Das Museum mit dem roten Sakko
Vor den Toren Freisings

Die Wände sind mit Bannern und Plakaten tapeziert, in hohen Regalen biegen sich die Bretter unter dem Gewicht der Aktenordner, Kartons voller Flyer und Broschüren stapeln sich. Und all dieses Material dreht sich nur um ein Thema: die geplante dritte Start- und Landebahn am Flughafen München. Dokumente aus 13 Jahren Widerstand hat ein Mann zusammengetragen, der diesen Widerstand selbst wesentlich mitgeprägt hat: Hartmut Binner. Es ist eine Art Museum. Ein Blick hinter die Holztore einer Scheune bei Freising.

Was sich da hinter einem Tor einer Scheune bei Freising befindet, ist die Dokumentation eines Widerstands: Hartmut Binner, bis vor Kurzem Aufgemuckt-Sprecher und eine der Frontfiguren im Kampf gegen die Startbahn, hat sein Haus „entrümpelt“, wie er sagt, und Materialien aus 13 Jahren Abwehrkampf gegen das Großprojekt im Moos hier zusammengetragen und drapiert. „Hier ist mein Herzblut herin“, bekennt er und blickt sich stolz und zugleich etwas wehmütig in dem landwirtschaftlichen Nebengebäude um. Wo das genau liegt, das darf nicht verraten werden, bittet Binner. Er will nicht, dass die Scheune abgefackelt wird – wie das schon seinem Haus angedroht wurde – oder beschmiert wird – wie das den Bannern der Aufgemuckt- Kämpfer ständig passiert.

Bei jedem Plakat, so erzählt Binner, „packt es ihn“. Denn bei dem Blick auf jedes Plakat – ob die Ankündigung von Großdemonstrationen in München oder Aufrufe zum Bürgerentscheid, ob für Feste oder Konzerte – steigen in ihm Erinnerungen hoch, verknüpft er besondere Erlebnisse. Das beginnt mit seinem ersten Aktenordner, den er im Jahr 2005 angelegt und mit „Waffenschrank“ beschriftet hat – noch nicht wissend, dass sich im Lauf der Jahre Dutzende weiterer Aktenordner mit Reden von allen Demonstrationen, mit Unterlagen der Kämpfer gegen die Startbahn, mit Protokollen und Aufzeichnungen von Versammlungen, mit Medienberichten aus ganz Deutschland, aber auch mit sämtlichen Unterlagen zum Planfeststellungsverfahren füllen würden. Wobei: „Waffenschrank“ nur übertragen gemeint ist. Denn – von einer Tomate abgesehen – ist in all den Jahren der Widerstand friedlich geblieben. Und darauf ist Binner stolz.

Bereits 2016 hat Binner begonnen, dieses Archiv aufzubauen. Warum er es erst jetzt über die Presse der Öffentlichkeit zeigt, erklärt der „Abwehrchef“, wie manche Fußballtrikots für ihn bedruckt sind, so: Im Januar sollte das gesamte Material bereits von einem Lkw der Stadt abgeholt und ins Stadtarchiv verfrachtet werden. Binner hatte das „Museum“ Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher gezeigt, der sofort den Wert erkannt habe und das Stadtarchiv einschaltete. Stadtarchivar Florian Notter war dann vor Ort, habe erklärt, wie und wo man das ganze Material lagern würde. Doch Binner hatte noch eine Bitte: Er wolle sein Archiv noch bis nach der Landtagswahl im Oktober hierbehalten, um noch möglichst vielen Menschen und Startbahngegnern die Sammlung zeigen zu können. Und vielleicht dann hier im Stadl „die Siegesfeier“ abhalten zu können, wenn die Startbahn abgewählt ist. Denn wenn die „Schätze“ einmal im Stadtarchiv gelagert sind, dann könne man sie nicht mehr so leicht anschauen. „Eigentlich jammerschade“, so Binner.

Der Zeitpunkt, die Scheune aufzusperren, war genau gewählt, erklärt Binner weiter: Die Strategie von Ministerpräsident Markus Söder, das Thema Startbahn aus dem Wahlkampf herauszuhalten, würden er und seine Mitstreiter von Aufgemuckt durchkreuzen.

Um markige Worte war Binner in 13 Jahren nie verlegen. Zeitungsausschnitte, aber auch digitalisierte Aufzeichnungen von Reden, Fernseh- und Radiointerviews, die sich ebenfalls in den Schränken finden, beweisen das. Und auch wenn Binner nicht mehr Aufgemuckt-Sprecher ist, seine markige Wortwahl hat er nicht verloren Übrigens: Ein ganz besonderes Stück hängt gleich am Eingang in der Scheune und wird sicherlich auch im Stadtarchiv einen Ehrenplatz erhalten: das berühmte rote Sakko mit dem Anti-Startbahn-Sticker, das Binner in all den Jahren ein treuer Weggefährte war, das ihn zu Oberbürgermeistern nach München, zu Ministerpräsidenten und auf viele Rednerbühnen begleitet hat. Der seit 2005 andauernde Abwehrkampf hat bei dem inzwischen 79-jährigen Binner gesundheitlich Spuren hinterlassen. Und so steht er in seinem Archiv und deutet oft mit einer Krücke auf Exponate, auf Banner, auf Aktenordner, auf Plakate, auf Flyer – auf Dokumente aus 13 Jahren Startbahn-Widerstand eben.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2018.
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