Stress und Langeweile zwischen Chaos und WLAN
Die Kolumne zum Corona-Abitur

Der berühmte Corona-Jahrgang: „Ihnen wurde das Abitur geradezu hinterhergeworfen.“ An dieser Stelle muss ich mal kurz einhaken und sagen: Schön wär´s gewesen. Hinter fünf verschiedenen Lernplattformen, zehn verschiedenen Varianten, hinter denen Lehrer verzweifelt versuchen, Unterrichtsstoff zu vermitteln, und hunderten verschiedenen Meinungen, was denn nun prüfungsrelevant ist und was nicht, saßen wir: hunderte verwirrte Schüler, die sich nach Ablauf der ersten beiden „Coronaferienwochen“ ihren Unterricht und ihre Lehrer in Präsenz zurückgewünscht hätten.

Unser Fachabitur haben wir an der FOS vergangenes Jahr unter genau diesen Umständen geschrieben, in der Hoffnung, auf gut Glück die richtigen Verknüpfungen hinter den selbst beigebrachten Themen der 11. Klasse zu treffen.

Ich habe vergangenes Jahr bereits mein Fachabitur geschrieben und stecke nun mitten in den Abiturvorbereitung für mein allgemeines Abitur und es könnte nicht unterschiedlicher sein. Letztes Jahr fand der Großteil des Unterrichts noch per Teams statt, ich persönlich bin überhaupt nicht damit zurechtgekommen und habe dabei wenig gelernt. In den eigenen vier Wänden gibt es einfach zu viele Ablenkungsmöglichkeiten: Das Bad putzen, die Zimmer neu dekorieren, die Möbel umstellen oder die Regale neu sortieren – wirklich alles erscheint einem so unfassbar wichtig und spannend, wenn einem gerade ein monotoner Vortrag über Personalbedarfsberechnung gehalten wird. Und das hat schlussendlich so einigen von uns das „Genick gebrochen“. Meiner Meinung nach war das aber extrem von den Lehrkräften und deren Engagement für den Online-Unterricht abhängig. Man konnte die ganze Belegschaft in zwei klare Gruppen einteilen: Diejenigen, die eine berufliche Leidenschaft mitbringen, die wirklich wollten und auch versucht haben, ihren Schülern den Prüfungsstoff so anschaulich und trotzdem noch mit Humor beizubringen. Und diejenigen, für die das Homeschooling-Konzept schwerer umzusetzen war.

Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass es unsere Lehrer während des Homeschoolings auch nicht gerade leicht mit uns hatten. Sobald einer aus der Klasse entdeckt hatte, dass es möglich ist, die anderen Teilnehmer einer Besprechung rauszuwerfen oder stumm zu schalten, brach in der ein oder anderen Stunde das Chaos aus.

In manchen Fächern, die die meisten für weniger wichtig gehalten haben, war der Großteil der Klasse unterwegs, unter der Dusche oder gerade beim so wichtigen Mittagsschlaf. Die Ausreden: „Entschuldigung, mein WLAN ist ausgefallen“ oder aber „Ich denke, er ist nur kurz auf der Toilette“, waren die häufigsten. Das ein oder andere Mal blieb das Mikrofon zur falschen Zeit an oder jemand hat ungeschickter Weise auf die Entsperrung der Kamera geklickt und war dann unter der Dusche zu sehen.

Unzählige Male bekamen Lehrer, die natürlich nicht tatsächlich alles glaubten, was man ihnen so erzählte, anstatt einer Antwort auf ihre Frage einen Soundeffekt vorgespielt, um eine schlechte WLAN-Verbindung vorzutäuschen. Das ist viel einfacher als gedacht: Einfach „MIC Distortion Sound effect“ auf YouTube eingeben und schon kann man sich jeder schwierigen Frage entledigen.

Ich hatte zu einer Zeit, zu der ich bereits vollkommen im Abiturstress stecken sollte, noch nicht mal alle Arbeitsblätter zusammen, die sich während der Putzsessions hätten ansammeln sollen. Naja, schlussendlich hat sich alles gefügt und ich schreibe in diesen Wochen erneut Abiturprüfungen – nur mit dem Unterschied, dass es dieses Mal die Prüfungen für das Allgemeine Abitur sind und mir – hoffentlich – die Berechtigung geben, demnächst an der LMU zu studieren.

Dieses Schuljahr steht für mich im starken Kontrast zu den vergangenen zwei Jahren. Meine Klasse war zwar sehr oft in Quarantäne und ja, wir hatten auch mal vereinzelte Homeschooling-Tage. Aber: Es war das erste und einzige Schuljahr an der FOS, das annähernd dem gleicht, was ich mir mit meiner Anmeldung 2019 so vorgestellt hatte. Auch wenn wir trotzdem auf Klassenfahrten und Ausflüge verzichten mussten, konnten wir dieses Jahr immerhin einen normalen Unterricht in der Klassengemeinschaft erleben. Und dann kam die Seminararbeit: Von den meisten unter uns so gefürchtet. Ich hatte eher weniger bedenken. Ja, nach dem ersten Gruppentreffen in meiner Seminargruppe wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Internetquellen kann man plötzlich vergessen und wissenschaftliche Bücher, schwerer als ich selbst, waren ab diesem Zeitpunkt mein Wegbegleiter. Ich hatte mich für das Thema „Coco Chanel – eine Fallanalyse zum narzisstischen Persönlichkeitsspektrum“ entschieden. Ganz ehrlich: Ich möchte jetzt vorübergehend weder was mit Narzissten noch was mit Coco Chanel am Hut haben.

Ganz unerwartet hat es dann auch mich mit Corona erwischt, vermutlich hatte ich es sogar aus der Schule. Gott sei Dank ohne schwerwiegendere Symptome, aber dafür mit ganz viel Langeweile. Nach zirka zwei Tagen meiner offiziell verordneten Quarantäne war weder schlafen noch irgendwelche Serien anschauen und erst recht kein stöbern mehr fähig, mich zufriedenzustellen. Ja, ich kann wirklich bezeugen, man fühlt sich ein bisschen einsam, wenn man gezwungener Maßen eingesperrt ist. Ich habe zuvor niemanden verstanden, der sich über zwei Wochen ohne starke Symptome in einem gemütlichen Bett beschwert hat. Doch siehe da: Es war doch nicht so toll. Naja, jedenfalls hat mir auch das Lernen in dieser Zeit keine große Freude bereitet und ich bin relativ unvorbereitet zurückgekommen.

Die darauffolgenden Wochen waren zwar anstrengend, jedoch bin ich in der Rückblende sehr dankbar: Das Äquivalent zu dem letzten Prüfungsstress wäre nämlich der Homeschooling-Stress des letzten Jahres gewesen – und darauf konnte ich dankend verzichten.

Ich kann nur für alle kommenden Jahrgänge hoffen, dass es keinen Homeschooling- Herbst mehr geben wird und für die nächsten Jahre aus alten Fehlern gelernt wird. Ich hätte mir oft gewünscht, dass früher gehandelt und nicht so lange dabei zugesehen wird, wie alles so schleichend immer schlimmer wird.

von Denice Fuchs

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2022.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.

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