Der „Psoasabszess“ oder die glückliche Heilung des Hofmarschalls
Zum 300. Geburtstag des ehemaligen Freisinger „Leib- und Stadtmedicus“ Dr. Max Philipp Sänfftel (1712-1780)

Er scheint diverse Talente besessen zu haben, dieser Max Philipp Sänfftel, der vor 300 Jahren in Landshut als Krämersohn geboren wurde. Nicht nur dass er ab 1746 vier- unddreißig Jahre lang in Freising ein allseits bekannter „Hof-“ und später „Leibmedicus“ sowie Stadtarzt mit den Funktionen des Krankenhaus-, Gerichts- und Waisenhausarztes war, sondern er malte und dichtete offensichtlich auch. Allerdings kann man sich dessen ziemlich sicher sein, dass der dichtende Doktor der Philosophie und der Medizin dafür seinen imaginären Kittel nicht wie andere Standesgenossen an den Nagel hängen wollte. Vielmehr dokumentierte er vor 260 Jahren eher aus Stolz auf seinen Therapieerfolg beim fürstbischöflich-freisingischen Hofmarschall Ferdinand Joseph Graf von Trauner dessen ursprünglichen Krankheitsbefund mit Wasserfarben für die Nachwelt sowie wahrscheinlich auch für seine Schüler und verfasste dazu ein Gedicht über Entstehung und Fortgang der Erkrankung, sozusagen als kunstvolle Zusammenfassung von Anamnese, Befund und Therapie.

Der Schauplatz war der Freisinger Hof des damals in Lüttich weilenden Fürstbischofs Johann Theodor von Bayern (reg. 1727-1763) im Jahr 1752. Max Philipp Sänfftel war seit 1749 offizieller „Hofmedicus“, wurde später von Fürstbischof Ludwig Joseph von Welden (reg. 1769-1788) zum „Leibmedicus“ ernannt und schließlich auch noch geadelt. Sein Bruder und ärztlicher Kollege Johann Joseph Sänfftel (1706-1786) hatte zu dieser Zeit noch das Amt des Freisinger „Stadtphysicus“ inne, bis er 1755 an den kurfürstlichen Hof nach München wechselte und zum Leibarzt des letzten altbayerischen Kurfürsten Max III. Joseph (reg. 1745-1777) aufstieg. Der bereits erwähnte Patient Ferdinand Joseph Graf von Trauner war Hofmarschall in Freising und zum Zeitpunkt seiner Erkrankung 56 Jahre alt. Auf dem farbigen Bild (vgl. Abb.) ist sein Rücken dargestellt und man sieht auf Höhe der Lendenwirbelsäule rechts einen handtellergroßen schwärzlichen Defekt mit anscheinend aufgelagerten weißen Stippchen und einer düsteren Rötung der umgebenden Haut. Am Fuße des Bildes ist das folgende Gedicht zu lesen:

„1752 im Monat Octobr. und Novembr.“
„Mein Anfang schien zwar klein, doch ich lag nur verborgen. Das es nichts Kleins könn sein, liess Schmerz und Fieber sorgen. Ich schmerzte Tag und Nacht, ich sezte in Gefahr, biß ich hierdurch gebracht, was dem Leib schädlich waar. Jetzt ist nun alles guet, zum spätten Angedeyen! Doch wer diess leyden thuet, zeigt: Das noch Männer seyen.“

Auf der Rückseite des Blattes findet sich desweiteren ein lateinischer Text, der übersetzt folgendermaßen lautet:
„Mit Gottes Hilfe Abszess der Tunica cellulosa, unterhalb des Psoasmuskels gelegen, geheilt von mir, Dr. Sänfftel (mit dem Beistand des Chirurgen Doppichler), an seiner Exzellenz, dem Herrn Grafen von Trauner, Geheimem Rat und Hofmarschall zu Freising 1752 von Mitte Oktober bis Mitte November, mit nach entzündlichem Fieber folgendem tertiärem Fieber, das ebenso in kurzer Zeit besiegt wurde.“

Diagnostisch können die zweidimensionale Darstellung, der erwähnte Fieberverlauf und die beschriebene Lokalisation auch nach heutiger Nomenklatur für einen Abszess im Bereich des Psoasmuskels sprechen. Dieser Muskel entspringt an der unteren Brust- sowie an der Lendenwirbelsäule und zieht zusammen mit einem zusätzlichen Muskelanteil durch das Becken zum Oberschenkel. Aufgrund seiner Beschaffenheit und Lage ist er eine „ideale“ Lokalisation für entzündliche Herde. Theoretisch gäbe es noch andere Diagnosen, die aus heutiger Sicht in Frage kommen würden. Jedoch steht man hier wie so oft vor dem medizinhistorischen Problem der retrospektiven Diagnostik.

Wie man den Patienten im Jahre 1752 genau behandelte, ist nicht zu erfahren, wobei eine offene chirurgische Behandlung höchstwahrscheinlich ist. Vor der Entdeckung der Antibiotika war diese besonders riskant, aber doch die einzige Erfolg versprechende Therapiemöglichkeit. Und hier kam dem im Text genannten Chirurgen Doppichler die entscheidende Rolle zu. Joseph Doppichler (1703-1773) war hochfürstlicher „Hofchyrurgus“ und bürgerlicher „Baader“ zu Freising. Eine chirurgische Intervention bei einem eitrigen Prozess lag eher in seiner Zuständigkeit als in der des studierten Arztes Sänfftel, der jedoch die Aufsicht führte. Jedenfalls scheinen die therapeutischen Bemühungen der beiden tatsächlich langfristig einen glücklichen Verlauf genommen zu haben: Hofmarschall Ferdinand Joseph Graf von Trauner lebte noch mehr als 27 Jahre und erreichte das 84. Lebensjahr. Sein Beerdigungseintrag findet sich unter dem 30. April 1770 in den Matrikeln der Pfarrei St. Georg zu Freising. In der Pfarrkirche St. Georg ist ein Epitaph eingelassen zum Gedenken an den Hofmarschall und seine Frau Maria Antonia, die 1773 im 89. Lebensjahr verstarb. Die Inschrift beginnt mit den Worten: „Hier ligt ein seltenes baar Eheleuth, welche 57 Jahr in Vergnügter Ehe Enkl, u. uhr Enckle Erlebet.“

Der Arzt Max Philipp Sänfftel ist nicht sehr weit entfernt in der Friedhofskirche St. Maria begraben. Neben der Auflistung der beruflichen Stationen und der zahlreichen Aufgabenfelder kann man auf seinem Grab- stein (vgl. Abb.) aus dem Lateinischen über- setzt Folgendes lesen:
„Hier liegt der Arzt, der sich im Dienst für die anderen verbrauchte. […] Ob derjenige in dem, wozu er vom Höchsten geschaffen und von den Höheren eingesetzt worden ist, genug getan haben wird, mag Gott entscheiden, mögen die Zeitgenossen beurteilen, damit die Nachfolgenden es vielmehr glauben sollen.“

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Dezember 2013.
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