Anlässlich der Wiedereröffnung des Diözesanmuseums hat der FINK bei Erzbischof Reinhard Marx nachgefragt, wie er das Projekt sieht und wie er die Umstrukturierung des Mons doctus einschätzt:
Die Baumaßnahmen auf dem Freisinger Domberg kann man getrost als Jahrhundertprojekt bezeichnen. Das ist auch ein finanzieller Kraftakt. Wieso war dieser Schritt zum jetzigen Zeitpunkt notwendig?
Zunächst: Der Domberg in Freising ist für mich ein Ort von europäischem Rang. Das war für mich von Anfang an klar. Die Gründe für den Schritt jetzt sind vielfältig und gestalten sich bei jedem Gebäude anders. Nehmen wir zum Beispiel das Diözesanmuseum. Das Gebäude wurde 1870 als Knabenseminar, also als Internat gebaut. Dieses wurde dann 1972 geschlossen und zwei Jahre später als Diözesanmuseum eröffnet. Die damaligen notwendigen Umbauten waren natürlich nicht so umfänglich, als dass man von einem Museum hätte sprechen können, dass in den Bereichen Sicherheit, Klimatechnik, Barrierefreiheit und Infrastruktur dem Stand der Zeit entsprochen hätte. Mit großem Aufwand und Engagement haben dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort und unter den gegebenen Umständen über die Jahrzehnte das Museum sehr erfolgreich betrieben. Sie mussten viel improvisieren und immer wieder wurden auch kleinere und größere bauliche Ertüchtigungsmaßnahmen vorgenommen. Aber irgendwann stößt man mit diesem Konzept an die Grenzen, es musste nun grundlegend was getan werden. So hat man sich vor neun Jahren entschlossen aus einem umgewandelten Knabenseminar nun endlich ein zeitgemäßes und zukunftsorientiertes Museum zu machen.
Ähnlich verhält es sich mit den anderen Baumaßnahmen, etwa dem ehemaligen Priesterseminar, das Ende der 1950er Jahre gebaut, nur wenige Jahre in Betrieb gewesen war, um dann in ein Bildungshaus umgewandelt zu werden. Auch dieses Gebäude war in der Nutzung an seine Grenzen geraten. Eine Entscheidung wurde notwendig und so haben wir uns für den Abriss und einen Neubau entschieden.
Ehemaliger Marstall, die Fürstbischöfliche Residenz, die wunderbare historische Bibliothek und vor allem natürlich der Dom und der Kreuzgang – alles ein historisch einmaliges Erbe, für das die Kirche von München und Freising verantwortlich ist und das von ihr auch für weitere Generationen erhalten und vor allem auch in sinnvoller und sinnstiftender Nutzung gehalten werden soll. Dies ist übrigens über die Jahrhunderte auf dem Domberg immer wieder geschehen und soll nun weitergeführt werden. Kirche ist kein statisches Gebilde, was wir derzeit ganz unmittelbar erleben, sondern Kirche ist und muss eine Gemeinschaft von Menschen sein, von Menschen „guten Willens“, die in ihrer Zeit versuchen das Evangelium für sich und die Welt zu verwirklichen, lebendig werden zu lassen. Die Gebäude auf dem Domberg, die auch aus einem bestimmten Zeitgeist, aus einer bestimmten Haltung gegenüber der Welt, dem Glauben und dem Evangelium entstanden sind, dürfen und können deshalb nicht als ein statisches historisches Erbe betrachtet werden. Sie dürfen nicht nur zu reinen Erinnerungsorten und bloßen Kulturdenkmälern werden, sondern einen idealen Raum dafür bieten, dass wir als Gemeinschaft der Christen sichtbar sind und bleiben und mit der Welt und der Gesellschaft in Dialog treten können. Das ist der Auftrag und deshalb müssen die Räume und Gebäude würdig, aber auch funktional instandgesetzt und gepflegt werden, überholte Nutzungen aufgegeben und neue gefunden werden, aber auch ganz neue Gebäude gebaut werden, wie etwa der derzeit in Planung befindliche Beherbergungsbau.
Die Gebäude sind das eine. Damit einher geht auch eine inhaltliche und spirituelle Neuausrichtung des Dombergs. Wie würden Sie die beschreiben? Und: Welche Auswirkungen hat die Umstrukturierung des Dombergs nicht nur für die Erzdiözese, sondern vor allem auch für Freising? Wie wird dadurch die Keimzelle des Glaubens in der Erzdiözese gestärkt?
Spiritualität ist ein großer Begriff und natürlich zentral für einen Ort, der seit Jahrhunderten ein Ort der Gottesbegegnung ist. Die Räume dafür zu schaffen ist das eine, von denen gibt es auf dem Domberg viele und sehr eindrückliche. Zentral ist hier natürlich der Dom mit seiner Krypta, aber auch die kleineren sakralen Räume wie die Johannes- und Benediktuskirche. Sie bieten Raum für die gemeinschaftliche Liturgie, sie sind aber auch Resonanzräume für unsere ganz individuellen spirituellen Bedürfnisse, bieten Rückzug und Konzentration, Einkehr und Reflexion. Unser Glaube lebt aber andererseits auch von der Vermittlung, vom Zeugnis, von Charismen, von der Weitergabe eines Erbes, einer Tradition, die nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers bedeutet. Dies ist für alle Generationen immer wieder eine große Herausforderung gewesene und da sind wir heute als kirchliche Gemeinschaft in ganz besonderer Weise gefragt. Es ist richtig, dass wir auf dem Domberg die Gebeine des heiligen Korbinian bewahren und verehren, aber damit können wir nicht ganz automatisch davon ausgehen, dass allein deswegen dieser Ort an sich die Qualität einer Keimzelle hat. Ganz im Gegenteil, der heilige Korbinian steht mit seinem Leben, seiner Suche nach einem sinnerfüllten Leben und seinem Ringen um den Glauben, um die wahre Nachfolge Christi ganz beispielhaft auch für alles Menschliche. Auch er hat Ecken und Kanten, ist uns vielleicht nicht in allen Facetten seiner Persönlichkeit sympathisch, aber er war ein wahrhaftig Suchender und um den Glauben Ringender. Das ist doch unsere wahre Berufung in der Nachfolge Christi. Und so ist auch der Ort seines Wirkens, der Ort an dem er gezweifelt, geglaubt, gerungen und gekämpft hat, immer im Bewusstsein seiner Unvollkommenheit. Mit diesem Bewusstsein versuchen auch wir heute unserer Verantwortung für diesen Ort und den dort lebenden und arbeitenden Menschen, den Besucherinnen und Besuchern, den Freisingerinnen und Freisingern gerecht zu werden – nicht mehr, aber auch nicht weniger!
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2022.
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