Glocken bewegen die Freisinger. Das konnte man besonders vor fünf Jahren erleben: Es war Sonntag, der 7. Oktober 2007, als das große Domgeläut in einem festlichen Zug mit Pferden- und Ochsengespannen auf dem Domberg wieder vereint wurde. Tausende von Freisingerinnen und Freisingern strömten damals zu diesem Ereignis, um „ihre Glocken“, die wegen einer umfassenden Restaurierung mehrere Monate in der Glockengießerei Perner in Passau eingelagert waren, wieder in Empfang zu nehmen.
Zur Erinnerung: Die Glocken des achtstimmigen Geläuts aus den Jahren 1563/64 wurden nach dem Zweiten Weltkrieg unversehrt in Hamburg aufgefunden; dorthin waren sie zuvor gebracht worden, um sie zur Gewinnung von Munition einzuschmelzen, der Krieg war jedoch glücklicherweise zu Ende, bevor dieses Vorhaben umgesetzt werden konnte. Zurück in Freising hatte man dann zwei der acht Glocken (Justinus- und Alexander-Glocke) nicht mehr im Nordturm des Domes, sondern in die Türme anderer Freisinger Kirchen (Wieskirche, Pallottinerkirche) gehängt – die dortigen Geläute hatten den Krieg nicht überstanden. Durch die Initiative und großzügige Spendenbereitschaft vieler hunderter Freisinger Bürgerinnen und Bürger konnte das Geläut 2007 nach jahrzehntelanger Trennung wieder zusammengeführt, restauriert und um zwei neu gegossene Glocken erweitert werden. Seither verfügt der Freisinger Dom über ein ganz außergewöhnliches Geläut, das in der gesamten Fachwelt Aufsehen erregte (so berichteten sogar in den Niederlanden einige Zeitungen ausführlich über dieses Ereignis). Das Geläut gilt heute als das größte erhaltene Renaissance-Geläut der Welt.
Nun steht die „Heimkehr“ einer weiteren historischen Freisinger Glocke bevor. Ältere Bürgerinnen und Bürger erinnern sich vielleicht noch, dass bis Anfang der 1960er Jahre auch im Turm des Residenzgebäudes (damals Priesterseminar, heute Bildungszentrum) eine kleine Glocke hing. Sie gehörte zur darunterliegenden Hofkapelle (oder Marienkapelle), die zu Beginn des 17. Jahrhunderts in diesen ehemaligen Wehrturm integriert worden war. Geläutet hatte man sie zuletzt nicht mehr, auch das Glockenseil war längst verrottet. Als nun 1961 der Erweiterungsbau des damaligen Priesterseminars westlich des Residenzgebäudes fertiggestellt war, hängte man diese Glocke vor die ebenfalls neu errichtete große Hauskapelle des Seminars, St. Martin, direkt über dem Innenhof auf. Sie diente den angehenden Priestern als Signal zum regelmäßigen Gebet. Diese Funktion erfüllte sie aber nur bis 1968, dann wurde das Seminar zu dem bis heute bestehenden Bildungszentrum „Kardinal-Döpfner-Haus“ umgewandelt. Das Glockenseil verführte nun immer wieder Tagungsgäste, die Glocke auch zu den ungewöhnlichsten Zeiten zu läuten, so dass man das Seil schließlich einfach abnahm. Da hing sie nun stumm, über 50 Jahre lang.
Dabei ist diese Glocke, so klein sie auch ist, eine Kostbarkeit. Kurz zu ihrer Geschichte: Fürstbischof Ludwig Joseph von Welden (reg. 1769-1788) brachte sie von einer Romreise als schwergewichtige Devotionalie mit. Es handelt sich um eine sogenannte Loreto-Glocke, war also Maria geweiht, und wurde bei dieser Reise über den berühmten italienischen Wallfahrtsort Loreto nach Freising geführt.
Nun einige Daten zu diesem Kleinod: Gegossen wurde sie 1776 in Rom, Gewicht 30 kg, Nominalton c3 (dies ist der Ton, den das menschliche Ohr aus den bis zu 60 verschiedenen Tönen einer Glocke herausfiltert), Durchmesser 34 cm. Auffallend ist der besonders schöne silbrige Klang. Nun ist es höchste Zeit für eine Rückkehr dieser Glocke auf ihren angestammten Turm. Herr Peter Lenz, Vorstandsmitglied beim Förderkreis Kardinal-Döpfner-Haus, war der großzügige Sponsor, der diese Rückkehr ermöglichte. Der technische und finanzielle Aufwand erwies sich doch erheblich aufwändiger als ursprünglich gedacht. Ende Oktober wird nun die Montage der Maria-Loreto-Glocke durch die Firma Perner in Passau, wo die Glocke in den vergangenen Wochen restauriert worden war, erfolgen.
Mit der Rückführung der kleinen Glocke an ihren ursprünglichen Platz wird – wie so häufig in den vergangenen Jahren – ein in den 1960er Jahren gestörter Sinnzusammenhang wiederhergestellt: Die Hofkapelle, Maria geweiht, in einem alten Wehrturm, der auch durch seine äußerliche Gestalt mehrfach auf das Marien-Patrozinium hinweist (Figur, Monogramm), erhält wiederum eine Marien-Glocke.
Am Sonntag, den 11. November 2012 wird Domrektor Msgr. Rainer Boeck nach dem festlichen Gottesdienst (Beginn 10.30 Uhr) die Maria-Loreto-Glocke, die kleinste der Glocken auf dem Freisinger Domberg, mit einem Segensgebet in die Reihe der großen Geschwister in den Domtürmen einfügen. Hierzu sind alle Interessierten ganz herzlich eingeladen.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2012.
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