Es war die Zeit der Vereinsgründungen. Wie Pilze schossen sie ab 1860 aus dem Boden, doch nur wenige „überlebten“ bis heute. Was nun den Freisinger Kaufmann Franz Rosner am 20. August 1861 bewogen haben mag, in der 7000 Seelen zählenden „Königlichen Stadt“ den „Turn- Verein 1861“ aus der Taufe zu heben, wird leider im Dunklen bleiben. Dass aber eben jener Kaufmann ganz klare Vorstellungen hatte über „Stärkung der physischen wie moralischen Kraft des Menschen“ ist unbestreitbar. „Mens sana in corpore sano“ – nur in einem gesunden Körper kann ein gesunder Geist bestehen – der Grundgedanke von „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn anno 1811 vorgegeben, wurde von Rosner aufgegriffen und mit einer Vereinsgründung in die Tat umgesetzt. Rosner stand mit seiner Initiative aber nicht allein.
Zu dem rührigen Geschäftsmann gesellten sich der Appellationsgerichts- Diurnist (Gerichtsschreiber) Grubmiller, die Schriftsetzer Anton Mayer, Franz Nigg und Josef Löffler, der Student Martin Bachmaier, der Gastwirt Xaver Schuster, der Privatier Wahlleutner, der Maler Ludwig Ellmer jr. sowie der Salzstößler Georg Schade. Sie alle waren Männer der ersten Stunde des heutigen TSV Jahn. Weitere 35 „gstandne“ Freisinger schlossen sich bis Ende des Jahres 1861 den Gründern an. „Gstandn“ schon deshalb, weil es zur damaligen Zeit absolut nicht selbstverständlich war einem Verein anzugehören. Es waren halt „Extrige“.
Der Idee Rosners taten aber solche Bürgervorurteile keinen Abbruch und so sahen er und seine Freunde über alle äußeren Schwierigkeiten, deren es in Hülle und Fülle gab, hinweg. Es bedurfte beispielsweise schon eines gehörigen Pioniergeistes, um sich vom Übungsbetrieb in der Luitpoldanlage in einem kleinen Holzstadel – durch dessen morsche Bretter der Wind pfiff – nicht abhalten zu lassen. Dessen ungeachtet beantragten immer mehr Sportbegeisterte ihre Aufnahme beim „Turn-Verein Freising 1861“. Ein Jahr nach Gründung waren es bereits 145 eingeschriebene Mitglieder. Mit welcher Begeisterung die Männer bei der Sache waren, beweist allein schon die Tatsache, dass aus dem Verein heraus im August 1862 die Anregung zur Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr kam. Nach „langen Verhandlungen mit dem Freisinger Stadtrat“, so der Vereinschronist der damaligen Zeit, wurde am 24. Oktober des Jahres 1863 den Urhebern grünes Licht für ihr Vorhaben gegeben. Erster Feuerwehr- Kommandant wurde der Magistratsrat und Stadtkämmerer Kaminkehrermeister Johann Nepomuk Peslmüller. Noch im gleichen Jahr entstand aus den Reihen der Wehrler eine Sanitätskolonne. Zum Obmann wurde der Glasmaler Peter Hartwein gewählt. Ihm zur Seite stand als „erster Schriftführer“ Oskar Lehmann. Apropos Schriftführer. Erst „mit Beginn des vierten Gründungsjahres (des Freisinger Turn-Vereins) wurden sogenannte Kneip-Protokolle abgefaßt und waren diese auf lose Blätter geschrieben“, weiss „erster Schriftwart“ Sebastian Hiedl im Mai 1900 zu berichten. Hiedl weiter: „Von dem Jahr 1871 ab finden sich Bücher, welche in geordneter Folge über alle Handlungen und Vorkommnisse berichten.“ Diese Bücher, sorgfältigst in Sütterlin- Schrift verfaßt, waren an den äußeren Ecken des Einbandes mit Biernägeln (etwa sieben Millimeter hohe, konisch zulaufende runde Messingköpfe) versehen, die ein Verschmutzen des Dokuments durch etwaig ausgeschüttetes Bier auf dem Tisch verhinderten.
