Foto: Lehmann
Auf der Suche nach der Balance zwischen gutem Handwerk und Dokumentation

Foto: Lehmann, dieser Nachweis ist seit einem halben Jahrhundert ein feststehender Begriff in der Freisinger Presselandschaft. Tagtäglich kurvt Rainer Lehmann für das Freisinger Tagblatt kreuz und quer durch den Landkreis, um die hiesigen Ereignisse markant ins Bild zu setzen, ist allzeit bereit, bei Schnee und Eis genauso wie bei bestem Badewetter, frühmorgens oder spätabends, und dabei stets bestens gelaunt und voll konzentriert bei der Sache, und dies auf eine solch individuelle Art, dass das geübte Auge die Urheberschaft des Fotografen auch ohne Nennung erkennt. So selbstverständlich das mittlerweile auch scheint, war der Weg dahin allerdings keineswegs, vielmehr spielte dabei König Zufall eine entscheidende Rolle.

Ursprünglich wollte Lehmann, der im Rheinland aufgewachsen ist, gerne Kaufmann werden, der Vater aber riet ihm zu einer Lehre als Werkzeugmacher, wegen des goldenen Bodens des Handwerks. Daraufhin absolvierte er eine Berufsaufbauschule und einige Semester Maschinenbau, fand sich aber darin nie so richtig. Wiederum auf Anregung seines Vaters, der selbst beim Militär war, verpflichtete er sich für 12 Jahre bei der Bundeswehr, wo er zum Dolmetscher Elektronik ausgebildet wurde. Zum Auftakt ging es nach Hamburg zur Sprachausbildung in Englisch, dann nach Aachen wegen der Betreuung ganz spezieller Raketen, genauer HAWK-Flug-abwehrraketen, die eines der Symbole für den Kalten Krieg darstellen. Lehmann war nun für die Funktionskontrolle dieser Geschosse zuständig. Für diese Aufgabe wurde er im Weiteren nach El Paso in Texas beordert und genau dieser zweijährige Aufenthalt sollte sich als weichenstellend erweisen.

Im militäreigenen Fotolabor in Fort Bliss erlernte er die ersten handwerklichen Grundkenntnisse der Labortechnik, Fotografieren konnte er ja schon. Bereits mit 14 ließ ihn sein Vater mit dessen Rollei-Flex und Leica zu Werke gehen und weil die Familie damals nahe dem Köln-Bonner Flughafen lebte, gelang es ihm häufig, ankommende Politgrößen mit diesen Profikameras auf den Pressetribünen einzufangen. So glückten ihm schon als 18-Jährigem historisch wertvolle Aufnahmen von J. F. Kennedy, Charles de Gaulle, Konrad Adenauer sowie der damaligen kompletten Bundesregierung. Und nun sollte er auch noch von einem der bedeutendsten Fotografen unterrichtet werden, kein geringerer als der US-Amerikaner Ansel Adams lehrte die jungen Soldaten. Adams konzentrierte sich auf die künstlerische Fotografie im Sinne der Straight Fotografie, also einer reinen Fotografie, die dem Realismus verpflichtet ist. Dementsprechend gab sich Adams als Freund der Schwarz-Weiß-Fotografie zu erkennen, was durchaus auf seinen Schüler Rainer Lehmann abfärbte. Der ist nach wie vor ein Fan von s/w Aufnahmen, weil diese das Zusammenspiel von Licht und Schatten stärker betonen, die Plastizität deutlicher modellieren, damit mehr Konzentration schaffen und so die Wertigkeit steigern. Obwohl es ihm missfällt, dass wir heutzutage mit Farbfotos regelrecht zugeschüttet werden, weiß er wohl zu unterscheiden. Denn nicht alles lässt sich in Schwarz-Weiß wiedergeben, so manches Thema verlangt per se nach Farbe.

Kurz nach seiner Rückkehr 1968 nach Deutschland begann er dieses Wissen gezielt in die Tat umzusetzen. Hier, genauer in der Stein-Kaserne, allerdings landete er vollkommen ungeplant. Auslöser war die Bekanntschaft mit einem Freisinger im fernen El Paso, der ihm vollmundig von hiesigen Standortvorteile wie der Lage nahe der Alpen und Italien vorschwärmte. Bevor er ausfliegen durfte, musste er aber seinen Dienst im Pressebüro der Kaserne erfüllen, was eher eine nüchterne Angelegenheit darstellte, da er dort für die Auswertung der Presse zuständig war. Weil er aber ebenso unternehmungslustig wie kommunikationsfreudig ist, knüpfte er schnell Bekanntschaften in der Stadt, auch mit Zeitungsredakteuren, durch die er rasch zu sporadischen Fotoaufträgen kam. Und prompt erschien sein erstes Pressefoto noch im selben Jahr im Freisinger Tagblatt. Bezeichnenderweise war ausgerechnet das Faschingstreiben sein erstes Thema als Fotograf, ein Passenderer als ein Rheinländer lässt sich dafür kaum denken. Im Lauf der Zeit erlaubte ihm sein Regiment Kommandeur sogar während der Dienstzeit zu akuten Ereignissen wie Unfällen oder Bränden zu fahren, so dass ab 1971 regelmäßig Lehmann-Fotos das Tagesgeschehen dokumentierten.

