Der Wochenmarkt auf dem Freisinger Marienplatz ist ein beliebter Treffpunkt für Freunde von frischem Obst und Gemüse, hochwertigem Käse, Wurst, Geflügel sowie Fisch und Feinkost. Ferdinand Schreyer kennt ihn wie seine Westentasche und ist außerdem tief in die Geschichte der Freisinger Märkte eingestiegen.
Der Rindermarkt zwischen St. Georgskirche, Standesamt und Tourismusbüro ist unser Treffpunkt und zugleich die erste Station für Informatives und Kulinarisches. Es werden weitere solcher Stationen folgen. Unser Stadtführer, Ferdinand Schreyer, genannt Ferl, stößt mit einem Teller Obatzda auf Baguette zu unserer kleinen Gruppe und beginnt gleich zu erzählen. „Der Rindermarkt hat eine gigantische Tradition“, begeistert er sich und zeigt gestikulierend um sich. „Hier hat einst das Messnerhaus gestanden, außerdem ein Wirtshaus und schöne Arkaden – es war eine tolle Marktplatzsituation. In den 1950er Jahren ist das Messnerhaus eingestürzt, und die alten Gebäude wurden abgerissen.“ Den Freisingern ist wenigstens der Obatzda geblieben, den wir beim Zuhören verspeisen. Katharina Eisenreich, 1920–1958 Wirtin vom Weihenstephaner Bräustüberl, hat ihn einst kreiert. Sie brauchte ein Rezept, um den Camembert zu verwerten, kurz bevor er rass wurde.
Es war anno 996 als Freising von Kaiser Otto III. auf Anfrage des Bischofs das Münz-, das Zoll- und das tägliche Marktrecht verliehen bekam. „Der Dom hat das Geld von den Verkäufern kassiert, die die feilgebotenen Ware erzeugt haben“, erläutert Ferl Schreyer. 600 Jahre später, im Jahr 1595 wurde der Stadt ein Vieh- und Rossmarkt am Rindermarkt genehmigt. Am Marienplatz, der damals noch nicht so hieß, sowie links und rechts der Moosach– wo heute das Kriegerdenkmal steht –, hat man Viktualien (Lebensmittel) verkauft. Weitere Güter bekamen andere Plätze zugewiesen: der Spanferklmarkt mittwochs in die Obere Hauptstraße, der Fischmarkt freitags an das östliche Ende der Fischergasse. Das Gebiet um die Schießstätte, dort wo die B11 das Stadtzentrum vom Stadtteil Lerchenfeld trennt, beherbergte den Torfmarkt, den Heu- und Strohmarkt sowie den Krautmarkt. „Die Bauern sind mit ihren Karren aus dem Moos gekommen und haben dort ihre Ware angeboten“, erzählt Ferl Schreyer. „Später hat es auch einen Kartoffelmarkt am Roiderjackl- Brunnen gegeben. Die Leute haben die Kartoffeln damals zentnerweise gekauft und im Kartoffelkeller eingelagert oder aus ganzen Kohlköpfen Sauerkraut gemacht. Später wurde auch frei Haus geliefert.“ Bauer Neumüller beliefert heute noch einen Kunden auf diese Weise – in Erinnerung an längst vergangene Zeiten. Vom Rindermarkt wandern wir hinunter zur Mariensäule, um das ganze Marktgeschehen auf uns wirken zu lassen. Grüne, blaue und weiß-grüne Markisen dominieren das Bild sowie Stapel von grünen und grauen Lebensmittel, dazwischen kunterbunte Auslagen und ein geschäftiges Hin und Her von Verkäufern und Kunden, die immer wieder zum Gruß oder Schwätzchen mit Bekannten stehenbleiben.
