„Ein trockener und warmer Sommer, der in Süddeutschland die Volksfeste im Freien begünstigt und über den Durst vermehrt, […] steigert mitunter die Nachfrage [nach Krügen] derartig, das ihr nicht genügt werden kann… […] die billigste und schlechteste [Ware] findet immer noch willige Abnahme für die süddeutschen Volksfeste im Freien mit der beliebten Rauferei.“ Mit diesen Worten* beschrieb im ausgehenden 19. Jahrhundert der Forscher Ernst Zais den süddeutschen Absatzmarkt für das begehrte Trinkgeschirr aus Steinzeug.
Salzglasierte Steinzeugkrüge haben in Bayern Tradition und waren stets außerordentlich beliebt. Zum einen aus praktischen Gründen, denn sie sind ideal für den Biergenuss geeignet: Der Ton hat kühlende Wirkung und durch die Oberflächenbeschaffenheit von Salzglasuren bleibt die Kohlensäure länger im Bier gebunden. Es verwundert daher nicht, dass im 19. Jahrhundert die „steinernen Bierkannen …in Süddeutschland, vorzüglich in Bayern zu Trinkgefäßen für Bier, massenhaft in Gebrauch“ waren.
Zunächst wurden die Bierkrüge allerdings im Westerwald produziert, wo sich die größten Tonvorkommen Europas mit den reinsten und hochwertigsten Tonen befinden. Diese Tonvorkommen beförderten hier schon seit dem 15. Jahrhundert die Entwicklung der Herstellung von Steinzeug, was dieser Gegend den Namen „Kannenbäckerland“ eintrug. In ganz Europa wurde Steinzeug aus Westerwälder Produktion benutzt. 1865 berichtet Pfarrer Wilhelm Müller aus Grenzhausen: „Das Absatzgebiet für die Kannenbäckerei im eigentlichen Sinne ist Süddeutschland, hauptsächlich Bayern, wo der Genuß des Bieres unglaubliche Massen solcher Trinkgeschirre nöthig macht.“ Auch 1895 berichten Ernst Zais und Paul Richter in ihren Untersuchungen zur Lage der Steinzeugfabrikation in Preußen: „Die Süddeutschen hören nicht auf, ihr Bier aus westerwäldischen Steinkrügen zu trinken.“
So war es nur folgerichtig, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Freising tatkräftige Unternehmer zusammenfanden, um die beliebten Steinkrüge unmittelbar vor Ort herzustellen. Der erste war Adam Schön aus Röttenbach bei Erlangen. Als Adam Schön zusammen mit Max Borho 1875 begann, eine Steinzeugfabrik in Freising aufzubauen, wählten sie als Standort das Anwesen mit der damaligen Adresse Nr. 62 – heute Am Wörth 28. Das Grundstück am Fuße des Domberges liegt strategisch günstig in der Nähe des Bahnhofes zwischen zwei Armen der Moosach. Der Ton musste schließlich aus dem Westerwald importiert werden. Holz für den tagelangen Brand konnte über die Isar geflößt werden.
Am 9. März 1876 war der Fabrikofen auf dem Gelände Am Wörth 28 zum ersten Mal für eine Produktion in allen Brennschritten in Betrieb. Unmittelbar darauf kam es zu einer Beschwerde der Nachbarn, sodass der gesamte Vorfall am 16. März 1876 wieder durch den Stadtmagistrat behandelt und wie folgt dokumentiert wurde: „Durch Magistratsbeschluß vom 7ten Oktober 1875, No. 609, wurde dem Fabrikanten H[errn] Adam Schön die Erlaubnis ertheilt einen Brennofen für Steingutwaaren zu errichten, bei dieser Erlaubnis aber ausdrücklich das Recht vorbehalten den Geschäftsbetrieb einzustellen, falls [sich] für die Nachbarschaft eine Feuersgefahr oder eine Belästigung durch Rauch herausstellen würde. Als nun der Brennofen am 9ten Merz in Thätigkeit war stellte sich heraus, daß dieses Unternehmen für die Nachbarschaft nicht bloß eine Feuersgefahr, sondern auch eine große Belästigung infolge des sich entwickelnden Rauches zur Folge hat. Dies beruht nicht nur auf Amtskundigkeit, sondern ist auch seitens des Technikers – wenn auch nur in letzterer Richtung – laut eingeholten Gutachten zugestanden. Der Magistrat sieht sich deshalb veranlaßt die unterm 7ten Oktober v[origen] J[ah]r[e]s ertheilte Bewilligung vorläufig zurückzuziehen, und den Geschäftsbetrieb einzustellen. Es wird dem Fabrikanten H[errn] Schön überlassen einen Plan über neuerliche bauliche Vorrichtungen etwa nach Maßgabe des technischen Gutachtens vorzulegen, durch welche die Nachbarschaft in jeder Weise gesichert erscheint. Der Magistrat behält sich bis dahin weitere Beschlußfassung bevor.“ Die für den Salzbrand übliche, massive Rauchentwicklung, das Herausschlagen der Flammen aus den Salzlöchern und das leise tosende Brausen des Ofens schufen den Eindruck einer akuten Feuergefahr. Damit war, kaum dass der Betrieb begonnen hatte, die Fabrik schon wieder stillgelegt. Auf der Suche nach Geldgebern, um den Umbau finanzieren zu können, fand Adam Schön Albert Hauber aus Stuttgart und Anton Danner aus Dillingen. Zusammen gründeten sie im Mai 1876 die Firma „Schön, Hauber & Co.“. Danner und auch später Schön verließen die inzwischen gut gehende Fabrik. Ab dem 3. Mai 1879 lautete mit dem Beitritt von Haubers Schwager Johann Reuther aus Altdorf bei Nürnberg die Steinzeugfabrik offiziell „Hauber & Reuther“. Mit ihnen begann auch die Kennzeichnung der Produkte mit einer eigenen Marke – die ligierten Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen: “HR”.
