In der Postkartensammlung des Stadtarchivs Freising befinden sich zwei Fotopostkarten, die anlässlich einer Varieté-Veranstaltung des Freisinger Turnerbundes gefertigt wurden. Aufführungstage waren der 21., 22. und – als Zugabe – der 26. Mai 1921. Aufführungsort war jeweils der Saal der Freisinger Großgastronomie „Kolosseum“ in der Unteren Hauptstraße. Beide Postkarten geben mit ihren eher ungewöhnlichen, witzigen Motiven einen Eindruck vom kreativen Programm, das sich die Turner seinerzeit haben einfallen lassen.
Auf der hochformatigen Karte sind zwei Männer und zwei Jungen zu sehen, die eine akrobatische Figur aufgebaut haben. Ihr Standort ist der rückseitige Hof eines Anwesens in der General-von-Nagel-Straße (Nr. 8). Die Szenerie, wie sie auf der querformatigen Karte wiedergegeben ist, spielt sich auf den – damals noch unbebauten – Ängern zwischen Anger- und Gartenstraße ab. Einer der dortigen Weiher bot acht als Frösche verkleideten Turnern eine passende Kulisse. Sie waren Teil des im Varietéprogramm angekündigten 11. Beitrags mit dem Titel „Ueberraschung“ – einer aufwändigen akrobatischen Tanzeinlage.
Um eine dauerhafte Erinnerung an das besondere Ereignis zu erhalten, wurden von den einzelnen Gruppen Fotografien gefertigt, die dann als Vorlage für die Postkartenabzüge dienten. Allerdings geben die Motive weder den realen Aufführungszeitpunkt noch den Aufführungsort wieder. Vermutlich waren technische wie ästhetische Überlegungen der Grund dafür, hier Alternativen zu suchen. Im vollbesetzten Kolosseumssaal mit seinen begrenzten Beleuchtungsmöglichkeiten hätten die Fotografien in ihrer Qualität und Aussagekraft sicherlich gelitten. Standorte wie der Hof eines Stadthauses oder die Änger südwestlich der Stadt im hellen Frühlingslicht dürften vom Fotografen klar bevorzugt worden sein. Zudem hatten Aufnahmen außerhalb der Aufführungssituation den Vorteil, das Geschehen mit mehr Prägnanz inszenieren zu können.
Der Fotograf der beiden Varieté-Motive war – wie es auch auf der Unterschrift zu lesen ist – Josef Hofmann (1884-1955). Hofmann verfügte sowohl über eine Ausbildung alsBuchdruckeralsauchalsFotograf.1914 hatte er in Freising ein eigenes Fotoatelier eröffnet, das sich spätestens 1921 im Eckhaus Kammergasse / Ziegelgasse befand und nach seinem Tod von seinem Schwiegersohn Franz Strasser („Foto Strasser“) weitergeführt wurde. Als besonders bedeutend zu werten sind Hofmanns Fotopostkarten, die er seit dem Ersten Weltkrieg und die 1920er Jahre hindurch zu unzähligen Freisinger Ereignissen produziert hat.
Noch einmal zurück zum Turnerbund-Varieté von 1921: Wahrscheinlich umfasste Josef Hofmanns Auftrag die Produktion von deutlich mehr Fotomotiven – das Programm mit seinen insgesamt 20 Einzelthemen hätte hier jedenfalls noch Einiges hergegeben. Möglicherweise gibt es in Freisinger Privatsammlungen zur damaligen Veranstaltung noch weitere Postkartenmotive.
Von Florian Notter, Leiter des Stadtarchivs Freising
Abbildungen: Eine akrobatische Figur mit vier Turnern im Hof des Stadthauses „General-von-Nagel-Straße 8“. Acht als Frösche maskierte Turner auf den Ängern zwischen Anger- und Gartenstraße (beide: Stadtarchiv Freising, Postkartensammlung).
QUELLEN: Stadtarchiv Freising, Postkartensammlung (Provenienz: Sammlung Franz Bichler); ebd., Zeitungssammlung, Freisinger Tagblatt, 20.05. u. 24.05.1921.
LITERATUR: Notter, Florian: Aufbruch und Umbruch. Freising in Fotografien der Jahre 1900 bis 1920 (Kataloge des Stadtarchivs Freising 2), München 2017, S. 10.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2022.
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