An der Längsseite zur Sperrer Bank haben die Landwirtsfamilien Neumüller und Kronauer aus Hallbergmoos ihre Stände, die seit 1940 mit ihren Erzeugnissen zum Freisinger Markt kommen. Mittlerweile bieten sie nicht nur eigene Produkte an, sondern auch zugekaufte Ware. „Der Opa Kronauer ist mit 99 Jahren noch auf den Markt gekommen“, erinnert sich Ferl Schreyer, der selbst seit 40 Jahren im Winter Maroni verkauft. „Er hat eine große Tüte mit Gemüse vollgepackt und gesagt: Gibst mir halt 5 Mark, dann passt’s scho.“ Ferl muss lachen, er kann sich noch lebhaft an den alten Herrn erinnern. Originale gab es viele. Maria Rötzer aus Oberding zum Beispiel fuhr noch in den 1980er Jahren per Traktor ohne Verdeck in Freising vor und hatte eine Palette Kartoffeln und Kraut dabei. Mit 85 Jahren verabschiedete sich die rüstige Dame bei ihren Marktkollegen mit den Worten: „Ich würd’ ja no weiter kemma, aber mei Bulldog mog nimmer.“
Die Freisinger Mariensäule existiert seit 1674, aber erst 1880 hat der Platz seinen heutigen Namen bekommen. Einst war er Vollstreckungsort für die Gerichtsbarkeit und genauso hat er große Wallfahrten kommen und gehen sehen. Erst hieß er Hauptplatz und ab 1800 Schrannenplatz, denn dort war das Getreidelager, die Schranne, die direkt zum Rathaus- Gebäude gehörte. Ferdinand Schreyer hat historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen mitgebracht und erklärt wortreich, gestikulierend und mit viel Mimik, was es darauf zu sehen gibt.
Quasi nebenbei verspeisen wir genüsslich eine Platte mit Vorspeisen vom Olivenstand, der in Freising zu den jüngeren Marktteilnehmern gehört und bekommen beim Gemüse- und Feinkosthändler Schwaiger verschiedene Melonen angeboten. Das tut an diesem heißen Samstagmorgen richtig gut. Obwohl das bayerische Wort Schwaige für ein landwirtschaftliches Gut steht, hat die Familie Schwaiger selbst nie Landwirtschaft betrieben. Stattdessen gehörte sie zu den Pionieren unter den Händlern der Stadt. Ihr Kramerladen von 1930 stand am gleichen Ort in der Oberen Hauptstraße, wo gegenwärtig ihr Ladengeschäft zu finden ist. „Noch vor 100 Jahren mussten sich Geschäftsleute entscheiden, ob sie ihre Ware auf dem Markt oder in einem Ladengeschäft verkaufen wollten“, weiß unserer Stadtführer zu berichten. „Beides zusammen war ihnen nicht erlaubt.“ Wo heute das Gewandhaus Gruber Textilien verkauft, ist seit 300 Jahren ein Handelshaus gewesen, das schon damals Käse aus Holland verkaufte. Der Name Markushaus erinnert an dessen jüdischen Inhaber Markus Lewin, der Freising unter den Nationalsozialisten verlassen musste. Ferl Schreyer schwenkt eloquent vom Holländer Käse zum Holledauer Ziegenhof Hans Keller über und beschreibt dessen Käsevielfalt. Dann erfahren wir, was es Wissenswertes über die Bio-Produzenten (Biohof Anneser, Olivenöl Dafni, Gewürz-Uwe, Naturgarten Schönegge) und den Öko-Anbau zu erzählen gibt.
Die drei Schönegge-Brüder hatten einst die Geschäfte des Vaters übernommen, Horst und Erhardt haben den Gartenbau 1989 auf Bio umgestellt. Während wir den Geschmack seiner Land- und Brotzeitgurken vergleichen, erzählt Horst Schönegge, wie er einst dem kleinen Neffen das Naschen der Gurken vom Strauch verbieten musste, weil er zuvor Chemikalien gespritzt hatte. Dieses Erlebnis hat ihn schwer ins Grübeln gebracht und wurde zum Beginn der aktuellen Betriebs-Philosophie. Heute managen die Brüder einen Service für Abonnenten (Ökokiste), der 320 Haushalte wöchentlich mit Bio-Gemüse beliefert. Sie betreiben einen Hofladen in Meilendorf bei Attenkirchen und bieten dort die Möglichkeit der Selbsternte auf dem Feld. Das Geld für das geerntete Gemüse wandert auf Treu und Glauben in eine Kasse.
Am Spargelstand direkt an der Ecke zur Sperrer Bank wartet Mathilde Rieblinger mit einem weiteren Teller voller Köstlichkeiten. Diesmal ist es ein Spargelaufstrich auf Baguette. Der schmeckt so fein, dass wir kräftig zulangen, obwohl von Hunger nicht mehr die Rede sein kann. 13 Hektar Spargel hat die Familie in Schrobenhausen unter Ertrag und kommt mit dem Saisongemüse seit Ende der 1940er Jahre zum Freisinger Wochenmarkt. „Der Opa hat einst mit dem Spargelanbau begonnen“, erzählt die Bäuerin. „Der Vater war nach dem Krieg im Lazarett in Freising, und dort hat keiner frischen Spargel gekannt. Zurück in Schrobenhausen hat er sich ein Motorrad gekauft und den Spargel in Freising eingeführt.“ Mathilde und ihr Bruder haben die Geschäfte des Vaters fortgeführt. „Aber jetzt sind die Jungen dran“, sagt sie und freut sich sichtlich.
