„Herr Dorn, sorgen Sie dafür, dass wir ab sofort mit einem eigenen Programm auftreten.“ Klare Worte von Thomas Claus, Vorstandsvorsitzendem der Freisinger vhs, zu seinem Geschäftsführer Oliver Dorn. Es ist November im Jahr 1993, die Vorsitzenden und Leitungen der Volkshochschulen im Landkreis Freising verlassen gerade den Sitzungsraum im Landratsamt. Auf der Tagesordnung standen die Entwicklung moderner Inhalte und Angebote sowie die Neuauflage des anstehenden gemeinsamen Halbjahresprogramms. Die Freisinger vhs hatte sich bisher als Teil des Volkshochschulverbunds des Landkreises verstanden. Bis eben zu diesem denkwürdigen Tag, an dem klar wurde, dass man aus den Kinderschuhen herausgewachsen war, eigenständig Programme entwickeln und individuell auftreten wollte. Ganze 28 Tage blieben Oliver Dorn für Konzeption, Planung, Gestaltung und Abgabe. Er selbst hatte erst vor einem Jahr den Posten als Geschäftsführer der Freisinger vhs übernommen. „Der Drang nach einem Bildungsanbieter mit Dienstleistungscharakter rückte in den Vordergrund“, beschreibt Dorn das damalige Selbstverständnis. „Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir an alten Mustern festgehalten. Was folgte, war die Öffnung für Veranstaltungen aus dem Berufswesen.“
Unter alte Muster fielen Finanzierungswege, das Design des Programmheftes wie auch zum Teil dessen Inhalte. Inhalte, deren Wurzeln in der Gründung der Volkshochschule im Jahr 1948 lagen. In den Tagen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen in Freising erste Bestrebungen auf, eine eigene kommunale Volkshochschule zu gründen. Verwaltung und Politik, Weihenstephaner Institute und die Berufsschulen zeigten sich jedoch ablehnend. Die Volkshochschule Landshut hingegen versuchte sich als Geburtshelfer, machte Werbung für ein Bildungswerk bei Oberbürgermeister Dr. Karl Wiebel und bekniete die Entscheider, die nötigen Schritte für die Gründung eines Volksbildungswerkes einzuleiten. Es benötigte jedoch noch den Aufschrei der Bevölkerung, bis der Boykott durch die Politik fallengelassen wurde. Der Weg für die Vereinsgründung war frei: Am 13. Oktober 1948 lud der Freisinger Volksbildungswerk e.V. zum Eröffnungsabend in den Rathaussaal ein. Ab 18. Oktober startete der erste Herbstlehrgang mit neun Kursen. Anregungen für die Programmbildung kamen aus Landshut: „Deutsche Dichter der letzten 100 Jahre“, „Techniken der Malerei“, „Einführung in Stenographie“, oder „Wie höre ich Musik: Ein Weg zur Freude“ wurde in Abendveranstaltungen in wechselnden Einzelvorträgen gelehrt. Veranstaltungsorte waren die Knabenschule St. Georg in der Heiliggeist-Gasse oder der Rathaussaal. Die Kurskarten waren zum Semesterpreis von 3,00 DM pro Kurs im Schreibbüro Scharnbeck erhältlich. Die Leitung des Bildungsvereins erfolgte im Ehrenamt. Das folgende Wintersemester bestand bereits aus 16 Kursen, unterteilt in die Sparten allgemeinbildende Kurse, berufsfördernde Kurse, Sprachkurse und gesellige Kreise. Neben Russisch wurde auch Englisch unterrichtet.
