Schulhausbau als konzertierte Aktion
Neben Kirchen und Pfarrhäusern sind es häufig alte Schulgebäude, die das Ortsbild unserer Landgemeinden bereichern. Im frühen 20. Jahrhundert erlebte der Landkreis Freising einen regelrechten Schulhausboom, der bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges anhielt. In Deutschland war die Geburtenrate Ende des 19. Jahrhunderts sprunghaft in die Höhe geschnellt. Die Zahl der Schulkinder wuchs kontinuierlich und mit ihnen der Bedarf an neuen Schulgebäuden. Diese Neubauten hatten die Gemeinden zu finanzieren, die deshalb oft Darlehen aufnehmen mussten. Das königliche Bezirksamt Freising, die Vorgängerbehörde des heutigen Landratsamtes, übte in der Person des Bezirksbaumeisters die direkte Bauaufsicht aus. Er war für den Hochund Tiefbau zuständig, außerdem musste er sich um die Belange der Denkmalpflege kümmern.
Im Bezirk Freising koordinierte Bezirksbaumeister Johann Leonhardt die Bauprozesse, häufig lieferte er auch Entwurfspläne für die neuen Gebäude. Im Staatsarchiv München und in der Sammlung der Kreisheimatpflege Freising haben sich kolorierte Handzeichnungen von Leonhardt für diverse Schulhausneubauten bis heute erhalten.
Multifunktionsgebäude im Dorfzentrum
Um 1900 mussten Dorfschulen mehre Zwecke erfüllen: Sie waren Lernort, Dienstwohnung und Sitz der Gemeindeverwaltung. In maximal zwei Schulsälen saßen die Schüler der Jahrgangsstufen eins bis acht, die eine Lehrkraft unter richtete. Diese wurde häufig von einem Hilfslehrer unterstützt. Der Lehrer, seine Familie und die pädagogische Assistenz wohnten separiert vom Klassenbereich im Schulhaus. Oft versahen die Volksschullehrer auch den Dienst des Gemeindeschreibers. In zahlreichen Schulhäusern war deswegen die Gemeindekanzlei oder das Standesamt untergebracht. Nicht selten umgab das Schulgebäude ein großer Garten mit Hühnervoliere, der nicht nur zur Versorgung der Hausbewohner diente, sondern den Schulkindern auch Grundkenntnisse in Gartenbau, Natur und Umwelt vermittelte.
Wippenhausen feiert sein neues Schulhaus
Am 6. Dezember 1904 um 15 Uhr versammelten sich in Wippenhausen alle Schulkinder, zahlreiche Gemeindemitglieder und einige Vertreter des königlichen Bezirksamtes Freising zur Einweihungsfeier vor dem neuen Schulhaus. Nach der Schlüsselübergabe an den Hausherren Lehrer Strauß, segnete Pfarrer Lochbrunner das Neue Schulhaus. Im festlich geschmückten Schulsaal richtete dann Bezirksamtsassessor Gabler das Wort an die Schuljugend, denn der Chef des Bezirksamtes war verhindert. Gabler mahnte die Kinder zu Fleiß und Gehorsam, denn nur so würden sie Eltern und Vorgesetzten Freude bereiten. Nach einem Hoch auf den Prinzregenten konnte das Schulhaus besichtigt werden. Maurermeister Sebastian Hilz aus Mauern hatte es nach Vorgaben von Johann Leonhardt errichtet. Sein kolorierter Plan für das Wippenhauser Schulhaus befindet sich heute in der Sammlung der Kreisheimatpflege.
Über den südlichen Eingang erreichte man im Erdgeschoss die geräumige Wohnung des Lehrers. Davon abgetrennt waren die Garderobe und das Standesamtszimmer. Die Schüler betraten das Schulhaus über einen zweiten Eingang im Norden. Von dort aus gelangten sie in die beiden Schulzimmer im Obergeschoss. Dort logierte auch der Hilfslehrer in einer kleinen Kammer. Die Fassade gestaltete Leonhard mit neubarock geschwungenen Giebeln und Eckpilastern. Das Schulgebäude wirkt so wie ein kleines Schlösschen und war ein „Mustergebäude, das der Gemeinde zur Ehre gereicht“, wie die Presse damals befand. Der allgemeinen Besichtigung des Schulhauses schloss sich ein fröhliches Beisammensein im Gasthaus Abstreiter an.
Solides Bauen in Rekordzeit
Das Wippenhauser Schulhaus war in der Rekordzeit von 6 Monaten erbaut worden. Genau wie die nur kurze Zeit später errichteten Schulgebäude in Wang, Eching, Neufahrn, Zolling und Kirchdorf. Auch sie waren in klassischer Baumeistertradition unter der Leitung von Johann Leonhardt entstanden.
Für Eching wählte Leonhard einen anderen Gebäudetyp: Kein geschlossener Baukörper, sondern ein Jugendstil – Schulhaus mit unterschiedlichen First,- Trauf- und Geschosshöhen, mehreren Giebeln sowie einem Erker wurde 1907 seiner Bestimmung übergeben. Der Bezirksbaumeister wiederholte dieses Schema dann zwei Jahre später für Neufahrn und Kirchdorf.
Neues Leben in alten Schulen
Das Bayerische Volksschulgesetz von 1966 und die Schulreform drei Jahre später führt zur Schließung der meisten Dorfschulen. Von 7000 Volksschulen waren 1970 noch 3000 übriggeblieben. Die alten Schulgebäude wurden verkauft oder neu genutzt.
In Eching dient das alte Schulhaus heute als Kinderbetreuungseinrichtung, in Neufahrn nutzen es Kinder- und Jugendliche als Treffpunkt und in Kirchdorf wurde die alte Schule zum Rathaus.
Bis heute prägen die alten Schulgebäude im Landkreis Freising die Ortskerne der Gemeinden. Sie veranschaulichen, dass zweckmäßiges Bauen auch unter Berücksichtigung ästhetischer Gesichtspunkte möglich ist.
Von Dr. Bernd Feiler, Kreisheimatpfleger
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juli/August 2022.
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