Die Freisinger Seminarmadonna
Andachtsbilder aus dem 18. Jahrhundert

Zu den Einrichtungen, die das barockzeitliche Freising besonders nachhaltig prägten, gehörte die fürstbischöfliche Hochschule am Marienplatz (auch „Seminar“ oder „Lyzeum“ genannt). Sie hatte insgesamt 106 Jahre Bestand: 1697 war sie eröffnet, 1803 infolge der Mediatisierung und des Endes der fürstbischöflichen Herrschaft geschlossen worden. Die breite humanistische Lehre, die hier von Professoren des Benediktinerordens dargeboten wurde, hatte Studenten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum angezogen. Eindrucksvolles Zeugnis des einstigen Hochschulbetriebs ist das weitgehend unverändert erhaltene Hochschulgebäude, eine Vierflügelanlage, die das Gelände zwischen Marienplatz und Stadtmoosach einnimmt (heute stark vereinfachend „Asamgebäude“ genannt). Räumlicher und baukünstlerischer Höhepunkt ist die ehemalige Hochschulaula mit den Deckenfresken von Georg Asam (seit 1949 als „Asamsaal“ bezeichnet).

Während des 18. Jahrhunderts war die Hochschulaula, die man zugleich auch als Hochschulkirche nutzte, ein bedeutender Ort der Spiritualität. Das spirituelle Interesse galt dabei einer Marienfigur, die man dort kurz nach Vollendung der Aula im Jahr 1709 auf dem Hauptaltar aufgestellt hatte (ungefähr im Bereich der heutigen Theaterbühne). Diese Figur war wenige Jahre zuvor, 1703, vom Rhetorikprofessor Pater Wolfgang Rinswerger beim Münchner Hofbildhauer Wolfgang Leuthner in Auftrag gegeben worden. Hintergrund für diese Bestellung war die Tätigkeit der Freisinger Marianischen Kongregation, die Rinswerger 1698 ins Leben gerufen hatte. Ihr gehörten Studenten, Bürger, aber auch Fürstbischof Johann Franz Eckher sowie verschiedene Domkapitulare an. Die Mitglieder dieser Vereinigung verpflichteten sich zu einer gottgefälligen und frommen Lebensweise. Die Marienfigur, für die zeitgenössisch bald die Bezeichnung „Seminarmadonna“ gebräuchlich wurde, sollte spiritueller Mittelpunkt der Kongregation sein. Jährlicher Höhepunkt der Ma- rienverehrung der Kongregation war eine Messe im Freisinger Dom, die am 8. Dezember, dem Hochfest Mariä Empfängnis, gefeiert wurde. Zu diesem Anlass wurde die Seminarmadonna stets von der Hochschulaula in den Dom getragen.

Die Verehrung der Madonna reichte bald über den Kreis der Kongregation hinaus. Nicht nur Einwohner der Stadt, auch auswärtige Personen suchten die Hochschulaula in großer Zahl auf, um vor der Marienfigur zu beten. Die Popularität der Freisinger Seminarmadonna führte zu zahlreichen bildlichen Darstellungen der Figur – von großformatigen Ölgemälden bis hin zu kleinen „Andenken“ in Form von Medaillen, Andachtsbildern oder entsprechend bemalten Bierkrügen. Während die Originalfigur, die 1820 in die Freisinger Wieskirche überführt wurde, seit 1848 verschollen ist, haben sich von den seinerzeit gefertigten zweidimensionalen Kopien viele Exemplare erhalten, so etwa in den Sammlungen des Diözesanmuseums oder auch des Freisinger Stadtmuseums.

In der Graphischen Sammlung des Stadtarchivs Freising finden sich aktuell sieben Andachtsbilder mit dem Motiv der Freisinger Seminarmadonna, davon stammen sechs aus dem 18. und eine aus dem 19. Jahrhundert. Zumeist handelt es sich dabei um Kupferstiche, in der Regel auf Papier, in einem Fall auf einen textilen Grund gedruckt. Eines der Bilder ist als reine Stickarbeit ausgeführt (vgl. Abb.). Alle Bilder zeigen die Seminarmadonna in ihrer typischen Darstellung als Maria Immaculata: auf einer Weltkugel stehend, mit einem Fuß auf einer Mondsichel und dabei eine Schlange (Symbol der Erbsünde) zertretend; mit ausgebreiteten Armen ohne Kind, in einer Hand ein Lilienszepter haltend; auf dem Kopf ein Blumenkranz, darüber ein zwölfteiliger Sternenkranz.

QUELLEN: Stadtarchiv Freising, Graphische Sammlung.

LITERATUR: Feiler, Bernd: Freisinger Seminarmadonna, in: Anneser, Sebastian et al. (Hg.): Madonna. Das Bild der Mutter Gottes (Kataloge und Schriften des Diözesanmuseums für christliche Kunst des Erzbistums München und Freising 32), Lindenberg im Allgäu 2003, S. 221-222; Götz, Ulrike: Fayencekrug mit der Darstellung der Lyceumsmadonna, in: Dies. (Hg.): 100 Einblicke in das Freisinger Stadtmuseum (45. Sammelblatt des Historischen Vereins Freising), Freising 2022, S. 126-127; Hahn, Sylvia: Freisinger Seminarmadonna, in: Fahr, Friedrich et al. (Hg.): Freising. 1250 Jahre Geistliche Stadt (Kataloge und Schriften des Diözesanmuseums für christliche Kunst des Erzbistums München und Freising 9), München 1989, S. 362; Hildebrandt, Maria: Der Streit um eine Marienfigur und die Jungfrauen von Freising, in: Amperland 32 (1996), S. 416- 422; Lehrmann, Günther: Maurus Debler 1765-1844. Benediktiner von Weihenstephan, Exkonventual und Kalenderaufzeichner, Seelsorger in Freising, in: Glaser, Hubert (Hg.): Freising wird bairisch. Verwaltungsgeschichtliche und biographische Studien zur Wende von 1802 (37. Sammelblatt des Historischen Vereins Freising), Regensburg 2002, S. 242; Meichelbeck, Carl: Kurtze Freysingische Chronica […], Freising 1724, S. 314; Schwarzenberger-Wurster, Monika: Die Freisinger Seminarmadonna, in: Anneser, Sebastian et al. (Hg.): Asam in Freising (Kataloge und Schriften des Diözesanmuseums für christliche Kunst des Erzbistums München und Freising 45), Regensburg 2007, S. 146-147.

von Florian Notter, Leiter des Stadtarchivs Freising

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Mai 2022.
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