Um dieses Berufsbild zu vertiefen bewarb er sich 1977, nach der Beendigung seiner Militärzeit, um einen der begehrten Studienplätze an der Bayerischen Staatslehranstalt für Photographie in München und wurde ohne Umschweife angenommen. Bald mietete er mit Johannes Sieber ein Großraumstudio mitten in der Stadt an und schuf sich so die Grundlage zu einer facettenreichen Fotografenkarriere, die weit über seine kontinuierliche Pressetätigkeit  hinausreicht. Er arbeitete für diverse Werbeagenturen und als Industriefotograf für so namhafte Firmen wie die Baywa, Texas Instruments, die Allianz-Stiftung, mehrere Brauereien, den Hopfenverband Hallertau, die Freisinger Bank, Audi am Flughafen, das Fraunhofer-Institut und sogar für Alfons Schuhbeck hat er dessen Champagner-Empfänge festgehalten. In spezieller Erinnerung blieben ihm seine Aufnahmen für Kunert-Strümpfe, die so wirken sollten, als seien die Beine in Bewegung. Um dies zu erreichen, machte er eine ganze Reihe von Dias, die jeweils anders ausgeleuchtet wurden, was allerdings zur Folge hatte, dass er mit Filtern arbeiten musste, um Farbstiche zu vermeiden. Am Ende wurden diese Bilderfolgen so in Bewegung gebracht, dass ein täuschend echt wirkendes Resultat herauskam. Mit seinem weitreichenden Einfühlungsvermögen, gekoppelt mit technischer Perfektion, verstand er es immer wieder, nicht nur seine Auftraggeber zu beeindrucken, sondern auch Juroren. So gewann er bereits in seiner Militärzeit einen 1. Preis für ein s/w Portrait von einem reifen Mexikaner. Dort wie hier war und ist er stets auf der Suche nach den Besonderheiten der Region, wie etwa Schwänen am Pullinger Weiher, und eben die bescherten ihm den 1. Preis bei einem Wettbewerb des Klinikums Freising.

Obwohl ihn und seine Experimentierlust besondere Raffinessen immer gereizt haben, schlägt sein Herz vielmehr für eine durch und durch ehrliche, unverfälschte Fotografie, besonders die von Menschen. Jahrzehntelang liebte er es, durch die Straßen zu streifen, und die Menschen in ihrem Sosein einzufangen. In München ebenso wie in aller Welt, neben Aufnahmen vom Viktualienmarkt finden sich beispielsweise ein Billard spielender Ire, eine Bettlerin am Straßenrand in Costa Rica oder ein Zigarrenraucher auf Kuba. Leider aber ist diese sogenannte Street-Fotografie heute aus personenschutzrechtlichen Gründen nicht mehr erlaubt. Einige dieser Bilder waren in verschiedenen Ausstellungen in Freising zu sehen. So widmete er den ‚Menschen in Freising‘ eine Schau, aufgenommen mit einer Großformatkamera und gezielter Lichtführung, die die jeweilige Persönlichkeit unterstreicht. Auf 120 mal 170 cm messenden Abzügen ließ sich damals in der ehemaligen Vimy Sporthalle ein Streifzug quer durch die hiesige Gesellschaft unternehmen. Zusammen mit Beate Ringenberg realisierte er im Lindenkeller das Projekt ‚die Frau der Körper‘, eine Hommage an die Weiblichkeit. Mitte der 1970er startete er mit Johannes Sieber und Sigi Martin einen Streifzug durch die Domstadt und präsentierte diese Zeitzeugnisse in der Luitpoldhalle. Ebenfalls mit Sieber machte er sich nach der Wende auf in die neuen Bundesländer, um eine Bestandaufnahme unter dem Titel ‚DDR die Stunde null‘ zu fixieren. Darüber hinaus entstanden auf privaten Reisen in die weite Welt selbstverständlich auch jede Menge stimmungsvolle Aufnahmen von charakteristischen Ansichten, die er in Büchern zu eindrucksvollen Fotostrecken vereint hat. Leider sind diese aber nur Unikate und nie gedruckt worden. Davon und von noch viel mehr zeugen die 15 Regalmeter füllenden Ordner mit Fotonegativen in seinem Keller. Gäbe es nicht längst die platzsparende Digitaltechnik, wäre dieses Archiv wohl um einiges voluminöser.

Trotz seiner zahlreichen Erfolge ist ihm sein Vermögen nie zu Kopf gestiegen. Vielmehr gibt er sich damit zufrieden, wenn es ihm gelingt, mit seinen Arbeiten in sich selbst wie in seinen Bildbetrachtern ein Glücksgefühl auszulösen. Passend dazu sagt er über sich selbst: „Ich habe meine Arbeit nie als Arbeit empfunden, sondern als etwas, das über meinen Hobbyhorizont hinausgegangen ist.“ Dieses Etwas allerdings zeichnet sich durch eine konsequente und stringente Vorgehensweise aus. Grundlegend für sein Schaffen ist es ihm, eine Balance zwischen gutem Handwerk und Dokumentation zu finden, um damit seine Umwelt in ihrer ganzen Vielfalt wie in ihrer Charakteristik zu erfassen und zu transportieren. (Foto: Lehmann)

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2021.
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