Donnerndes „Gut Heil“
In der „Maxburg“ an der Luckengasse, einem der wechselnden Versammlungslokale des Turn-Vereins, war die Stimmung wohl ziemlich getrübt, als 1866 die Niederlage Bayerns aus dem Krieg Preußen – Italien gegen Österreich – Deutscher Bund bekannt wurde, doch waren die über 300 Turnfreunde froh, dass alle ihre zum Kriegsdienst verpflichteten Kameraden wieder heil zu Hause angekommen waren. Fast überschäumend aber dann die Freude am 28. Januar des Jahres 1871. „Im Verlaufe der Kneipe wurde die freudige Nachricht bekannt, daß Paris kapitu1iert habe. Ein donnerndes „Gut Heil“ rief diese bedeutungsvollste aller Nachrichten in diesem Kriege hervor“, so Franz Datterer, seines Zeichens erster Schriftwart in dem Vereinsprotokoll. Und sie hatten allen Grund zur Freude, die Vereinsangehörigen: sie waren wieder vollzählig – die Turnfreunde hatten den Krieg unbeschadet überstanden. Ja mehr noch. Der Freisinger Turn-Verein von 1861 hatte zwischen den bewaffneten Konflikten auch an dem deutschen Turnfest, 1863 in Leipzig, teilgenommen. Zwar reichte es noch nicht zu einem der vordersten Plätze, doch zeigten die Freisinger damals schon, dass man mit ihnen einmal rechnen müsse.
Von Ehrrührigem, Tod und Konkurrenz
Steigende Mitgliederzahlen kennzeichneten die weitere Entwicklung des Turn- Vereins. So war es auch nicht verwunderlich, dass nicht alle Sportler nur dem Turnen frönten. Es entstanden im Laufe der Zeit eine Schützenabteilung ebenso wie eine Fechter-Riege. Doch auch Fußund Faustball erfreuten sich steigender Beliebtheit und sogar eine Sänger- Truppe belebte das Vereinsleben. Hauptaugenmerk blieb aber immer das Turnen, und so waren Freisings Athleten auch auf dem Turnfest 1872 in Bonn vertreten. Mit dem Vereinswachstum blieben jedoch Querelen nicht aus. Wie streng damals die Sitten und Bräuche waren, darüber gibt das Protokoll einer „Ehrengerichtssitzung“ am Morgen des 16. September 1888 Auskunft. Über eine „Schwere Beleidigung“ hatte man zu befinden.
Nachdem allerdings „strengste Discretion“ vermerkt ist, soll auch hier nicht näher auf den Sachverhalt eingegangen werden. Die 500er-Marke an Mitgliedern war längst überschritten, als am 17. Februar des Jahres 1877 erster Sprechwart Carl Schmidt „der längst nicht mehr so gut besuchten Kneipe“ (Kneipe = Versamm-lung) die traurige Nachricht überbrachte, dass der Vereinsgründer Franz Paul Rosner „am 21. Dezember 1876 in Flörsheim mit dem Todt abgegangen ist“. Rosner hatte im Oktober 1863 der bayerischen Domstadt den Rücken gekehrt und das Main-Gebiet als neue Heimat gewählt. Zwölf Jahre später, man schrieb den 7. September 1889, eine weitere unangenehme Nachricht: Das siebte Deutsche Turnfest im Sommer in der Landeshauptstadt war mit guten Leistungen absolviert worden und noch in bester Erinnerung, die Mitteilung auf der Generalversammlung, dass „unterm 2. September 1889 der ‚Turnerbund Freising‘ ins Leben gerufen“ worden sei. „Herr Vorsitzender ersucht nur den 30 ausgetretenen Mitgliedern … nichts weiter nachzutragen“, so im von Schriftwart Adolf Karner abgefaßten Sitzungs-Protokoll der Kneipe. Eine Konkurrenz in dem neugegründeten Verein sahen die Turn-Vereins-Angehörigen nicht.
Die Besseren und die anderen
Überraschend kam für die Freisinger die Vereinsneugründung nicht. War doch die landläufige Meinung: „Beim Turn-Verein da san de ‚Bessern‘ und zum Turnerbund genga de ganz‘n Arbeita.“ Über Zulauf konnten sich aber beide Klubs nicht beschweren. Vorerst jedoch hatte der Turn- Verein „die Nase vorn“, nicht allein nur wegen eines vor Jahresfrist errungenen haushohen Siegs (487 gegenüber 436 Punkte) über den Turn- und Sportverein Turnerbund München in einem Städte- Wettkampf. Und der Turn-Verein setzte noch eins drauf, um dem neuen Verein zu zeigen, wer man eigentlich sei.