Hauber & Reuther stellten in den Anfangsjahren graues reduziert gebranntes Steinzeug mit Salzglasur her. Häufig ist es mit einer kobaldblauen, manganbraunen und manganvioletten Bemalung geschmückt. Später kamen bunte Dekore mit Schmelzfeuerfarben hinzu. Durch die Geschäfte mit der Westerwälder Fabrik Merkelbach & Wick konnte auch Hauber & Reuther die ab den 1880er Jahren beliebten Gefäße aus Elfenbeinsteinzeug mit eigener Bemalung verkaufen. Zylindrische und gebauchte Bierkrüge, Trinkgefäße in figürlichen Formen wie Mönche und Nonnen sowie Nachbildungen von reich geschmückten Steinzeuggefäßen aus der Renaissance nehmen den Hauptteil der frühen Produktion aus grauem Steinzeug ein. Bei „Imitationen alter Schau- und Trinkgefäße“ blieb es nicht, sondern die historischen Formen wurden in neuer Art und Weise zusammengesetzt und in sehr aufwendiger Gestaltung mit großer Sorgfalt ausgeführt.
Nachdem die Krüge geformt, bemalt und gebrannt wurden, harrten sie noch ihrer Fertigstellung. Die häufigste Art war dabei das Bestücken mit Deckeln. Es war üblich, die Krüge und Kannen fast ausnahmslos mit Zinndeckeln zu versehen, die zumeist sehr reich im Stil des Historismus verziert wurden. An den erhaltenen Krügen und Kannen finden sich an vielen Deckeln eingeschlagene Marken der Zinngießereien, darunter auch die zwei Freisinger Zinngießermeister: Peter Reill und Joseph Reill. Auch hat man Bierkrüge mit kleinen meist aus der Schweiz importierten Spieluhren in den extra dafür vertieften Boden versehen. Nach dem Aufziehen der Spieluhren erklang dann beim Aufheben des Kruges bis zum Absetzen eine beliebte Melodie.
29 Jahre lang produzierte Hauber & Reuther in Freising mit großem Erfolg in erstaunlicher Vielfalt Bierkrüge- und kannen, Trinkgeschirre, Bowlen, Vasen, Likörservice etc. und exportierte in die ganze Welt. Nach dem Konkurs der Firma im Jahre 1904 geriet die Steinzeugproduktion in Freising und Umgebung allerdings bald wieder in Vergessenheit. Doch bei Sammlern erfreuen sich die Erzeugnisse bis heute großer Beliebtheit. In den 1980er und 90er Jahren gab es besonders in den USA und Kanada einen Höhepunkt des Interesses an den „German Beersteins“. Selbst Hollywoods Szenenbildner sprangen auf diesen “boom” auf: In der auch für seine bemerkenswerten Wohnungsausstattungen bekannten Krimiserie “Columbo” (Folge „Rest in Peace, Mrs. Columbo“ Universal-Film von 1990) sind für die Wohnungsausstattung der Hauptprotagonistin zwei Krüge und eine Kanne in „altdeutscher Art”, wie sie auch Hauber & Reuther produziert hat, geradezu zur Schau hingestellt. Ob die hier gezeigten aus Freising stammen, lässt sich zwar nicht mit Sicherheit bestimmen. Dennoch zeigt diese Szene die Beliebtheit solcher Sammlerstücke in dieser Zeit.
Mit den Grabungen im Bereich des heutigen Parkhauses Am Wörth 1988 wurde die Fabrikation von Steinzeug in Freising wieder bewusst. Erwin Neumair und Prof. Herbert Hagn haben zusammen mit Mitgliedern des Archäologischen Vereins Freising dort eine Unzahl an Fundscherben aus dem Werkstattabfall geborgen. Weitere Funde kamen bei Grabungen 1990 und 1994 im Bereich der ehemaligen Fabrik ans Licht.
Heute befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Fabrik Hauber & Reuther noch das entkernte Wohnhaus. Das Rückgebäude und alle später hinzugefügten Bauten wurden abgebrochen und ein Garten angelegt. Augenscheinlich erinnert nichts mehr an die ehemalige Freisinger Steinzeugfabrik, deren Erzeugnisse in die ganze Welt exportiert wurden. Auch heute liegt noch manche Scherbe verborgen in der Erde und wird künftigen Findern von Hauber & Reuther erzählen.
Bei der jüngsten Sichtung und Untersuchung der Grabungsfunde kam unter den abertausenden Scherben auch eine Scherbe mit dem „Freisinger Bären” ans Licht. Sie zeigt den einzigen direkten Bildzusammenhang bei der Gestaltung der Steinzeugwaren von Hauber & Reuther zur Stadt Freising (Seite 18).
von Eva Willberg
Wer sich weiter in die spannende Geschichte der Steinzeugfabrik vertiefen möchte, findet neben einem umfassenden Werkkatalog Informationen zu den Gründern und deren Mitarbeiter, zu den Gebäuden und den Produkten in den Freisinger Archäologischen Forschungen Band 3 des Archäologischen Vereines („Hauber & Reuther – Steinzeug aus Freising von 1876 bis 1904“ von Eva Fritz). Das Buch kann für 20,- € beim Archäologischen Verein erworben werden (Florian Bichlmeier; florian.bichlmeier@arcor.de; 0170-7132141).
*”Worten” fehlt in der Printversion.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom September 2022.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.