Im Namen des Volkes
Urteilsverkündung im Startbahn-Prozess

„Gott mit dir, du Land der Bayern, deutsche Erde, Vaterland!“ Mittwoch, 19. Februar 2014, 10.11 Uhr. Es herrscht Unruhe im Vortragssaal des Amts für Ländliche Entwicklung in Bayern. Trotzdem hält sich der Geräuschpegel beklemmend niedrig. Ein angespanntes Raunen geht durch die Menge. Mehr als 300 Zuschauer stehen vor ihren Stühlen oder sind entlang den Wänden des kahlen, mit Neonröhren beleuchteten Sitzungssaals gedrängt. Ein Baby schreit. Es herrscht Fassungslosigkeit. Wenige Minuten zuvor schmetterte Richter Dr. Erwin Allesch die insgesamt 16 Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Oberbayern zur 3. Start- und Landebahn am Münchner Flughafen ab. Ein Urteil, welches von vielen erwartet wurde. Schon im Vorfeld der Urteilsverkündung riefen die Startbahngegner zu Gegendemonstrationen vor dem Verwaltungsgebäude auf. Schon im Vorfeld wurden von verschiedensten Seiten Presseerklärungen zu einem negativen Urteil formuliert. Es schien jeder mit dem Schlimmsten gerechnet zu haben. Trotzdem zeichneten sich an diesem Mittwoch in vielen Augen Tränen ab. Die Verkündung des Urteils des 8. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfolgte „im Namen des Volkes“, wie obligatorisch betont wurde. Eine Formulierung, die im Saal auf höhnisches Gelächter stieß. Doch nicht nur die Ablehnung der Klagen, insbesondere die Tatsache, dass das Gericht einer möglichen Revision vor dem Bundesverwaltungsgerichtshof eine Absage erteilt hatte, sorgte für einen Schockmoment. Der hielt sich jedoch nicht lange, das Publikum begann kurzerhand damit, geschlossen die Bayernhymne zu singen. Zuvor hatten eifrige Startbahn-Gegner auf kleinen blauen Zetteln den Text unters Volk gebracht.

„Über deinen weiten Gauen ruhe seine Segenshand!“ Nach Abschluss des zweistrophigen Gesangs scheint der Richter merklich irritiert, doch er setzt seine Ausführungen schnell wieder fort. Dem Vorhaben stünden „weder Gründe des Bedarfs noch schädliche Umwelteinwirkungen noch Gründe des Naturschutzes entgegen“, so der Richter. Wieder zeigt sich die Menge erzürnt. Es ertönen Buhrufe. Der Richter, nicht mehr Herr der Situation, droht an, den Gerichtssaal räumen zu lassen. Das Spielchen wiederholt sich noch zwei Mal, dann setzt Erwin Allesch seine Drohung in die Tat um. Polizisten durchqueren die Reihen, langsam und ruhig. Sie bitten die Zuschauer höflich und beinahe zurückhaltend, den Gerichtssaal zu verlassen. Die meisten folgen unmittelbar dem Wunsch, bei manchen ist etwas Überredungskunst erforderlich. Einige skandieren: „Wir sind das Volk!“ Nach etwa zehn Minuten ist der Saal weitgehend geleert. Auf der einen Seite noch die 16 Kläger, Familien, Anwälte und Vertreter der Kommunen. Auf der anderen Seite die Oberlandesanwaltschaft und die FMG mit einer kleinen Armada von Juristen und Mitarbeitern. Der Richter wiederholt seine Ausführungen, er wiederholt die Ablehnung der Klagen und wiederholt das Ausbleiben von wichtigen Gründen, die gegen einen Ausbau stünden. Er spricht in seiner kurzen Urteilsbegründung zwar von einer „nicht unerheblichen Mehrung des Fluglärms“ sowie der Luftschadstoffe, doch relativiert, hier würden keine vom Gesetz- bzw. Verordnungsgeber gezogenen Grenzen überschritten. Er erklärt, im Privatbesitz von Klägern stehende Grundstücke würden „nicht zu Unrecht für das im Wohl der Allgemeinheit liegende Vorhaben in Anspruch genommen“. Er erklärt, dass dem Projekt keinerlei Vorschriften zugunsten des Schutzes von Klima und Wasser entgegenstünden. Er erklärt, dass die Prozesskosten in Höhe von 645.000 Euro die Kläger zu tragen haben. Hier fallen bei dem ein oder anderen Privatkläger gut und gerne über 30.000 Euro an zusätzlichen Aufwendungen an.