Zehn Jahre später standen Grund- und Fortgeschrittenenkurse in Englisch, Französisch und Italienisch auf dem Lehrplan. Dazu präsentierte das Volksbildungswerk Vorträge namhafter Experten, die sich großer Beliebtheit erfreuten. In den 1950-er Jahren ging es darin um ferne Länder wie Korsika, Schlesien oder China. Aber auch praktisches Wissen über die „Macht des Geistes“, „Zivilisationskrankheiten und Todesursachen“ sowie über die „Wunder der Sternenwelt“ konnte erlangt werden. Aus dem übersichtlichen Faltblatt war eine achtseitige Broschüre im Din-A5-Format geworden. Ausgehend von der Erfahrung, „daß ein Einzelvortrag keine nachhaltige Wirkung übt, wenn er nicht in der Seele des Hörers einen aufnahmefähigen und aufnahmewilligen Boden vorfindet,“ erfolgte der Versuch, erstmals eine Vortragereihe einzurichten: Kunsthistoriker Dr. Hermann Heun führte an drei Abenden in feinsinnigen Erläuterungen in die Bau- und Bildhauerkunst der Gotik ein. Ebenfalls neu war das Angebot einer Studienfahrt. Am 01. Mai 1959 ging es in „die Stadt der Gotik und der modernen Wohnstadt, die Stadt der Gärten und Blumen, die Stadt der Kirchen und Türme wie die Stadt der engen Gassen und weiten Plätze“: Regensburg!
Die 1960er-Jahre waren geprägt von der kontinuierlichen Fortführung der Kurse und Vorträge, um tiefgreifenderes Wissen zu erlangen. „Alle bisherigen Teilnehmer werden gebeten, sich wieder einzufinden. Wenn Sie mit gleichem Eifer weiterlernen, wird der Erfolg nicht ausbleiben“, lautete der Aufruf im Arbeitsplan 1969. Mit dem Wechsel in die 1970er-Jahre bekam dieser ein neues Outfit. Moderner sollte die Broschüre sein, die mittlerweile 14 Seiten mit Kursen zu Fremdsprachen, Berufsbildung und Freizeitthemen „für die Frau“ wie auch mit einer Auswahl an Studienreisen füllte. Die Vorträge – über zwei Jahrzehnte das Aushängeschild des Freisinger Volksbildungswerkes – rückten in den Hintergrund. „Erstmalig soll in diesem Herbst ein Kurs für Buchführung und Maschinenschreiben durchgeführt werden. Nachdem die Erwachsenenbildung in Zukunft mehr in den Dienst der beruflichen Weiterbildung gestellt werden soll, wollen wir mit diesen beiden Kursen einen bescheidenen Anfang in dieser Richtung machen.“ Darüber hinaus gab es Angebote im Nähen, Basteln, Blumenstecken, Kosmetik und der Keramikarbeit.
Ein inniges Bedürfnis nach weiterer Professionalisierung deutete Gerhard Steinlehner als Leiter im Frühjahrsprogramm 1976 an: „Das wachsende Interesse an unseren Veranstaltungen stellt die leider immer noch ausschließlich in ehrenamtlichen Händen liegende Leitung der VHS Freising vor organisatorisch kaum mehr zu bewältigende Probleme. Mögen 1976 endlich die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die VHS in unserer Stadt weiter ausgebaut werden kann.“ Mit mittlerweile 15 Sprachkursen – nun auch in Spanisch, Russisch und Neugriechisch – festigte der Verein seine Kompetenz als kommunale Bildungseinrichtung. Teilnehmerzahlen von über 2.000 im Jahr, mehr als hundert Veranstaltungen und die große Anerkennung in der Bevölkerung überzeugten endlich auch Politik und Verwaltung davon, die Volkshochschule finanziell stärker zu fördern, so dass der Wunsch nach einem Ausbau wahr wurde. Die vhs erhielt mit Lothar Schönhärl und Thomas Claus einen neuen Vorstand und bereits im Programmheft des Frühjahrs 1978 wurden die erste hauptamtliche Geschäftsführerin Annemarie Becker-Freyseng und die neue Geschäftsstelle in der Kammergasse 12 vorgestellt. Im ehemaligen chirurgischen Krankenhaus war eben erst die Realschule eingezogen. Für die Verwaltung der vhs stand ein kleines Büro rechts neben dem Eingang bereit. Dank einem engagierten Vorstand sowie anspruchsvollen Mitarbeitern und Dozenten stand einem rasanten Wachstum nichts mehr im Weg. 1979 umfasste das Programm bereits 350 Veranstaltungen, zehn Jahre später waren es 700.
