Hört man sich bei den Bewohnern der Umgebung etwas um, so stellt man fest, dass aus der ursprünglichen Sage mit der Weißen Frau im Laufe der Zeit ein Teufel geworden ist, der am Berg sein Unwesen getrieben und sogar Grenzsteine der ungeliebten Bauern versetzt habe. Welche Geschichten bereits im 19. Jahrhundert erzählt wurden, darüber berichtet der bekannte Pfarrer und Freisinger Heimatforscher Johann Baptist Prechtl, der 1887 aus diesem Anlass nach Pallhausen gereist war: „Der Volksmund spricht: Auf dem Kaltenberg bei Pallhausen stand einst ein Schloss. Zweimal ist es im Laufe der Zeit zerstört worden. Heute noch ist der Schlossbrunnen zu sehen und sind die Grundmauern im Boden kenntlich. Wenn man im Erdreich etwas nachgräbt, kommt man auf das Mauergestein. Meine Großmutter hat erzählt, wenn man in der Nacht am Kaltenberg vorbeigeht, so sieht man eine Weiße Frau, die Schlossgräfin, auf- und abwandeln. Einmal kam ein Mann vorbei, dem begegnete die Weiße Frau und sagte zu ihm, er solle auf den Berg gehen, da werde er eine eiserne Kiste finden, ein schwarzer Hund sitze davor mit dem Schlüssel im Maul. Er solle dem Hund den Schlüssel aus dem Maul reißen, das Tier werde zwar nach ihm schnappen, aber es werde ihm nichts antun. Der Mann ging auf den Berg und fand alles so, wie es die Frau gesagt hatte. Er riss dem Hund den Schlüssel aus dem Maul und steckte ihn in das Schloss der Kiste. Zweimal hatte er ihn schon umgedreht, als er aber das dritte Mal umdrehen wollte, sprang der Hund auf ihn zu. Da erschrak er so sehr, dass er losriss. Da versank die Kiste in den Berg.“ Prechtl berichtet weiter, dass sich nachts niemand mehr am Berg vorbeizugehen oder in der Nähe aufzuhalten wage. Die Angst vor dem Gespenst sei einfach zu groß. Das Phänomen der Weißen Frau geht bis ins 15. Jahrhundert zurück. Die größte Verbreitung fand der Glaube an den Geist im 17. Jahrhundert. Die Wundergläubigkeit jener Zeit ließ die Weiße Frau zu einem realen Faktor werden.
Wie sehr sich der Aberglaube zuweilen mit christlichen Formen umgab, beweist ein „Frais-Brief“ (Schutzbrief, Frais = Anfall, Krämpfe, Epilepsie) aus dieser Gegend, der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestellt wurde. Danach soll die Heißmutter von Pallhausen, die seit 50 Jahren Leichenfrau in Sünzhausen war, einem an der „Frais“ Erkrankten sonderbare Verse von einem abgegriffenen Stück Papier dreimal vorgelesen und sie ihm anschließend auf die Brust gelegt haben – bis dass „Herr Jesu Christi den kranken Menschen von seiner Pein und Marter erlediget, zum Leben oder zum Sterben.“ Die Neigung der Menschen zum Geheimnisvollen und Wunderbaren zeigte sich auch im Glauben an die verschwundene Burg am Kaltenberg. Prechtl machte sich 1887 auch dazu seine Gedanken. Er schreibt, dass „Pallhausen nebst Kaltenberg“ ein Weiler mit 7 Häusern und 51 Seelen sei, an deren östlichen Seite jäh ein bewaldeter Hügel emporsteige. „An der Pallhauser Befestigung sind deutlich zwei Wälle und eine Grube wahrnehmbar.“ Seiner Meinung nach diente die Umwallung als Zufluchtsstätte vor den Überfällen der barbarischen Hunnen. Was die verschwundene Burg anbelangt, so sei in der Kirche zu Giggenhausen ein Holzgemälde mit einer Burg und einer Inschrift von Schloss und Festung Kaltenberg „nägst Pallhausen im Gericht Kranzberg“. Prechtl vermutet aber, dass bei der Restaurierung der alten Tafel ein Fehler bei der Ortsangabe unterlaufen sei, der zu einer Verwechslung führe. Nichtsdestotrotz – Das „Oberbayerische Archiv für Vaterländische Geschichte“ schreibt 1839: „Pallhausen. Die Schanzen und Gräber der ehemaligen Burg auf der Anhöhe im Moose sind mit Holz bewachsen.“ Joseph Wenzl, der erste Bodendenkmalpfleger des Bezirksamts Freising, untersuchte 1904 und 1908 diesen Ort. Wenzl bestätigte die Einschätzung Prechtls, dass es sich hier an diesem exponierten Ort um künstlich angelegte Wälle und Gruben handle, die offenbar zum Schutz der Bewohner errichtet wurden. Allerdings liefere sein Befund keine Anhaltspunkte über Zweck und Zeitstellung der Anlage.
Was dem interessierten Besucher aber noch mehr ins Auge sticht, sind die Ruinen der einstigen „Glöckerlalm“ (Name kommt von den vielen Maiglöckchen am Berg) und der dazugehörigen Tanzhütte. Für die heutige Generation ist es kaum vorstellbar, was sich hier über zwei Jahrzehnte seit der Eröffnung 1949 abgespielt hat. Bis zu tausend Besucher (pro Veranstaltung) pilgerten an den Sonntagnachmittagen zu den beliebten Waldfesten. Tische, Bänke und Tanzboden, grob gezimmert, standen in der freien Natur, inmitten der Bäume. Wie ältere Bewohner erzählten, floss das Bier – geliefert vom Hacklbräu Freising – in Strömen. Fleisch und Wurst lieferte die Metzgerei Altersberger, Rauchwaren „der Michalzik“, beide aus Freising. Zum Tanz spielte zumeist die Massenhauser Blasmusik auf. Manch zarte Bande wurde auf dem lauschigen Platz geschlossen, ebenso trug man Meinungsverschiedenheiten zuweilen mit der Faust aus. Auch eine Schießbude sei einmal auf dem Berg gewesen. Der Betreiber – so wird erzählt – schien geradezu prädestiniert für diesen Sport: Er war ein guter Freund des legendären „Hüter-Vale“ und ebenfalls Wilderer. Wie das Freisinger Tagblatt berichtet, gab es am Pfingstmontag 1951 auf dem Platz sogar eine Kinovorführung.
Noch heute ranken sich viele Geschichten um die einstige „Glöckerlalm“. Schade nur, dass dieses beliebte Ausflugslokal mit dem herrlichen Ausblick nach nur knapp zwei Jahrzehnten wieder seine Pforten schloss und langsam ebenso der Vergessenheit angehört wie die Sage vom Kaltenberg und der Weißen Frau.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2015.
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