Kurz nach Bekanntwerden der Neugründungsnachricht wurde auf einer Sitzung beschlossen, das „28jährige Stiftungsfest am 5. Oktober 1889 ganz groß zu feiern“. Beim Turnerbund, von dem Kaufmann Georg Angermaier gegründet, zeigte man sich von derlei Aktivitäten wenig beeindruckt. Unter Angermaier, der bis zu seinem Tod im Jahre 1908 den Vorsitz hatte, fand der „Bund“ immer mehr Freunde und so blieben respektable Erfolge auf sportlichem Sektor nicht aus. Wie rührig man beim Turnerbund war, geht allein daraus hervor, dass das Gründungsmitglied Josef Ullschmid aufgrund seines Engagements Inhaber der höchsten Auszeichnung der Deutschen Turnerschaft wurde und die Mit welchem Engagement man bei der Turnsache war, geht auch daraus hervor, daß neben den sorgfältig geführten Protokollen eine mit viel Witz gemachte Kneip-Zeitung erstellt wurde. Ehrenmitgliedschaft angetragen bekam.
Einmal hier, einmal da: eine Alm muss her
Es war schon eine leidige Sache mit den Vereinslokalen beim Turn-Verein ebenso wie beim Turnerbund. Nicht weniger als fünf Gasthäuser dienten ersterem wechselweise als Treffpunkt. Da war zum einem die „Maxburg“ in der Luckengasse, dann das Gasthaus „Sonne“, der „Laubenbräu“ am Marienplatz, das Gasthaus „Zur Rose“ an der Alten Poststraße in Neustift und der „Bayerische Hof“. Nicht viel besser hatte es der Turnerbund, dessen Vereinsangehörige vom „Colosseum“ in den „Grünen Baum“, von da in den „Kochbräu-Keller“, dann in die „Weißbierbrauerei Huber“, von dort in die „Schießstätte“ wechselten, um beim nächstenmal im „Peterhof“ oder dem „Landshuter Hof“ Kneipe zu halten.
Was den Übungsbetrieb betraf, hatten allerdings die „Jahnler“ (1878 ist erstmals diese Schreibweise in den Protokollen vermerkt) ihren Vereinskameraden vom Turnerbund einiges voraus. Während der „jüngere Bruder“ im Colosseum-Saal trainieren musste, stand dem Jahn der Platz mit Stadel in der Luitpold-Anlage zur Verfügung. Dieser Stadel, kurz vor der Jahrhundertwende (1898) zur ersten Turnhalle der Stadt Freising umgebaut, genügte aber bald nicht mehr den Ansprüchen des Turn-Vereins und so wurde 1904 ein Neubau an anderer Stelle erwogen. Jahn, mittlerweile stolzer Besitzer eines Grundstücks auf der „Jahnhöhe“ (heute das Areal zwischen Ecker-, Asam- und Königsfeldstraße), liess den Gedanken Taten folgen und baute das Vereinsheim die „Alm“. Unvorstellbar heute, unter welchen Mühen und persönlichen Opfern die Vereinsangehörigen den Neubau bewältigten. Gewaltige Erdbewegungen mit Spaten und Schubkarre forderten Einsatz oft bis zum Umfallen. Dazwischen lag auch noch ein sportlicher Wettbewerb, das Deutsche Turnfest 1908 in Frankfurt. 1910 war es dann geschafft: die „Alm“ und eine Turnhalle auf der Jahnhöhe wurden eingeweiht. Auch der Turnerbund schuf unter gleichen Mühen und persönlichen Entbehrungen seiner Mitglieder einen Spiel- und Sportplatz nebst einer kleinen Holzturnhalle in unmittelbarer Nachbarschaft des Turn-Vereins auf dem Gelände des heutigen Sternplatzes.
Gerätebüchse bereitet keine Sorgen
Genau 1639 Sportbegeisterte konnte der Turn-Verein Freising seit Gründung im August 1861 bis zur Jahrhundertwende in sein „Grundbuch“ eintragen, doch unterm Strich blieben bis zum 1. Januar 1900 nur noch 160 Mitglieder. Austritt, Wegzug oder Tod bedingten den Schwund: Trotzdem, es war schon ein stolzes Sümmchen das da im Laufe der Jahre an Beiträgen in die Gerätebüchse (Vereinskasse) geflossen war, auch wenn der Obolus pro Mann nur 25 Pfennig und später 50 Pfennig im Monat betrug. Hinzu kam, dass Freisinger Geschäftsleute wie auch Privatpersonen bei diversen Anlässen den Verein finanziell unterstützten. Mit gut organisierten Veranstaltungen, nicht nur in der Domstadt, die immer ausgezeichnet besucht waren, taten die TSVler ein übriges. Wenn es auch keine großen Summen waren die da am Ende in die Gerätebüchse flossen, der Säckelwart (Kassier) konnte in den meisten Fällen zufrieden Bilanz ziehen.