Die 1980-er Jahre waren geprägt von den Themenschwerpunkten Gesellschaft, neue Technik, Ökologie, Gesundheit und EDV. 1981 wurde der erste Computerkurs angeboten. Bis Ende der 90er Jahre stieg die Nachfrage im Computerbereich stetig bis zu 1.000 Teilnehmenden im Jahr. Heute liegen die Zahlen bei etwa 40 pro Semester. Unterrichtet wurde erstmals auch in eigenen Räumen: Seit 1978 belegte die vhs zwei Büros und zwei Kursräume in der Musikschule. 1988 ging es zurück in das Gebäude an der Kammergasse, aus dem die Realschule ausgezogen war. Erster und zweiter Stock sollten nun der Erwachsenenbildung dienen. Im Erdgeschoss beobachtete die Kommunalpolitik in ihren Fraktionsräumen das Geschehen. Durch stetige Information und Werbung in eigener Sache wurden aus finanziellen wie auch inhaltlichen Widerständen nach und nach Wohlwollen und Anerkennung.
Als eine Folge des starken Wachstums kann die Auflösung der bis dahin bestehenden Arbeitsgemeinschaft der Landkreis-Volkshochschulen gesehen werden. Deren Gründung hatte die Freisinger vhs selbst mit initiiert. Sowohl unterschiedliche Ziele und Programmvorstellung als auch einschneidende Änderungen in der Subventionspolitik führten 1993 zur denkwürdigen Auflösung: Die Volkshochschule Freising stand auf eigenen Beinen, verlieh sich selbst mit diesem Schritt und dem neuen Programm mehr persönlichen Ausdruck. Letzteres bekam in der Rekordzeit von 28 Tagen ein neues Gesicht in neuem Format. 85 eng bedruckte Seiten bewarben Kurse über Arbeitsmethodik und Bürotechnik, gesunde Ernährung, Gymnastik und Esoterik, Kochen und textiles Gestalten, Programmiersprache und EDV-Anwendungen, Englisch, Französisch und Spanisch. Bereits seit den 1960er Jahren ein fester Bestandteil im Programm, erfreute sich das Theater in den 90er Jahren wachsender Beliebtheit: Die Gruppe Werkstück wurde gegründet und mit dem Förderpreis des Landkreises ausgezeichnet. In Zusammenarbeit mit erfahrenen Referenten und Trainern der betrieblichen Weiterbildung konnten ab sofort auch Bildungsberatung und Bildungsveranstaltungen zum Erwerb von beruflichen Schlüsselqualifikationen besucht werden. Bis heute ist diese Firmenschulungsabteilung zum festen Bestandteil der Volkshochschule geworden, die u.a. mit dem Arbeitsamt zusammenarbeitet und Angestellte kommunaler Behörden, der Stadtverwaltung wie auch der Lufthansa schult und dafür große Anerkennung in der Region genießt.
Wie groß die Anerkennung bereits 2007 war, zeigte sich erneut in einer wegweisenden Sitzung. Damals mit dem Vorsitzenden Thomas Claus, seinem Geschäftsführer Oliver Dorn und Oberbürgermeister Dieter Thalhammer: Zur Feier des 60-jährigen Gründungsjubiläums im Folgejahr wünschte sich die vhs eine „Aufhübschung“ des Gebäudes: Neue Farbe und einen Aufzug für den barrierefreien Zugang in die Obergeschosse. Nach intensiver Vorbereitung war man zum Gespräch erschienen. Die Idee der Aufhübschung wurde dennoch abgelehnt. Was die vhs bekam, war eine Sanierung von Grund auf sowie die alleinigen Nutzungsrechte im Gebäude. 2011 konnte die Einweihung des modernisierten Gebäudes gefeiert werden.
Nun steht erneut der Mensch im Fokus der Weiterbildung. „Neugier.Planung.Aufbruch.“, „Lebenslinien“ oder „Wir über uns“ titeln die aktuellen Programme der Freisinger Akademie für Erwachsenenbildung. Spezialisierung, Individualisierung und Professionalisierung können durch ein anspruchsvolles Programm von jedermann und jederfrau erreicht werden. Differenzierte Themenbereiche, über 20.000 Teilnehmende und 1.700 Veranstaltungen beschreiben Wachstum und Know-how aus 70 Jahren Fortbildung. Und mit „Farbenspiele: Leben und leben lassen“ begibt sich die vhs nun in die Zukunft, in der sich die jahrzehntelange Weiterbildung auszahlt. Denn, so Dorn über das heutige Selbstverständnis, „hier kommt man nicht hin, um jemand zu werden. Hier ist man schon jemand!“.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juli/August 2018.
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