Schön und öko

Noch geht beim Kauf von Weihnachtsbäumen Schönheit vor Ökologie, aber für viele Freunde dieser christlichen Tradition ist auch die Naturnähe zu einem Kriterium geworden. Elisabeth Melzer hat für den FINK nachgeforscht. 

Ein Wegkreuz und ein Transparent ‚Keine 3.Startbahn‘ an der Straße von Sünzhausen nach Gremertshausen weisen den Weg. Silvia Schranner wartet auf der umzäunten Fläche am grünen Bauwagen. „Ich habe meinen Vater mitgebracht“, sagt sie, „er hat unser Christbaumwäldchen vor 28 Jahren angelegt.“ Wäldchen ist ein treffender Begriff für die 1,2 Hektar große Fläche, denn eine Plantage stelle man sich anders vor. Zweijährige Bäumchen, deren Triebspitzen kaum aus dem umgebenden Gras und den Wildkräutern herauslugen, wechseln sich ab mit Minibäumchen, solchen in Wohnzimmergröße und anderen, die auch öffentliche Gebäude schmücken könnten – dazu einige Riesen, die schon mehr als 25 Jahre auf dem Buckel haben. „Manche Bäume sind uns anfangs einfach davongewachsen und waren als Christbäume nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Anton Mertl und lacht schelmisch. Wie er auf den Christbaumwald gekommen sei? „Als Nebenerwerbs-Landwirt hatte ich zwei Flurstücke, die ich nicht gut verpachten konnte. Ach blast’s mir doch den Schuh auf, hab‘ ich mir gedacht. Dann bau ich eben Christbäume an und hab im Alter was zu tun.“

„In der Regel kommen die Kunden an den Verkaufs-Wochenenden ab Ende November hier vorbei“, erzählt Silvia Schranner. „Sie suchen sich einen Baum aus und befestigen per Kabelbinder einen wetterfesten Zettel mit ihrem Namen daran. Wir schlagen die Bäume dann frisch, wann sie das möchten – am 4. Advent oder wenn der Mond passt … da gibt es verschiedene Vorlieben.“ „Anfangs haben wir ja nur Blaufichten gepflanzt“, erinnert sich der Senior, „später kamen einige Nordmanntannen dazu. Die Kunden sind herumgelaufen, haben die Bäume angefasst und sich wegen der weicheren Nadeln fast immer für eine Nordmanntanne entschieden.“ Da musste man umdenken und mehr auf Nordmanntannen setzen.“ Aber ich sag Ihnen, eine Blaufichte schmeckt in der Stube besser…“, begeistert sich Anton Mertl. „Sie riecht intensiver?“ „Ja, und manche Kunden schätzen die stachligere Blaufichte auch deshalb, weil Kinder und Haustiere den Baum mit mehr Respekt behandeln.“

Auch davon, dass die Nordmanntanne eine Diva ist, kann Familie Schranner- Mertl berichten. „Die Bäume schießen gern in die Höhe und bilden dann keine Seitentriebe, aber darum geht es den Kunden schließlich.“ Anton Mertl hält eine Art Zange in Händen (Top-Stopp- Zange), wie man sie im Forst kennt, und erklärt, wie er diesem Problem zu Leibe rückt – ohne chemische Mittel zur Triebregulierung. „Damit ritze ich im Frühjahr die Rinde an den passenden Stellen ein, der Saftstrom wird unterbrochen, und es bilden sich an den Schnittstellen neue Knospen und Triebe. Früher hab‘ ich das mit dem Schnacklmesser gemacht“, sagt er und grinst. „Jetzt geht es leichter.“ So ein Christbaumwäldchen braucht übers ganze Jahr eine intensive Pflege, das weiß die Familie aus langjähriger Erfahrung. „Manche denken, die Bäume wachsen von alleine, aber das tun sie eben nicht“, sagt Silvia Schranner. „Um Ostern herum setzen wir jährlich Jungpflanzen aus der Baumschule. Das machen wir von Hand mit einem speziellen Ausstecher. Damit gräbt man einen konisch zulaufenden Erdtopf, in den die Wurzelballen genau hineinpassen.“ In Trockenperioden müssen die jungen Bäumchen per Gießkanne bewässert werden; Gras und Unkraut werden mit dem Aufsitzmäher gekürzt und zwischen den Bäumchen muss der Freischneider ran. Anton Mertl schwingt nach wie vor die Sense. Vier Mal mähen sei in einem Sommer wie diesem schon nötig. Das Gras wächst schnell – es konkurriert um die Nährstoffe, und die jungen Bäume brauchen viel Licht. „Kunstdünger verwenden wir auf unserer Fläche nicht. Wir machen alles ökologisch.“

„Die allermeisten Christbäume kommen nicht aus dem Wald sondern aus großen Plantagen, in denen auch gespritzt wird“, sagt Rudolf Fenner, einst Waldreferent bei Robin Wood, der sich nach wie vor ehrenamtlich für das Thema engagiert. „Wird das Gras zu hoch, beschattet es die jungen Bäume beziehungsweise die unteren Zweige. Diese verlieren ihre Nadeln und sterben ab.“ Abhilfe schaffen Herbizide. Ökologisch zertifizierte Betriebe beseitigen das Gras durch regelmäßiges Mähen, und nicht wenige lassen dafür auch Schafe an die Arbeit.

Deutsche Weihnachtsbaumkunden haben sich auf die Nordmanntanne festgelegt, die aus dem Kaukasus stammt und in unseren Wäldern nicht heimisch ist. 80 Prozent der verkauften Weihnachts-  bäume seien heute Nordmanntannen, 15 Prozent Blaufichten, der Rest Fichten und Edeltannen. Rudolf Fenner: „Von diesem Publikumsgeschmack können auch Öko- Plantagenbetreiber kaum abweichen, sie würden sonst eine Pleite riskieren.“ Das Saatgut für die Nordmanntanne stammt aus Georgien, wo die Zapfen unter riskanten Bedingungen in den Wipfel hoher Bäume gepflückt werden. Das dänische Label Fair Tree kümmert sich um die Sicherheit der Arbeiter, sowie um faire Preise. „Aber man darf auch darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, auf riesigen Flächen acht bis zehn Jahre lang Bäume heranzuziehen, um sie wenige Wochen nach dem Kauf zu entsorgen.“ Ein eventueller Chemikalien- Eintrag im Wohnzimmer macht dem Biologen weniger Sorgen. „Uns geht es um die Natur, um das Wasser und die Böden.“

Um mehr Licht in den Christbaum- Dschungel zu bringen, hat Biologe Fenner für Robin Wood eine Liste ökologisch wirtschaftender Waldbauern und deren Händlern erstellt. Mehr als 800 Verkaufsstellen sind es mittlerweile, die mit einer Zertifizierung durch die bekannten Öko-Anbauverbände (Demeter, Naturland, Bioland) aufwarten können. Dennoch machen Öko-Bäume kaum mehr als ein Prozent der rund 30 Millionen in Deutschland verkauften Weihnachtsbäume aus.

Auf der Robin Wood Liste (www.robinwood. de) finden sich Öko-Plantagen in benachbarten Landkreisen, direkt in Freising bietet nur der Hagebaumarkt Nordmanntannen, die durch den Naturland- Verband als Öko-Bäume zertifiziert wurden. Sie kommen aus dem Spessart von Günther Marx, einem der Pioniere im ökologischen Christbaumanbau. Der hatte vor 10 Jahren das Spritzen mit stinkenden Brühen satt, schloss sich dem Naturland- Verband an und lies seine Plantage zertifizieren, die heute 50 Hektar umfasst. „Das erste Jahr war voll die Katastrophe“, witzelt er. Mineralischer Stickstoff ist im Öko-Anbau tabu, und es mangelte an Dünge-Alternativen. „Die Bäume litten unter Nährstoffmangel, fielen hellgrün bis gelb aus, wie Zitronen“ erinnert er sich, „und der Spott war mir sicher.“ Inzwischen hat Marx die Kinderkrankheiten im Griff und ist ganz und gar überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Er verwendet Haarmehlpellets als Dünger, hält gegen Schädlinge Sauermilchmolke als Pulver für Spritzbrühen bereit und lässt auf seinen Flächen Schafe grasen. „Mähen muss ich trotzdem“, sagt er gelassen, „denn Schafe sind Feinschmecker und fressen z.B. keine Brennnesseln.“ Im Sinntal im Spessart, ‚wo praktisch jeder Christbäume anbaut‘, hat Günther Marx mittlerweile andere Waldbauern für die Öko-Weihnachtsbaum- Kulturen gewinnen können und macht mit dem Ökologischen Kompetenzzentrum Bamberg Düngeversuche. „Seit einigen Jahren gibt es ein Umdenken“, sagt der Plantagenbetreiber, „auch weil Öko- Christbaum-Kulturen machbar sind. Und fast jeder Baumarkt hat inzwischen auch Ökobäume vorrätig.“

Ob Öko aus weiter entfernten Regionen oder konventionell aus dem Landkreis – diese Frage muss sich jeder selbst beantworten. Der Verein Bayerischer Christbaumanbauer zeichnet Bäume aus heimischer Produktion aus, von denen sich auch im Landkreis Betriebe finden. Das Logo ‚Bayerischer Christbaum‘ garantiert die bayerische Herkunft und die Frische des Baumes, was bei den Importen aus Dänemark nicht der Fall ist (www. bayerische-christbaumanbauer.de). Darüberhinaus stellt das Siegel weitere Standards sicher. „Bäume mit diesem Siegel werden frühestens am 10. November geschnitten und wurden in den letzten drei Jahren nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt“, heißt es in den Kriterien. Josef Denk, Vorsitzender der Waldbauernvereinigung im Landkreis Freising geht jedoch davon aus, dass in der Region praktisch keine Pestizide mehr eingesetzt werden. „Das hat sich in den letzten Jahren so durchgesetzt“ sagt er und empfiehlt den Kunden, die Produktionsweise bei den Erzeugern zu erfragen.

Trend: Im Topf gezogen

Ein Trend auf dem Christbaummarkt sind Weihnachtsbäume im Topf, die sich nach dem Fest auspflanzen lassen. Biologe Fenner ist skeptisch: „Das gelingt allenfalls, wenn die Bäume mit geschlossenem Wurzelballen aufgezogen und bei Bedarf immer wieder in größere Kübel umgetopft wurden. Viele Bäume sind jedoch nicht auf diese Weise groß geworden. Sie werden aus dem Boden gerissen, haben Wurzelschäden und gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein, wenn man sie auspflanzt.“ Tatsächlich haben die Händler inzwischen ein Augenmerk auf dieses Kriterium: bei Dehner wirbt man mit Weihnachtsbäumen, die im Topf gezogen wurden. Eine Idee, die in der Region noch nicht Fuß fassen konnte, sind Mietbäume, die nach dem Fest zurückgebracht werden können und z.B. auf Aufforstungsflächen weiterwachsen. „Das ist eine nette Idee“, meint Fenner. „Es wird aber eine Nische bleiben und ist ein riskantes Unternehmen.“ Der Baum sei quasi im Winterschlaf, denn er muss Frost abkönnen. „Dann kommt er plötzlich in die Wärme, die Knospenruhe wird gebrochen, der Baum will austreiben. Kommt er nach dem Fest wieder in die Kälte, drohen Frostschäden und Erfrieren. Einen solchen Baum muss man kalt aber frostfrei aufbewahren, ihn gießen und nicht wochenlang im Wohnzimmer halten.“ Ähnliches gilt für Topfbäume, die anschließend ausgepflanzt werden sollen.

Was sind weitere Alternativen, wenn Weihnachtsschmuck sein muss? Plastikbäume wohl kaum, wie sie in Gartencentern oder Online angeboten werden. Unter den hölzernen Imitaten mit mehr oder weniger Anspruch, tut sich der Keinachtsbaum (www.keinachtsbaum.de) als witzige Idee hervor: ein Steckgerüst aus FSC-zertifizierter Esche mit Bohrlöchern, das jährlich mit frischen Ästen bestückt wird. Mal Tanne, mal Fichte … dem Markt für Schnittgut von Tannen, die ohnehin ausgemustert und geschreddert wurden, prophezeit Nico Stisser, der Erfinder des Keinachtsbaumes, eine große Zukunft.

Das Christbaumwäldchen von Anton Mertl verliert deshalb seine Berechtigung nicht. Dort fällt jede Menge Schnittgrün an, aber es gibt eben auch Charakter-Bäume, wie sie in einer Plantage und ihren Exemplaren im Einheitsmaß selten zu bekommen sind. „Und nicht jeder Baum wird ein Christbaum“, sagt Anton Mertl und zeigt auf eine kleinwüchsige Nordmanntanne mit zwei Spitzen. „So was ist ja für uns kein Problem, da machen wir Brennholz draus. Aber Sie glauben nicht, was hier unterm Jahr sonst noch los ist: Vögel, Hasen, Fasane und auch Rebhühner fühlen sich auf der Fläche wohl.“ „Mein Sohn betreibt einen Naturland-Betrieb und meint immer mal wieder, wir sollten uns zertifizieren lassen“, fügt Silvia Schranner hinzu. „Aber das ist uns zu aufwändig, und die Kunden vertrauen uns. Unser Christbaumwäldchen ist ja kaum mehr als ein Hobby, von dem mein Mann nicht lassen möchte.“ An den Wochenenden vor Weihnachten kommen auch die erwachsenen Kinder mit ihren Partnern und helfen beim Verkauf. „Die haben ihren Spaß dabei, und wir freuen uns jedes Jahr aufs Neue, unsere Stammkunden wiederzusehen.“  

www.bund-naturschutz.de/oekologisch-leben/ feste-feiern/weihnachtsbaum-kaufen www.robinwood.de/schwerpunkte/wassind- ökologisch-zertifizierte-weihnachtsbäume (mit Liste)

 

von Elisabeth Melzer

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Dezember 2022.
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