Das Freisinger Moos ist eines der größten noch erhaltenen Niedermoorgebiete in Bayern. Um diese Flächen mit ihrer Artenvielfalt zu schützen, setzen die Aktiven im Bund Naturschutz seit mehr als 30 Jahren auf die Pflege der feuchten Wiesen. Als effektiver Kohlendioxidspeicher kommt den Mooren im Klimawandel eine immense Bedeutung zu.
von Elisabeth Melzer
Es ist angenehm warm an diesem Samstagnachmittag im September. Ein Dutzend Frauen und Männer arbeiten Hand in Hand auf einer offenen Fläche am Waldrand. Sie rechen Gras zu langen Schwaden zusammen, verfrachten es mit Heugabeln auf große Plastikplanen und schleppen sie an den Rand der gemähten Wiese. Die Fläche, die der Bund Naturschutz vor vielen Jahren gekauft hat, liegt zwischen Haxthausen und Pulling im Freisinger Moos. Die Herbstsonne taucht die Landschaft in ein weiches Licht mit Farbnuancen von mattem Grau über Grün und Braun bis hin zu warmem Orange. Etwas Friedliches liegt über der Szene, wäre da nicht der Balkenmäher im Hintergrund. Manfred Drobny, Geschäftsführer beim Bund Naturschutz, zieht knatternd seine Bahnen durch das fast meterhohe Pfeifengras und Mädesüß, die beide von den wuscheligen Samenständen des Wasserdosts, den Knollen des Duftlauchs und kleinen lila Prachtnelken durchsetzt sind. Ein feiner, kaum wahrnehmbarer Knoblauchduft liegt in der Luft. Der Freisinger Biologe stellt den Motor seines Gerätes ab und erläutert das Engagement des Trupps: „Duftlauch, Wasserdost, Färberdistel und Schwalbenwurz-Enzian brauchen solche nassen Wiesen, damit sie wachsen können, ebenso seltene Falter wie Kreuzdornzipfelfalter, Blaukernauge und Waldwiesenvögelchen. Würden wir die Wiese nicht einmal im Herbst mähen, würde sie verbuschen und die Arten verschwänden. Wird zu oft gemäht und die Fläche zu intensiv genutzt, wären die Arten ebenfalls weg.“
Das Freisinger Moos umfasst eine Fläche von 800 Hektar im Bereich der Stadt Freising und der Gemeinde Neufahrn; es wird von der Moosach durchflossen und vom Ortsteil Vötting, Giggenhausen, Massenhausen und Pulling begrenzt. Es ist Bestandteil der Münchner Schotterebene. Manfred Drobny zur Geologie: „Die Münchner Schotterebene fällt nach Norden hin hangartig ab. Der isarbegleitende Grundwasserstrom nähert sich immer mehr der Oberfläche, bis er bei Freising an der tertiären Hangkante zutage tritt. Die abgestorbenen Pflanzenteile der Nasswiesen bilden den Torf des Niedermoores. Um Freising herum ist die nach der letzten Eiszeit gebildete Torfschicht noch gut erhalten“, weiß der Biologe, „und zwischen drei und vier Metern dick. Im Dachauer Moos sind es allenfalls noch 30 bis 40 Zentimeter.“ Diese Torfschicht erhält aktuell eine wichtige Bedeutung, denn sie speichert viel Kohlendioxid, wenn sie ausreichend nass ist.
