Dem Leben auf der Spur
Das facettenreiche Wirken von Anna Mayer kreist um den Menschen und die Natur

Die Affinität von Bildender Kunst und Biologie ist weithin bekannt, und stellt immer wieder so manchen vor die schwierige Entscheidung der Berufswahl. Der in Neufahrn lebenden Anna Mayer ging es ebenso, sie pendelte jahrzehntelang zwischen den Disziplinen, doch inzwischen hat sie den für sich passenden Modus gefunden, beides unter einen Hut zu bringen. Heute bezeichnet sie sich selbst als „promovierte Biologin mit Hang zum künstlerischen Ausdruck, sowohl im Bereich der Bildenden Kunst wie der Musik“. Und egal, in welchem Metier sie gerade zugange ist, kreist ihr facettenreiches Wirken stets um den Menschen und die Natur sowie deren Verletzlichkeit.

Angesichts der Begebenheit, dass sie ihre Kindheit im Josefshaus in Amberg erleben durfte, erscheint dies wenig verwunderlich. Seinerzeit beherbergten die historischen Gemäuer unter der Regie ihrer Eltern eine Wirtschaft, einen Theatersaal und das Kolpinghaus, die Faschingsbälle dort waren legendär und so manche Band sammelte hier erste Bühnenerfahrungen. Mit dieser Bandbreite avancierte das Josefshaus zum kulturellen Magneten und prägte Anna Mayer insofern, da sie in dieses kulturelle und soziale Umfeld hineingeboren wurde.

Allerdings wollte sie nicht nur konsumieren, sondern auch selbst produzieren. So begann sie bereits während ihrer Schulzeit zu malen und sagt rückblickend, dass das künstlerische Arbeiten schon immer in ihr drin gewesen sei, und zwar mit starken Farben, so wie sie die Expressionisten oder Pablo Picasso bevorzugten. Zudem nutzten diese die Kunst spezifisch als Ausdrucksmittel ihrer Psyche, was wiederum die Basis jeglicher Kunsttherapie darstellt. Was also lag für eine, die beruflich gerne mit Menschen zusammenarbeiten wollte, näher, als eben Kunsttherapie zu studieren. Unglücklicherweise aber war dies in den 1980ern nur an Privatschulen möglich, infolgedessen mit hohen Kosten verbunden und deshalb unerschwinglich.

Alternativ dazu entschloss sie sich für ein klassisches Biologiestudium in Regensburg und Freiburg, konzentrierte sich auf Zellbiologie und vertiefte sich in die medizinische Forschung, speziell in die Isolierung von Stammzellen und die Auswirkungen von Viren auf Stammzellen. Besonders befasste sie sich mit der Beschaffenheit des Hals-Nasen-Ohren-Bereiches, in dem verschiedene Proteine elementar an der Zellvermehrung beteiligt sind. Werden diese Proteine von Viren angegriffen, kann die Zellteilung gestört und eine Tumorbildung ausgelöst werden. Falls dies geschieht, sind Stammzellen hilfreich, die im Knochenmark etabliert werden; wie dies machbar sein könnte, behandelte Anna Mayer in ihrer Dissertation, die sie am Institut für Experimentelle Hämatologie am GSF-Institut in München erfolgreich vorlegte. Anschließend war sie 15 Jahre in diversen Forschungslaboren an Unikliniken in München, Mainz und Ulm tätig, schätzte dabei immer wieder den experimentellen Faktor und die Freiheit im Handeln. Die Labortätigkeit, sagt sie, sei durchaus mit dem Kochen oder dem Kunst machen vergleichbar, hier wie dort arbeite man nach einem Rezept oder erarbeitet sich eines. Mit dieser Einstellung sind sicher auch all die Studenten munter ans Werk gegangen, die von ihr betreut wurden.

Aber nicht nur beruflich, auch privat war sie schon immer dem Leben auf der Spur. Was  liegt da näher, als der Wunsch nach eigenen Kindern, der im Fall von Anna Mayer kompromisslos damit verbunden war, sich ganz und gar dem Nachwuchs zu widmen. Während dieser Zeit engagierte sie sich im Elternbeirat des Kindergartens, stieg in die Schulbegleitung an der Grundschule Eching ein, arbeitete in der Hausaufgabenbetreuung mit und gab Gruppenunterricht, zudem besuchte sie Fortbildungsveranstaltungen des Autismus-Verbandes Oberbayern. Dabei sammelte sie Erfahrungen und Eindrücke, die sie anno 2010 dazu bewogen, gänzlich umzusatteln auf die pädagogische Schiene. Seither ist sie ganz im Sinne der UN-Charta hinsichtlich der Teilhabe Behinderter im Regelschulbetrieb als pädagogische Hilfskraft im Bereich der Schulbegleitung aktiv, heißt, sie betreut behinderte Kinder im Schulalltag und darüber hinaus, und dies auf der ganzen Linie von der Wissensvermittlung bis zum Schuhe zubinden. Um die vielfältigen Anforderungen erfüllen zu können, muss sie das Verhalten der Kinder beobachten, analysieren und darauf reagieren können, das ist ebenso wie in der wissenschaftlichen Forschung, sagt sie ganz selbstverständlich. Auch wenn diese Tätigkeit mitunter recht anstrengend sein kann, empfindet sie dieselbe durchaus als befriedigend.

