wieder nach Weihenstephan zurückkam. Dagegen konnte die landwirtschaftliche Ausbildung nach einem Zwischenaufenthalt in Schleißheim schon nach einem halben Jahrhundert wieder in Weihenstephan fortgesetzt werden. Nach dem endgültigen Ausscheiden Utzschneiders aus dem Staatsdienst widmete er sich sich als Bürgermeister und Abgeordneter der Ständekammer weiterhin seinen Spezialgebieten Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und der Volksbildung. Es war deshalb keine Überraschung, als ihn 1827 König Ludwig I. zum Vorstand der „Polytechnischen Centralschule berief. In diese Funktion musste er schnell erkennen, dass das Ausbildungsniveau dieser Schule für die Aufnahme an einer zukünftigen Technischen Hochschule nicht ausreichen würde. Er setzte sich deshalb für eine Reform der Inhalte der „alten“ Centralschule ein, der die königliche Verordnung von 1833 mit der Errichtung von Gewerbe- und Polytechnischen Schulen in Augsburg, Nürnberg und München entgegenkam.

Weiterentwicklung der Polytechnischen Schule Münchens

Noch in seinem Todesjahr wurde an der Polytechnischen Schule München ein „weiterführender Ingenieurskurs“ eingerichtet, der zur Keimzelle der späteren „Technischen Hochschule München“ werden sollte. Noch war es aber nicht so weit. Erst musste die Polytechnische Schule München von ihrem ersten Direktor Max von Bauernfeind, den Utzschneider in weiser Voraussicht schon in jungen Jahren nach München geholt und dann gefördert hatte, neu strukturiert werden. Dazu kam noch die Einrichtung einer eigenen landwirtschaftlichen Abteilung. Erst im Studienjahr 1877/78 wurde der Münchner Schule von König Ludwig II. die offizielle Bezeichnung „Technische Hochschule“ verliehen. Dagegen musste die eigenständige Landwirtschaftliche Centralschule in Weihenstephan noch den Umweg über eine Akademie durchlaufen, bis sie endlich 1920 zur „Hochschule für Landwirtschaft und Brauerei“ aufgestiegen war. Nach 10 Jahren der Selbstständigkeit wurde sie von der Technischen Hochschule übernommen. Die beiden landwirtschaftlichen Bereiche wurden in München zusammengeführt und erst 1947 als vereinigte Abteilung für Landwirtschaft nach Weihenstephan verlegt. Rückblickend betrachtet kann gesagt werden, dass Utzschneider einen nicht zu unterschätzenden Beitrag für die Entwicklung der Technischen Hochschule München geleistet hat.

Lehrmeister und Finanzberater

Utzschneider hatte sich im Staatsdienst wie in der „freien“ Wirtschaft den Ruf eines patenten Organisators und Unternehmensgründers erworben. Es war daher nicht verwunderlich, dass sich die junge Witwe des Kurfürsten Karl Theodor, Marie Leopoldine von Habsburg-Este, bei der Anlage ihrer für damalige Zeiten üppigen Apanage den Rat Utzschneiders einholte. Er brachte ihr Grundkenntnisse der Betriebswirtschaft bei, beriet sie bei ihren zahlreichen Geld- und Immobiliengeschäften und unterstützte sie auch bei der Verwaltung der von ihr erworbenen Güter. Sicher hat er ihr auch 1812 den Kauf des fürstbischöflichen Hofbräuhauses auf dem Freisinger Domberg empfohlen. Auch wenn sie für die Sanierung nochmals tief in die Rocktasche greifen musste, hat sich dieser Kauf für sie und ihre Erben gelohnt. Die Brauerei – heute Hofbräuhaus Freising in der Mainburger Straße – kam über ihre Enkelin Sophie 1891 in den Besitz der gräflichen Familie Moy, die sie erst in jüngster Zeit verkaufte.

Utzschneider als „Zuckerbaron“: Ein missglücktes Unterfangen

Sein letztes Projekt sollte eine flächendeckende Versorgung der Münchner Bevölkerung mit Rübenzucker gewährleisten. Bei seinen Erkundigungen und Vorversuchen einen geeigneten Ersatz von Zuckerrohr durch einheimische Pflanzen zu finden, stellte er schon bald fest, dass wegen der guten Anbaumöglichkeiten der Runkelrübe in Bayern das Zuckerherstellungsverfahren von dem Franzosen Achard dafür am besten geeignet war. Er baute deshalb auf seinem Gut in Obergiesing – wo heute das Stadelheimer Gefängnis steht –  eine der ersten Zuckerfabriken Bayerns, die damals schon mit einer Dampfmaschine und einer modernen Zylinderpresse ausgerüstet war. Nachdem die bäuerlichen Betriebe in seiner Nachbarschaft nicht bereit waren, auf ihren Flächen Runkelrüben für die Zuckerherstellung anzubauen, erwarb er kurzerhand 1829 die zwischen Freising und Ismaning gelegene ehemalige fürstbischöfliche Schwaige Erching, wo er nach Instandsetzung der verwahrlosten Gebäude und der Entwässerung der moorigen Böden innerhalb von 10 Jahren die Hälfte der dazugehörigen 1500 Tagwerk in nützliches Ackerland umgewandelte. Die in Erching angebauten Runkelrüben ließ er in Obergiesing in seiner Fabrik und Raffinerie weiterverarbeiten. Nachdem er der Meinung war, dass die eigenen Rübenvorräte immer noch zu wenig für eine rentable industrielle Zuckerproduktion seien, schloss er einen 10-jährigen Liefervertrag mit der Staatsgüteradministration in Schleißheim ab. Er verpflichtete sich dort neben einer Kooperation mit der dortigen Musterlandwirtschaftsschule noch auf eigene Kosten ein Fabrikgebäude zu errichten. Die Rüben aus Erching und Schleißheim wurden dort verarbeitet und der Rohzucker entweder unraffiniert als Industriezucker verkauft oder in Giesing für den Konsum aufbereitet. Am Ende seines Lebens kündigte er wegen Schwierigkeiten mit der Güteradministration in Schleißheim den Vertrag und baute die Fabrik dort in der Absicht ab, sie wieder in Erching in Betrieb zu nehmen. Diese überstürzte Aktion kostete ihn ein Vermögen. Erschwerend kam noch dazu, dass er wegen der 1835 erlassenen Einschränkung der Niederlassungsfreiheit keinen Zucker mehr im Laden seines Wohnhauses in der Blumenstraße 8 in München verkaufen durfte. Nachdem auch die Händler und Krämer nur zögernd bereit waren, seinen Zucker zu verkaufen, blieb er buchstäblich auf mehreren hundert Zentnern Zucker „sitzen“. Dieses Geld fehlte ihm dann bei der Durchsetzung seiner Lieblingspläne, in Erching eine Landwirtschaftsschule und eine Armenkolonie auf den Moosgründen anzusiedeln. 1840 verunglückte er am Giesinger Berg und starb an den Folgen seiner Verletzungen. Damit hatte das Leben eines genialen Mannes ein jähes Ende gefunden.

Rückblickend war Joseph von Utzschneider auf vielen Gebieten rastlos tätig, hatte die Staatsverwaltung, den Handel, das Gewerbe und das Bildungswesen in Bayern versucht zu reformieren und neu zu organisieren. Er war bei seinen Unternehmungen der Zeit oft weit voraus und hat deshalb auch bittere Niederlagen einstecken müssen. Dies hat ihn aber nicht abgehalten, auch im hohen Alter noch unverzagt seinen Ideen und Plänen nachzugehen.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Februar 2014.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.

zur Bibliothek...
weitere Artikel zu diesem Thema: