Das Kloster Weihenstephan mit der Korbinianskapelle (1767)
Archivstück des Monats Schätze aus dem Stadtarchiv Freising: Juli/August 2020

Im Sommer 1720, also vor genau 300 Jahren, wurde in Weihenstephan eine Kapelle fertiggestellt, die man heute zu den außergewöhnlichsten Bauwerken Freisings zählen müsste – würde sie noch stehen: die Korbinianskapelle am Südhang des Weihenstephaner Berges. Um zu dieser spätbarocken Kapelle etwas sagen zu können, muss man in der Geschichte weit zurückgehen: Am nachmaligen Kapellenstandort gab es zunächst nichts als eine kleine Wasserquelle, die ungefähr auf halber Höhe des bewaldeten Südhangs vor sich hinplätscherte. Ihre spirituelle Kraft zog Menschen an, wahrscheinlich auch schon in der Zeit, als hier noch keine Christen lebten. Spätestens als Arbeo, der vierte Bischof von Freising, um das Jahr 770 das Leben des heiligen Korbinian, des ersten Bischofs von Freising, niederschrieb („Vita Corbiniani“), gab es einen christlichen Bezug zur Weihenstephaner Quelle. Der Quellort war Schauplatz einer der Wundererzählungen der Korbiniansvita: Auf der Suche nach einer nahegelegenen Möglichkeit der Wasserversorgung für die kleine geistliche Gemeinschaft auf dem Berg habe der Heilige gebetet, daraufhin seinen Spazierstock in den Südhang gestoßen – und schließlich eine Quelle erweckt. Die spirituelle Verbindung mit Korbinian machte die Quelle zu einem Ort der Verehrung des Heiligen. Über Jahrhunderte hinweg war sie ein beliebtes Ziel von Pilgern aus Nah und Fern (und ist es in geringem Maß bis heute).

Die große spirituelle Bedeutung des Ortes und wohl auch die starke Frequenz veranlassten das Benediktinerkloster Weihenstephan beizeiten, verschiedene Bautätigkeiten rund um die Korbiniansquelle vorzunehmen. So scheint die Quelle bereits im 12. Jahrhundert von einem (bis heute erhaltenen) Stollen überwölbt worden zu sein, wie neueste Untersuchungen nahelegen. Erstmals von einer steinernen Kapelle überbaut wurde die Korbiniansquelle dann im Jahr 1608.

Im Jahr 1718 fasste das Kloster unter der Führung von Abt Ildephons Hueber den Entschluss, die baufällig gewordene Kapelle neu zu errichten. Bereits zwei Jahre später, am 14. Juli 1720, konnte sie vom Freisinger Fürstbischof geweiht werden.

Mit der Bauausführung und der künstlerischen Ausgestaltung waren die beiden Brüder Cosmas Damian und Egid Quirin Asam beauftragt worden. Nach ihren Plänen wurde die neue Kapelle als Zentralbau über kreisrundem Grundriss aufgerichtet, abgeschlossen von einer Kuppel mit Laterne. Die Außenfassade scheint für Freisinger Verhältnisse bauplastisch insgesamt ungewöhnlich reich gegliedert gewesen zu sein. Das gilt auch für den Innenraum, über den wir heute nur mehr wenig wissen. Allein die Rotmarmorreste  des einstigen Bodenbelags, die man 2005 bei Ausgrabungen gefunden hat, zeugen von einer sehr kostbaren Ausstattung. Der Altar der Kapelle, der an der Hangseite stand, war dem heiligen Korbinian geweiht; das Altarbild zeigte das Quellwunder Korbinians. Links und rechts des Altars hingen zwei weitere Asam-Gemälde. Während sich das Altarblatt in der Klosterkirche Rohr erhalten hat, hängen die beiden Seitenbilder heute in der ehemaligen Stiftskirche in Tittmoning. In der Kuppel, die durch Oculi beleuchtet war, waren acht Szenen aus dem Leben Korbinians zu sehen. Im Quellstollen unterhalb des Kapellenraums wurde die Quellfassung aus Rotmarmor neu hergestellt; sie ist bis heute erhalten.

Unmittelbar vor dem großen 1000-jährigen Bistumsjubiläum 1724 errichtet, verband das Kloster Weihenstephan mit dem Bau dieser kostbaren, durch ihre exponierte Lage am Südhang weithin sichtbaren Kapelle den Anspruch, „Haupt-Gedenkstätte“ (Sylvia Hahn) der Korbiniansverehrung zu sein. Der Bau spornte vermutlich den Freisinger Fürstbischof an, hier nachzuziehen: Zur spätbarocken Erneuerung des Doms 1723/24  durch die beiden Brüder Asam dürfte es nicht zuletzt aus einem konkurrierenden Verhältnis zwischen Domberg und Weihenstephaner Berg gekommen sein. Infolge der Säkularisation des Klosters Weihenstephan 1803 wurde die Korbinianskapelle abgebrochen. Ein Teil der Mauern blieb aufgrund ihrer Hangstützfunktion stehen.

Der nachfolgende Kupferstich, der das Kloster Weihenstephan mit der Korbinianskapelle von Süden her zeigt, stammt von der Hand des Joseph Anton Zimmermann  (vgl. Abb.). Er wurde für den 1767 erschienenen 9. Band der Quellensammlung „Monumanta Boica“ (Kapitel zum Kloster Weihenstephan) gefertigt.

QUELLEN: Stadtarchiv Freising, Graphische Sammlung. LITERATUR (AUSWAHL): Brunhölzl, Franz: Bischof Arbeo von Freising. Das Leben des heiligen Korbinian, in: Glaser, Hubert (Hg.): Vita Corbiniani. Bischof Arbeo von Freising und die Lebensgeschichte des hl. Korbinian (30. Sammelblatt des Historischen Vereins Freising), München 1983, S. 77-159; Gleixner, Sebastian: Ein Puzzlespiel: Die Rekonstruktion des Klosters Weihenstephan aus den Quellen, in: Schegk, Ingrid: Weihenstephan 4D. Vom Kloster zum Campus. Versuch einer Rekonstruktion (Schriftenreihe der Fachhochschule Weihenstephan 6), Freising 2003, S. 73-141; Hahn, Sylvia: „Verwunderen wurde sich König Salomon über die Kunst der zweyen Herren Gebrüderen“. Fünf Asam-Werke aus 30 Jahren in Freising, in: Anneser, Sebastian et al. (Hg.): Asam in Freising (Kataloge und Schriften des Diözesanmuseums für christliche Kunst des Erzbistums München und Freising 45), Regensburg 2007, S. 16-53.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juli/August 2020.
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