Einen Ausgleich dazu findet sie in ihrem künstlerischen Wirken. Im Jahr 2002 wurde der Wunsch, sich selbst auszudrücken und etwas auszuprobieren, was sie schon immer gerne wollte, so groß, dass sie sich gezielt in die Verfeinerung ihres Könnens vertiefte. Angefangen hat sie mit einem Aquarellkurs an der Volkshochschule, wo sie einiges über Farbwerte, Farbwirkungen und Kontraste lernte. Dann begann sie mit Öl zu malen, vorwiegend Portraits und Schmetterlinge. Im Laufe von Aktzeichenkursen lernte sie nicht nur verschiedene Zeichenstile, sondern übte auch die Wahrnehmung und deren Umsetzung.

Mit der Zeit und mit dem erworbenen Können aber entfernte sie sich zusehends von realistischen Darstellungen, ging mehr und mehr dazu über, abstrakte Themen darzustellen, einen Gedanken mit einfachen Mitteln zu visualisieren. Ferner nutzt sie das Potenzial von Acrylfarben für Experimente und spezielle Effekte, die zwar von der Realität inspiriert sind, aber abstrahiert umgesetzt werden. So arbeitet sie gezielt im Freien und nutzt dabei die Energien der Natur; Wasser bringt die Farbe zum Verlaufen, Sonne und Wind helfen beim Trocknen.

Diese Lust am Ausprobieren spiegelt sich gleichfalls in ihren Drucken, die auf einem verlorenen Schnitt in Styropor beruhen. Dabei wird aus ein und derselben Platte von einem Druck zum Nächsten immer mehr herausgeschnitten, bis sprichwörtlich nichts mehr geht. In den Serien à fünf Abzügen lässt sich die Veränderung der Motive auf beeindruckende Art nachvollziehen. Ganz anders muten dagegen die Holzschnitte an, Transferierungen von persönlichen Empfindungen, wechselweise in puristischem Schwarz oder farbig gedruckt. Der Lockdown in 2020 holte sie dann mit aller Wucht zurück auf den Boden der Tatsachen, sie begann, einschlägige Zeitungsausschnitte mit Zeichnungen zu kombinieren und komponierte erste Collagen. Thematisch reflektiert sie etwa die Plastikmüll-Problematik indem sie Fotos von versintertem Plastik am Meeresgrund mitverarbeitet. Im Rahmen ihrer Serie ‚Nature morte‘ erinnert sie daran, dass Papier aus toten Pflanzenfasern besteht, will auf diesem Wege Zusammenhänge sichtbar machen und die Gesellschaft zur Reflektion anregen. Dies gilt gleichermaßen für ihre Geruchsbilder aus Naturmaterialien wie Blumenblättern oder Gewürzen, Metaphern für den Geruchssinn, der leider bei einigen durch Corona gestört wurde.

Doch nicht nur mit derartigen Artefakten gibt sich Anna Mayer als kritischer Geist zu erkennen, sondern ebenso als Musikerin, meist an der Geige. Vor kurzem wirkte sie an dem Theaterstück ‚Faust der Frauen‘, das von der Utopie einer friedlichen Welt erzählt, unter der Regie von Thomas Goerge mit. Im vorigen Jahr gehörte sie zum Team von ‚70 Hektar Wiese‘, das die Geschichte der Senderwiese bei Hallbergmoos beleuchtete. Diese Liebe zur Musik kommt nicht von ungefähr, ist doch ihre Mutter eine sehr musikalische Frau, die zudem gerne singt. Das jedoch war Mayers Sache weniger, sie bevorzugte den Unterricht an der Violine, später auch an der Bratsche und am Cello, unter anderem im Kammerorchester der Universität München. Heute tritt sie regelmäßig mit dem Kammerorchester der Musikschule Hallbergmoos/ Neufahrn auf und konzentriert sich dabei vorwiegend auf klassische Literatur. Im Gegenteil zum zurückgezogenen Schaffen im häuslichen Atelier genießt sie derartige Kooperationen, die zudem immer damit verbunden sind, neue Leute kennen zu lernen. Und auch die werden schnell bemerken, dass das Multitalent in keine Schublade passt oder passen will; schließlich definiert sich Mayer kurz und prägnant folgendermaßen: „Mein Stil ist die Vielfalt, das Experiment, das bin ich.“

von Elisabeth Hoffmann

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2022.
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