Canyon, Texas. Gelegen im sogenannten Pan-Handle im Nordwesten von Texas, fast schon an der Grenze zu New Mexico. Gefürchtet wegen seines Klimas, der oft jahrelangen Dürre, die alles in eine „dust bowl“ verwandelt. Höhe 1080 Meter, Einwohner 13.857 plus ca. 5.000 Studenten je Semester an der hier beheimateten West Texas A&M University. Berühmte Söhne und Töchter der Stadt: Terry Funk, Wrestler. Nicht zu vergessen die Malerin Georgia o`Keeffe, die vor genau hundert Jahren hier wirkte.
Seit zwei Monaten sind wir nun hier.Sallie mit einer Gastprofessur in Zeichnen für ein Semester und meine Wenigkeit. Gasthörer für Spanisch, zurück auf die Schulbank, inmitten all der hippen Youngsters. Für die schon etwas ältere Professorineine willkommene Abwechslung.
Das Wetter ist rauh, tagelange Sandstürme, wie gelber Nebel, der heiße Wind, die flirrende Hitze. Dann aus dem Nichts diese gewaltigen Gewitter, der Himmel in Sekunden pechschwarz, der Regen kommt seitwärts, sintflutartig, in Minuten ist alles überschwemmt. Donner rollen minutenlang über die Prärie. Hoffentlich wird´s kein Tornado. Wenn die Sirenen losheulen, ab in den Keller mit Decken, Taschenlampe und einer Flasche Bourbon. Die benachbarte Stadt im Süden von Canyon wurde vor ein paar Jahren von einem Tornado heimgesucht, ihr Name war Happy Texas.
Eine Stunde später ist der Spuk vorbei, die Sterne sind zum Greifen nah, der Himmel scheint unendlich. Zikaden und Grillen beginnen ihre nächtliche Symphonie, untermalt vom Surren des Ventilators. Aus der Ferne das Dröhnen der meilenlangen Güterzüge, sechs Dieselloks mit ohrenbetäubendem Gehupe und Getöse an jedem Bahnübergang. Tage- und nächtelang, von West nach Ost und umgekehrt. The sounds of West-Texas …
Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Leute ist umwerfend. „Are you from here? From Germany? Wow, that´s a long way.“ Jeder dritte Wagen ist ein Pick-up mit Cowboy und Pferdeanhänger. Schon gesattelt für den Arbeitstag, man grüßt sich noch „on the road“, auf diesen endlosen Straßen ins Nichts. Die verwitterten Reklameschilder an der benachbarten Route 66, die grellen Neonlichter gegen den feuerroten Abendhimmel, das erdbebengleiche Donnern einer Harley-Gruppe, die gemächlich ihre Bahn zieht. Furchterregende Gesellen, aber harmlos, immer bereit zu helfen, wenn ich für ein Foto am Straßenrand parke.
Bill, der Collegestudent. Fängt mit 22 Jahren ein Studium an, wäre nur zu gerne in Sallies Klasse gekommen. Sein Rücken macht die harte Arbeit nicht mehr mit. Hat zwei Bisse von Klapperschlangen überlebt, weit weg von jeder Hilfe. „What did you do?“ „Well, unter einem Baum ausgeruht, nur nicht paniken, hoffen, es geht vorbei …“ Eine Wildschweinattacke hat seine rechte Schulter ruiniert, ein Büffel seinen rechten Fuß. „It`s time for a change“.
Bill kennt die Gegend, ist auf Ranches aufgewachsen. „In vier Wochen Sir, ist Baumwollblüte.“ Da müßen wir über Land fahren, ein Schauspiel der Natur, alles sieht aus wie Schnee. Freu mich schon, Bill! Take care.
Johannes Wunner
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2014.
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