“Denk bei jeder Bombe dran…”
Britische Kriegsflugblätter, 1942 in und um Freising abgeworfen

Manch einen Bewohner der Freisinger Gegend hat sicherlich überrascht, was er da plötzlich vor sich auf dem Boden liegen sah: kleine, schwarz und rot bedruckte Papiere, die sich von den herbstlichen Äckern und Wiesen, auf denen sie verstreut lagen, deutlich abhoben. Bei näherer Betrachtung dürfte die meisten von ihnen ein ungutes Gefühl beschlichen haben, denn die Papierchen waren unschwer als feindliche Kriegsflugblätter zu identifizieren. Ihr Besitz war verboten. Einige der Finder, wohl bei Weitem nicht alle, nahmen die Flugblätter an sich, um sie schließlich vorschriftsmäßig der Freisinger Stadtpolizei zu übergeben. Das war im September und Oktober 1942, drei Jahre nachdem Nazi-Deutschland den Zweiten Weltkrieg begonnen hatte.

Die damals abgelieferten Kriegsflugblätter – oder zumindest einen Teil davon – gibt es noch. Sie befinden sich heute in den Beständen des Freisinger Stadtarchivs, hier innerhalb des Aktenbestandes der NS-Zeit. Zusammen mit anderen Akten des städtischen Polizeiamtes gelangten sie dorthin vermutlich während der 1950er oder 1960er Jahre.
Überliefert sind zwei unterschiedliche Kriegsflugblatt-Varianten, beide sind britischer Provenienz. Das eine Flugblatt, das die Nummer „G 52“ trägt, ist achtmal vorhanden. Auf dessen Vorderseite findet sich der Schriftzug „Denk bei jeder Bombe dran Diesen Krieg fing Hitler an!“; die Rückseite listet Zitate von nicht eingetroffenen Versprechen mehrerer Nazi-Größen auf (Adolf Hitler, Hermann Göring, Joseph Goebbels, Robert Ley, Herbert Backe). Das andere Blatt trägt die Nummer „G 54“ und ist lediglich zweimal vorhanden. Es zeigt auf der Vorderseite eine Menschenmenge, darunter einen durch einen roten Kreis hervorgehoben Mann in SS-Uniform; im rückseitigen Text wird die deutsche Bevölkerung aufgefordert, die Namen von SS-Angehörigen auf eine „schwarze Liste“ zu setzen, damit diese nach einer erfolgten Befreiung für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden können. Die Bezeichnung „Schwarze Schmach“ spielt dabei auf jene rassistische Propaganda an, die sich in Deutschland während der alliierten Rheinlandbesetzung (1918 bis 1930) gegen französische Soldaten nordafrikanischer Herkunft richtete; im Flugblatt wird das Bild der „Schwarzen Schmach“ auf die SS übertragen.
Offenbleiben muss aktuell, in welchem Zusammenhang der Abwurf der Kriegsflugblätter in der Region geschah. Da den zehn überlieferten Blättern einige Notizen beiliegen, die Informationen zu den abgebenden Personen, zum Fundzeitpunkt und zum Fundort enthalten, weiß man, dass die Funde zwischen dem 20. September und dem 29. Oktober 1942 gemacht wurden. Als Fundorte werden Freising (eine Wiese südlich der (äußeren) Schlüter-Fabrik) angegeben, aber auch andere Orte der Gegend: Hallbergmoos, Franzheim im Erdinger Moos, Mintraching, Ottenburg sowie weiter nördlich gelegene Orte wie Zolling oder Nandlstadt. Wahrscheinlich erfolgte kein direkter Abwurf der Flugblätter über Freising, denn dann wäre sicherlich eine deutlich größere Zahl bei der Stadtpolizei abgegeben worden. Es ist zu vermuten, dass der Abwurf der Kriegsflugblätter München galt und im Zusammenhang mit dem ersten schweren Luftangriff durch die britische Royal Air Force auf die Landeshauptstadt am 19. und 20. September 1942 erfolgte. Es ist bekannt, dass die in großer Höhe abgeworfenen Flugblattbomben und noch mehr die ebenfalls eingesetzten Flugblattballons eine – je nach Windverhältnissen – sehr weite Streuung zur Folge haben konnten. Die Blätter könnten sich also durchaus bis in die Freisinger Gegend verbreitet haben. Auch inhaltlich – zumindest was das Flugblatt mit der Nummer „G 52“ betrifft – spricht viel für einen Abwurf der Blätter auf München, im Nachgang zur Bombardierung vom 19. und 20. September 1942 („Denk bei jeder Bombe dran…“).

QUELLEN: Stadtarchiv Freising, Akten III, o. Nr. (Kriegsflugblätter).
LITERATUR (AUSWAHL): Jander, Thomas: Kriegsflugblätter der Anti-Hitler-Koalition (Artikel LeMO, Lebendiges Museum online u.a. des Bundesarchivs u. des Deutschen Historischen Museums Berlin); Janßen, Dietrich: Kriegsflugblätter. Die gewaltlose Beeinflussung. Propaganda der Alliierten im II. Weltkrieg über Ostfriesland und den angrenzenden Gebieten, 1996.

von Florian Notter, Leiter des Stadtarchivs Freising

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