Zurück zu den Anfängen: Schon im 16. Jahrhundert begann der Markt mit dem helllichten Tag und endete Schlag 12 Uhr Mittag. Ferl Schreyer hat eine Königliche Marktordung aus dem Jahr 1871 dabei und findet darin auch diesen Passus. Eine Viktualienpolizei sorgte als Marktaufsicht dafür, dass kein Wucher mit den Preisen getrieben wurde. 21 Pfennige kostete seinerzeit das Pfund Salz, 18 Pfennige das Pfund Mehl und 2–6 Pfennige die Maß Bier. Auch gegen die Unart der Kunden, frische Butter mit den Fingern zu testen, wurde streng vorgegangen.
Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde der Grüne Markt in die Obere Hauptstraße verlegt. Dort durften nur inländische Waren verkauft werden, ausländische Produkte gab es an der Mariensäule. Viele Marktteilnehmer sind nach dem Krieg zum Freisinger Markt gekommen. Aus Attaching waren es Frauen auf Fahrrädern, an denen sie Taschen voller Eier hängen hatten. Die Eier wurden einzeln in Zeitungspapier eingewickelt verkauft. Noch heute gibt es die Saisonfrauen, die kleine Mengen an Palmkätzchen, Blumensträußen, Eiern, Äpfel, Birnen und Zwetschgen verkaufen. Nach dem Krieg durften die Waren nicht mehr auf der Erde liegen, sondern mussten erhöht auf Kisten präsentiert werden. Inzwischen haben fast alle Marktbeschicker eigene Stände oder Wagen. „Ändern sich die Lebensumstände, ändern sich auch die Märkte“, resümiert Ferl. Dennoch findet sich in der aktuellen Marktordnung von 2013 noch so manche Vorschrift von anno dazumal. Lautes Ausrufen und Anpreisen von Waren, wie auf dem Hamburger Fischmarkt, ist nach wie vor tabu.
Auch das Thema Freisinger Fischmarkt hat einiges zu bieten. Vom Verkaufswagen der Fischzucht Baumgartner auf dem Markt wandern wir zum Ursprung der Freisinger Stadtfischerei weiter. Der liegt in der Fischergasse – nomen est omen – , dort, wo viele Jahre lang das Cafe Calafati residierte und kürzlich Junker’s Café Rösterei eingezogen ist. 1785 hatte Franzen Baumgartner das Haus von einem Vorgänger gekauft – die Fischerei-Rechte blieben stets beim Haus. „Seinerzeit wurden die Fische in großen Kästen in der Stadtmoosach frischgehalten“, erinnert sich Ferl an eine Zeit, in der er noch ein Bub war. Heute liegt die Fischzucht Baumgartner im Ortsteil Vötting. Wir sitzen an jenem historischen Platz mit dem Geländer zur Moosach und probieren die Kaffeespezialitäten und das köstliche Bauernhof-Eis. Es ist eine Premiere, denn der neue Besitzer hat für uns seine Pforten geöffnet, während drinnen noch gewerkelt und eingeräumt wird. Ferdinand Schreyer erzählt derweil weitere Anekdoten und Geschichten aus seinem schier unerschöpflichen Reservoir. Vom Fischfrühstück, das Prinz Ludwig 1907 (ab 1913 König Ludwig III.) hier an der Moosach eingenommen hat, weshalb die Haindlfinger Straße wenig später in Prinz-Ludwig-Straße umbenannt wurde. Auch vom großen Fischsterben ist die Rede als der Isarkanal 1924 geflutet wurde, von hausierenden Froschverkäufern und Schildkröten, die hierzulande einst als Spezialität galten …
Ganz sicher werden wir Teilnehmer der Führung den Wochenmarkt zukünftig mit anderen Augen sehen: Noch lebendiger, schmucker und bunter als er ohnehin schon ist.
Führungen werden unregelmäßig im Veranstaltungskalender angeboten und könnten für Gruppen organisiert werden.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom September 2018.
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