Vor gut 100 Jahren hatte man begonnen, das Gebiet intensiv zu entwässern; neue Gräben wurden gezogen, andere begradigt. In der Folge sank der Grundwasserspiegel. Dabei ging und geht pro Jahr etwa ein Zentimeter der Torfschicht verloren – das gebundene Kohlendioxid entweicht in die Luft. Damit begann der Rückgang der natürlichen Artenvielfalt. Es entstand ein Mosaik kleinbäuerlicher Nutzungen: Der Torf wurde als Brennmaterial an die Brauereien verkauft. War es ausreichend trocken, trieben die Bauern das Milchvieh aus den umliegenden Orten ins Moos, wo es noch Futtergras gab. Manfred Drobny muss lachen. Er erinnert sich, wie die Kühe auf dem Heimweg in die Ställe allabendlich einen Stau auf der Giggenhauser Straße in Vötting verursachten, wenn er als Bub mit der Familie die Großmutter am Mitterfeld besuchen ging. „Seinerzeit wurde die Griesfeldstraße im Volksmund Scheißhaufen-Allee genannt.“
Torfstiche, Nass- und Feuchtwiesen existierten in friedlicher Koexistenz und gaben den niedermoortypischen Pflanzen und Tierarten Lebensraum; der Große Brachvogel und zahlreiche Orchideenarten verschafften dem Gebiet auch überregional Bedeutung. Doch die Niedermoorarten zogen sich auf die feuchtesten Bereiche zurück. Eine Zeitlang wurden die Wiesen noch gemäht und das Gras als Einstreu genutzt. Jedoch mit den Spaltenböden gab man die Einstreu in den Ställen auf; der Torfstich wurde in den 1960er Jahren beendet. Eine Kulturlandschaft geriet in Gefahr und in Vergessenheit. Geblieben ist der Begriff Streuwiese. „Bei Artenkennern war der ökologische Wert des Freisinger Mooses schon damals bekannt“, erinnert sich Drobny. „Aber es hat keine Fördermittel gegeben. In den 70er Jahren haben Aktive angefangen, die Streuwiesen von Hand zu mähen, aber die Sensenphase war recht kurz“, erzählt er sichtlich amüsiert. „Freiwillige gab es viele, aber die meisten Helfer waren des Sensens nicht mehr mächtig“. Da musste schon mal ein Helfer ins Krankenhaus gebracht werden, und der Versuch, die Wiesen mit dem Traktor zu befahren, führte zu großen Bodenschäden. So kam der Balkenmäher auf den Plan. „Der ist leichter als ein Traktor. Er schneidet auch hohes Gras glatt ab, und die Messer töten weit weniger Insekten als ein Kreiselmäher, denn der erzeugt einen Sog, mit dem Kleinsttiere regelrecht zerhäckselt werden.“
Manfred Drobny macht einen schnellen Sprung zur Seite, um mit ausladender Bewegung etwas einzufangen. In der vorsichtig geöffneten Hand hält er eine langflügelige Schwertschrecke mit lindgrünem Körper und bräunlichem Rücken, die verdutzt in die Runde schaut. „Sie ist ein typischer Bewohner der Streuwiesen im Moos“, erklärt der Biologe. „Den Namen hat sie von der besonders langen, schwertähnlichen Legeröhre der Weibchen. Sie ernährt sich von Pflanzen und auch kleineren Insekten.“ Zehn Prozent der Flächen werden nicht gemäht, sie bleiben über den Winter stehen, weil Schmetterlinge in den Stengeln und Horsten als Puppen oder Larven überwintern, z.B. das Waldwiesenvögelchen oder die Kleine und Große Goldschrecke. Büsche wie der Faulbaum dagegen müssen weichen. Drobny zeigt auf eines der Exemplare, für die es die Motorsense braucht. „Die sind schnellwüchsig, und die Wiese würde bald verbuschen.“
Zu den BN-eigenen Flächen sind über die Jahre der Pflegearbeit noch gepachtete Flächen dazugekommen, außerdem solche, für die der BN einen Pflegvertrag hat. Meist sind es Flächen des Landkreises, die man im Auftrag des Landschaftspflegevereins betreut. Am sogenannten Naturdenkmal – einer besonders artenreichen Streuwiese – gibt es das einzige Vorkommen von Schwalbenschwanz-Enzian im Landkreis. Manfred Drobny: „Aus einst zwei bis drei Horsten sind inzwischen über 100 geworden. Das sehen wir als einen Erfolg unserer Arbeit an. Zugenommen haben auch die Wiesenknopf-Ameisenbläulinge.“ Manfred Drobny wendet sich noch einmal dem Balkenmäher zu. Nicht selten ist der Naturschützer Stunden vor dem Arbeitseinsatz bei der Mahd, damit rechtzeitig genug Arbeit auf die Helferinnen und Helfer wartet. Das Ende der heutigen Streuwiesenmahd ist schon in Sicht. An einem schönen Plätzchen wird im Hintergrund ein Camping-Tisch aufgebaut, werden Planen zum Sitzen ausgebreitet, belegte Brötchen, Butterbrezen und Kuchenteilchen aus der Tüte geholt. Zu den Wasser- und Limonade-Kästen gesellt sich noch eine Kaffeekanne hinzu. Gleich gibt es Brotzeit, und es ist auch eine Zeit für einen geselligen Erfahrungsaustausch.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom September 2023.
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