Dunkle Wolken am Vereinshimmel
Der Turnverein Freising e.V. mit „eigener Turnhalle sowie Turn- und Spielplatz auf der Jahnhöhe 742 1/2“ war zufrieden. Die Mitgliederzahl war wieder im Steigen begriffen. Erfolge bei Bezirksturnfesten und sonstigen Sport-Veranstaltungen reihten sich aneinander, das Vereinsheim war fertiggestellt und so konnte man sich voll auf das anstehende „goldene Gründungsfest“ vorbereiten. Drei Tage wurde dann ab 22. Juli 1911, „unter reger Anteilnahme der Bevölkerung“ das 50jährige Bestehen gefeiert. Und noch einmal rückte Freising mit seinem Turn-Verein in die Schlagzeilen der Presse: Michael Engelsperger und Anton Schwaiger holten beim 12. Deutschen Turnfest im Juli 1913 in Leipzig den „ersten deutschen Siegerkranz“ für die Jahnler in die Dom- und Bischofsstadt. Mit dem 1. August 1914 jedoch zogen dunkle Wolken am Vereinshorizont von Turn- Verein wie Turnerbund auf: Deutschland hatte England und Frankreich den Krieg erklärt. Der Turnerbund hatte kurz vorher sein 25jähriges Stiftungsfest, verbunden mitdem 13. Gauturnerfest des Isarturngaus, an dem sich 104 Aktive beteiligten, mit großem Erfolg über die Bühne gebracht, als die Kriegsnachricht mit Einberufungsbescheiden beide Verbände konfrontierte. Zum Stillstand verurteilt wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs die gesamte Entwicklung im Vereinsleben. Ja mehr noch, die Kriegsmaschinerie forderte immer mehr Menschen. Die Mitgliederzahl beim Turn-Verein geriet ins Wanken, der Jahn-Klub in finanzielle Schwierigkeiten und dem Platz sowie der Halle auf der Jahnhöhe drohte das Aus. Mit welcher Verzweiflung damals das Häuflein Daheimgebliebener versuchte, das Unheil abzuwenden, geht allein schon daraus hervor, dass man alle im Feld befindlichen Mitglieder anschrieb und um Nachricht über das Vereinsinteresse bat. Das eigene Überleben jedoch hatte Vorrang. So kam es, wie es kommen musste: das Areal Jahnhöhe nebst Baulichkeiten wurde an die Stadt Freising verkauft, die es mit Hofrat Birner geschickt verstand, zu ihren Gunsten die Verhandlungen zu führen. Um nun aber trotz allem noch einen Übungsbetrieb abhalten zu können, übernahm der Turn-Verein pachtweise das alte Hofbrauhaus-Anwesen an der Fischergasse und errichtete einen Spielplatz an der Erdinger Straße. Die geringe Mitgliederzahl in beiden Vereinen liess den Gedanken eines Zusammenschlusses reifen, der 1917 realisiert wurde. „Turngemeinde Freising“ war der neue Name. Diese Liaison hätte man sich sparen können, denn bereits zwei Jahre später (1919) erfolgte die Trennung. Der Turn-Verein blieb in der Fischergasse, der Turnerbund quartierte sich in der Aktienschänke ein, in der eine große Halle den Aktiven zur Verfügung stand. Diese Halle wird, den Erfordernissen entsprechend, in den Jahren 1924 bis 1932 umgebaut und wurde eine der schönsten Sportstätten. Für den Turn-Verein kam der nächste Tiefschlag: Das erst vor ein paar Jahren gepachtete und zum Sportplatz ausgebaute Grundstück an der Erdinger Straße muss dem Besitzer, der Kirchenverwaltung Sankt Georg und der Heilig-Geist- Spital-Stiftung, zurückgegeben werden. Sie gingen also wieder getrennte Wege, die Interessen blieben jedoch dieselben. Und noch etwas hatten Turn-Verein und Turnerbund gemeinsam: die Trauer um ihre „auf dem Feld der Ehre“ Gefallenen. Nahezu 100 Turnkameraden waren nicht mehr in die Heimat zurückgekehrt. Während es trotz allem nun beim Turnerbund wieder langsam aufwärts ging, schien sich dem Turn-Verein das Unglück an die Fersen geheftet zu haben. Die ehemals so erfolggewohnten Riegen konnten bei diversen Wettbewerben nicht mehr an die Leistungen wie vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Ein weiterer Rückschlag für Jahn dann die Inflation im Jahre 1923: das aus dem Grundstücksverkauf „Jahnhöhe“ erstandene Geld war nichts mehr wert, der Verein stand vor dem Nichts. (aus der Vereinschronik des TSV Jahn)
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juli/August 2011.
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