von Denice Fuchs
Auf einer Wiese an der Prinz-Ludwig-Straße steht ein kleines, völlig unscheinbares Häuschen. Es sieht alt, jedoch noch sehr stabil aus. Man geht einige Steintreppen hoch und gelangt in einen – zumindest auf den ersten Blick – noch viel unscheinbareren Vorraum. Durch die alten Fenster gelangt helles Licht in den farblosen Raum. Die Wände sind leer, bis auf einen viereckigen Zähler, bei dem ein Unwissender nur raten kann, was er denn in einem früheren Leben mal gezählt hat. Ein Blick auf den Boden macht das Ganze interessanter. Aus einer Klappe, die aussieht als wäre sie für gewöhnlich geschlossen und würde einen alten Schatz hüten, ragt eine Leiter. Wer erfahren will, was sich hinter der Klappe verbirgt, muss die Mutprobe bestehen und durch die schmale Öffnung im Boden nach unten steigen. Wer seine Konzentration nur darauf gerichtet hat, keine der Sprossen zu verfehlen, kann wenig später erleichtert aufatmen: Endlich wieder Boden unter den Füßen. Hier, einige Meter unter der Erde, ist es plötzlich viel kälter.
Wenn man sich jetzt umsieht, erkennt man ein altes Gewölbe. Es ist der nächste Freisinger „lost place“ – ein verlassener Wasserbehälter. Im Winter 1888 erfolgte die Inbetriebnahme der damals hochmodernen Wasserversorgungsanlage. Dieser Wasserbehälter war der erste, der die Stadt auf eine Weise, wie wir sie noch heute kennen, mit Wasser versorgte. Die Bevölkerung konnte schon damals ganz einfach den Wasserhahn aufdrehen und ihr sauberes Trinkwasser abfüllen. Als der Wasserbehälter während des 19. Jahrhunderts noch mitten in der Planung ist, möchten die Freisinger jedoch eines sicherstellen: Wenn, dann richtig. Sie möchten nicht an der Wasserkapazität für den Einzelnen sparen. Für die damals 11000 Einwohner der Stadt wurden täglich 125 Liter pro Kopf berechnet. Was mehr als großzügig ist. Vergleicht man den errechneten Verbrauch eines Berliners zu dieser Zeit, kam dieser gerade einmal auf 65 Liter pro Tag. Fertiggestellt hat der lichtgeschützte Wassertank im Norden von Freising also ein Fassungsvermögen von 4000 Kubikmeter.
Steht man heute in diesem kalten Raum unter der Erde, ist es kaum vorstellbar, dass hier vor vielen Jahren der Wasserspeicher für eine gesamte Stadt ruhte. „Man möchte es kaum glauben, wenn wir uns hier die etwas runtergekommenen Wände anschauen, aber es war tatsächlich ein astreines Trinkwasser, was die Freisinger aus diesem Tank bekommen haben“, erklärt Wassermeister Florian Neumeier von den Freisinger Stadtwerken.
Durch kleine Rinnen an den Seiten der Kammer gelang das Wasser zu den Wasserpumpen, durch diese eisernen – heute rostigen – Pumpen wurde die Bevölkerung mit ausreichend Wasser versorgt. Das, was für so viele Menschen früher einmal ein so großes Stück an Luxus bedeutet hat, ist heute nicht mehr als ein lost-place.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2023.
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