Die Liebe zur Musik unter freiem Himmel, der Spaß, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen und der Mut, das immer wieder zu tun: Vor 20 Jahren hat eine Gruppe von Schülern für eine befreundete Band die alte Festivaltradition am Vöttinger Weiher neu belebt. Entstanden ist daraus ein Verein, der inzwischen weit mehr für Freising organisiert. Und ein Festival, das Fans im gesamten deutschsprachigen Raum hat.
Die Macher des Plus-Festivals sind immer wieder erstaunt, wenn sie an einem Festivalwochenende über den Parkplatz schlendern und die Kennzeichen anschauen. So gut wie jeder Landkreis in Bayern ist vertreten, eine starke Berlin-Fraktion kommt jedes Jahr, auch aus Hamburg, dem Ruhrpott und sonstigen Gegenden Deutschlands reisen Musikfans am ersten Augustwochenende nach Freising. Und nicht nur die: Auch Schweizer und Österreicher wissen seit Jahren die Musikauswahl und die entspannte Stimmung am Vöttinger Weiher zu schätzen. Eine Gunst, die sich die Verantwortlichen von Prima leben und stereo über 20 Jahre lang erarbeitet haben. In den ersten Jahren sah es da noch anders aus: Vor allem aus Freising und vor allem mit dem Radl kamen die Besucher. Auch sonst hat sich vieles verändert: Allein schon die Bühnentechnik ist deutlich professioneller geworden, schließlich gilt es inzwischen die Ansprüche großer Bands des deutschen und internationalen Pop zu erfüllen. So muss auch kein Helfer mehr am Dieseltank ausharren und den Treibstoffstand überprüfen, um dann bei der letzten Band vor der Zugabe Meldung machen zu können: „Der Strom reicht noch für ein Lied!“
Doch auch wenn der technische Aufwand, die Größe und die Bekanntheit der Bands gewachsen sind, hat sich der organisierende Freisinger Kulturverein doch den Charme des kleinen, gemütlichen Festivals bewahrt. Noch heute fühlt es sich für die Besucher nicht so an, dass sie Kunde einer Veranstalter-Firma sind. Es ist eher wie zu Gast bei Freunden zu sein.
Den Kern der Veranstalter-Gruppe bilden immer noch einige der Schüler von damals, die das erste Open Air organisiert haben. 1993: Schnell nach einer Klassenfahrt eine provisorische Bühne aufgebaut, Bier gab es aus dem Kofferraum der Eltern und auch sonst wurde viel improvisiert. Doch es klappte: die befreundete Blues-Band Pansen Power Project und andere Musiker hatten endlich mal wieder eine Auftrittsmöglichkeit in Freising. Die Stimmung bei Bands und Besuchern war gut und so gab es im Jahr drauf eine Neuauflage. Und im Jahr drauf wieder. Auch wenn das immer viel Arbeit bedeutete und das Wetter bei weitem nicht immer mitspielte: Die Gruppe um Reinhard Fiedler und Jörg Jakobs machte weiter. Der Kreis der Bands erweiterte sich, neue Helfer stießen dazu und so wuchs das Festival immer weiter. Jahr für Jahr ein Stück mehr. Die Organisationsgruppe gründete den Verein Prima leben und stereo und mit den Jahren kamen weitere Veranstaltungen dazu: Die Nacht der Musik, Kino am Rang und mehr. Doch das Highlight im Veranstalterjahr blieb das Festival.
Dann zum 10-jährigen Bestehen die Entscheidung von Plus: Alles ein bisschen größer machen, bekanntere Bands holen, auf den Zuspruch der Freisinger, Münchner und anderer hoffen. Es klappte: Bands wie Frank Popp Ensemble, Miles, Bernd Begemann und Co. lockten auch überregional die Besucher an. Das Ziel seither: Weiter bekannte und unbekanntere Bands aus Bayern einladen, aber auch auf größere Namen im Bereich Indierock, Hip Hop und Co. setzen. In der Tat ist es Plus gelungen, in den letzten zehn Jahren namenhafte Musiker an den Vöttinger Weiher zu locken, die trotz oftmals widriger Wetterlagen großartige Konzerte ablieferten. Ein Frank Spilker von der Hamburger Indie-Institution Die Sterne kam 2010 im wohl am schlimmsten verregneten Jahr gleich im Friesennerz und sang sehr passend „es regnet schwer und hart auf dich und mich herab“. Spilker spielte in den letzten Jahren gleich drei Mal am Vöttinger, auch andere Bands schätzten die ausgelassene und dennoch familiäre Atmosphäre. Die Bandauswahl des Prima leben und stereo Festivals steht auch ein bisschen für die Entwicklung der alternativen Musikszene der letzten Jahre. Anfang der Nullerjahre lag der Schwerpunkt auf Gitarrenbands, gerade aus Deutschland. Der einmalige Thees Uhlmann kam mit Tomte, aus Ingolstadt reisten Slut an, Genregrößen wie Madsen, Virgina Jetzt!, Ja Panik und andere gastierten am Vöttinger Weiher. Nach und nach war auch genug Platz für intelligenten deutschen Hip-Hop. Texta aus Österreich waren da, Blumentopf kamen gleich zwei Mal. Legten sich entspannt mit einem Einweggrill an den Vöttinger Weiher, um abends große Hits und spotante Reime zu zelebrieren. Auch elektronische Einflüsse wurden stärker. Als Speerspitze der Elekropunk-Bewegung spielte die Mediengruppe Telekommander gleich zwei Mal auf dem Festival. Bratze, Frittenbude oder Schlachthofbronx sorgten für die richtigen Bässe am Vöttinger. Mehr und mehr gelang es den Festival-Machern auch Bands aus dem Ausland zu einem Auftritt zu bewegen. The Thermals aus den USA, Kaizers Orchestra aus Norwegen oder Chikinki aus England gehören zu den Szenestars weltweit. Jedem Festivalbesucher, von denen die meisten jetzt schon mehrere Jahre kommen, bleiben aber wohl immer andere Konzerte im Gedächtnis: Die ausgelassene Party mit den Berlinern von Bonaparte, der unglaublich atmosphärische Auftritt der Weilheimer The Notwist im letzten Jahr, das Gastspiel der damals noch kaum bekannten Polarkreis 18 vor ihrem Überhit „Allein Allein“ oder Konzerte von kleineren Bands, die vorher den meisten Festival-Besuchern kein Begriff waren und vom Fleck weg überzeugen konnten. Die Geschmäcker sind verschieden, doch die Anziehung dieses Festivals bleibt für die Fans immer die Gleiche: die familiär entspannte Stimmung. Und diese macht auch den Reiz für die mehr als 250 ehrenamtlichen Helfer aus, ohne Bezahlung bei diesem Festival zu arbeiten: angefangen beim Aufbau, am Wochenende selbst Karten und Getränke verkaufen, Bands betreuen, auf die Sicherheit der Besucher achten und natürlich der Abbau inklusive Müllsammeln und Bauzäune wegtragen. Dahinter steckt der Geist der Anfangsjahre: Die Liebe zur Musik unter freiem Himmel. Und der Spaß, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juli/August 2013.
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