„Er behüte deine Fluren, schirme deiner Städte Bau und erhalte dir die Farben seines Himmels, weiß und blau!“ Eine Entscheidung, welche Dr. Michael Kerkloh sehr erfreut. „Wir begrüßen natürlich das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs“, bemerkt der Flughafenchef im Anschluss an die Verkündung. „Nach 41 Verhandlungstagen wurde festgestellt, dass unsere Planung rechtmäßig und plausibel ist. Das Urteil ist eine Bestätigung der Qualität unserer Unterlagen.“ Gerade die Umweltbelange, „der größere Teil des Planfeststellungsbeschlusses“, seien „in aller Sorgfalt und in jedem Detail bearbeitet worden“, so Kerkloh weiter. Eine Meinung, die im Saal der Urteilsverkündung die wenigsten teilten. Doch um konkrete Themen ging es an diesem Tage nicht. Schon nach Ablehnung der 184 Beweisanträge im Dezember des vergangenen Jahres schien vielen klar, dass die Bemühungen, den Richter von einer Fehlerhaftigkeit des Planfeststellungsbeschlusses zu überzeugen, umsonst gewesen waren. Manfred Drobny, Vertreter des Bund Naturschutz, einer der Kläger im Startbahn-Prozess, war daher nicht allzu negativ gestimmt. Es sei „gar nicht so schlecht gelaufen“, erklärte der 53jährige. Ein gutes Zeichen sei es gewesen, dass „der Widerstand so geschlossen und so ungebrochen war. Dass sich die Leute nicht einschüchtern haben lassen.“ Ein positiver Grundstock, „mit dem man weiterkämpfen und auch weiterhin gewinnen“ werde.

Weiterkämpfen, das bedeutet für Tobias Eschenbacher, Oberbürgermeister der Stadt Freising, einmal, eine Nichtzulassungsbeschwerde einzureichen, um eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht, dem höchsten deutschen Gericht für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, zu erwirken. Hierfür bestehen drei Zulassungsgründe. Die Verwaltungsgerichtsordnung schreibt vor, eine Revision nur zuzulassen, wenn „die Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann“, so Paragraph 132 VwGo. Eine entsprechende Beschwerde können die Kläger bis zwei Wochen nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe einreichen. Mit dieser ist jedoch erst in einigen Monaten zu rechnen. Kommt es zu einem neuen Verfahren, verspricht die FMG auszuharren: „Wird der Bundesverwaltungsgerichtshof angerufen, warten wir das natürlich ab. Und am Ende ist es auch eine politische Entscheidung.“ So bekräftigt es auch Tobias Eschenbacher: „Juristisch ist der eine Weg. Aber politisch steht noch immer der Bürgerentscheid der Landeshauptstadt München dem Bau entgegen“, so der OB. Gespannt sei man deshalb auch auf die dortigen Oberbürgermeister-Wahlen. Die Kandidaten von CSU, SPD und Grüne sprachen sich in der Vergangenheit allesamt – mehr oder weniger „offen formuliert“ – für die Einhaltung des Bürgerentscheids aus. Eschenbacher setzt darüber hinaus auf das Miteinander von Freising und München: „Die Landeshauptstadt will ja auch, dass die umliegenden Gemeinden sie bei der Wohnraumbeschaffung für den Zuzug unterstützen. Umgekehrt erwarten wir, dass sie uns in der Abwehr von solchen Einschränkungen zur Seite steht.“ Für Kerkloh gilt es, Überzeugungsarbeit bei den Bürgerinnen und Bürgern zu leis-ten. Schließlich wolle man an einem „guten Stück Zukunft für Bayern [arbeiten]“. Am Ende müssten die Münchner „davon überzeugt sein, dass es ein gutes Projekt ist.“ Bis das soweit ist, kann Kerkloh das Urteil verwahren und zwar in seiner neuen Schublade. Die bekam er von der demonstrierenden Menge vor dem Verhandlungssaal feierlich von Aufgemuckt-Sprecher Hartmut Binner überreicht. Der Flughafen-Chef übernahm sogar kurzzeitig selbst das Mikrofon, wollte sich Bedanken für den Dialog, den man untereinander seiner Ansicht nach immer gut führen könne – ausreden ließ ihn die Menge jedoch nicht. Schließlich verschwand Kerkloh aus dem Gedränge. Die Presse, Fernsehen, Radio und Zeitung, interviewte einige Gegner wie Befürworter und irgendwann war dann dieser kurze, jedoch schmerzvolle letzte Prozesstag beendet. „Das war nicht im Namen des Volkes“, bemerkte an diesem Tage sicherlich nicht nur eine ältere Dame vor dem Verhandlungssaal.

Gesungen wurde von den Startbahngegnern an diesem Prozess-Mittwoch die aktuelle Fassung der Bayernhymne mit zwei Strophen. Bis 1980 umfasste die Hymne jedoch eine dritte Strophe, die unter anderem den folgenden, durchaus auf eine Gerichtsverhandlung anwendbaren Text beinhaltete: „Gott mit uns und Gott mit allen, die der Menschen heilig Recht treu beschützen und bewahren von Geschlechte zu Geschlecht.“ Die dritte Strophe wurde jedoch vor 34 Jahren gestrichen. Vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom März 2014.
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