Der Furtner und sein Keller

Es musste etwas Besonderes gewesen sein, das den Anderl immer zum Furtner hinzog. An jedem Sonntagnachmittag! Der Sonnenschein konnte gar nicht so hell und freundlich sein, als dass der Anderl ihm das Dämmerlicht beim Furtner nicht vorgezogen hätte, wo in vertrauter Bierrunde die Probleme einer damals noch überschaubaren Welt zu erörtern waren.
In meiner Fantasie entstand das sympathische Bild eines netten Herrn Furtner, der dem Großvater Sonntagsfreuden bereitete. Wie hätte ich wissen sollen, dass jener Kaspar Furtner, der dieser gemütlichen Bierwirtschaft den Namen gab, 1633 und damit dreihundert Jahre vor meiner Geburt, schon gestorben war. Längst hatten andere Geschlechter die Brautradition in der oberen Stadt fortgesetzt; Fleiß, Können und sorgsames Wirtschaften hatten eine Grundlage geschaffen, auf der sich Wohlstand gründete. Als Schweden im Dreißigjährigen Krieg den Freisinger Bürgern eine hohe Summe abpresste, musste sich der Furtner Bräu mit hundert Gulden an der „Brandschatzung“ beteiligen. Eine sehr hohe Summe, die verdeutlicht, wie wohlhabend der Bräu damals schon war.

Familientradition

Älteste Freisinger Quellen nennen bereits 1454 einen Sigmund Häsyber, Bürger und Ratsherr, der an dieser Stelle Bier braute. Die Häsybers setzten die Familientradition fort, bis 1611 ein Kaspar Furtner einheiratete und der Brauerei fortan den Namen gab. Alle, die nun kamen, nannten sich Furtnerbräu, auch wenn sie sich Mayr oder Hueber schrieben. Wie etwa jener Balthasar Hueber aus Vötting, dessen Sohn Johannes sogar Abt von Weihenstephan wurde. In Jahrhunderten gedieh ein solides Unternehmen, das Kriegswirren und Notzeiten überstand. Als 1807 nach der Säkularisation Liegenschaften zu erwerben waren, vergrößerte Mathias Mayr, der damalige Furtner, sein Anwesen. Hinzu kam noch, dass dessen Tochter 1833 einen Sohn aus Bernstorf heiratete, der Geld mitbrachte: „Die Bernstorfer ackern mit dem silbernen Pflug,“ sagten die Leute, wenn sie den Wohlstand des Gutes meinten. Dieser Josef Braun aus Bernstorf begründete mit seiner Einheirat eine Familientradition, die bis in die Gegenwart reichte.

Alte Schriften schildern die Brauerei als eines jener Giebelgebäude, wie es sie in Freising oft gab. Im Erdgeschoss war die gemütliche Gaststube, die sich an Schrannentagen mit Gästen füllte. In der Ecke stand ein großer Eichentisch, an dem die Dienstboten verköstigt wurden: zuerst der Braumeister und die Bräuburschen, dann der Hausmeister und das übrige Gesinde. Der Hausmeister nahm eine Sonderstellung ein, weil er jene Pferde, die eine zahlungskräftige und trinkfeste Kundschaft aus dem Umland einstellte, zu betreuen hatte. Den Gästen war die sorgsame Pflege der Rösser sehr wichtig, so dass für den „Hausl“ oft Trinkgeld raussprang.

Die Bräuburschen wurden meist nur während des Winterhalbjahrs benötigt, weil im Sommer wegen der hohen Temperaturen nicht gebraut werden konnte. Sie suchten sich dann Arbeit auf dem Bau: als Maurer oder Zimmerer. Der Braumeister durfte bleiben, damit er die Reparaturarbeiten überwachen konnte, die im Sommer fällig waren. Die Linde’sche Kühlung gab es noch nicht, man musste den Gerstensaft tief im Boden verwahren, damit er in der Wärme nicht verdarb. Man trieb Stollen in Hänge, wo das Bier in Lagerfässern reifte und den Sommer über den Bedarf decken musste. Bald fand man heraus, dass es an der Quelle am besten schmeckt: der „Bierkeller“ war erfunden. Im Umfeld ihres Lagerkellers stellten Brauereien Tische und Bänke auf, und so entstand auch der Furtnerkeller. Im Schatten der Bäume, die eigentlich gepflanzt waren, um das Sonnenlicht und die Wärme vom Lagerkeller fern zu halten, traf man sich an heiteren Sommertagen, um die Freiluftmass zu genießen. Blasmusik spielte dazu, und eine königliche Verordnung sorgte dafür, dass die Gäste ihre Brotzeit mitbringen konnten. Der „Bierkeller“ wurde zum beliebten Ausflugsziel für Familien, Vereinen, Studentenverbindungen, Soldaten und Handwerkern; vornehme Bürger und Tagelöhner erfreuten sich gleichermaßen und in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Furtnerkeller an der Wippenhauser Straße war eine der beliebtesten Bieroasen in der Domstadt. Wer erinnert sich noch daran? Heute ragt dort der Klotz von der AOK in den Himmel.
Der Furtnerbräu brannte 1886 bis auf die Grundmauern nieder, und es entstand jener stattliche Bau, wie wir ihn heute kennen. Doch 1967 erlosch im Sudhaus das Feuer, aber die Wirtschaft blieb lang noch ein beliebter Treffpunkt für viele Freisinger. Vor Jahren ging auch in den gemütlichen Gasträumen das Licht aus, und die Altfreisinger Traditionsschänke wartet auf Wiederbelebung. Mit der vorübergehenden Inbetriebnahme des Gastraumes ist ein erster Schritt getan!

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Mai 2012.
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