Herbert Rudolf: “All das macht ja was mit uns”
Die große Fragestunde

Manche mögen es anders sehen, aber es gibt sie tatsächlich: die ganz großen Geschenke an die Allgemeinheit. Orte, an denen wir durchatmen können und unser Wohlbefinden stärken. Einer dieser Orte ist ohne jeden Zweifel der Freisinger Weltwald, zu Recht ein über alle Stadtgrenzen hinaus geschätztes Naturparadies, das fest verbunden ist mit dem Namen von Herbert Rudolf, der sich seit 15 Jahren um die Ausgestaltung dieser ganz besonderen Oase kümmert.

Herbert, unser Gespräch erscheint ja in der Weihnachtsausgabe des Fink und deshalb: Wie stehst eigentlich Du als Waldexperte zum Thema Christbaum?

Der Christbaum ist eine wunderbare Tradition. Ich kann mir Weihnachten ohne einen duftenden, geschmückten Christbaum gar nicht vorstellen.

Danke für das Stichwort: Wieviel hat denn Wald insgesamt für Dich mit Tradition zu tun?

Ich finde Wald und Bäume stehen für Beständigkeit, Langlebigkeit und Verlässlichkeit. Wenn ich im Wald an der Plantage an den mächtigen Eichen hinaufblicke, sie wurden um 1850 gepflanzt, dann empfinde ich großen Respekt vor diesen Lebewesen. Denken wir nur an die vielen Umwälzungen, die innerhalb dieser Zeitspanne für uns Menschen geschehen sind. Die Eichen haben, davon unbeeindruckt, jedes Jahr einen Jahrring zugelegt. Sie sind für mich Sinnbilder für Heimat und Tradition.

Unser Wald wird seit vielen Jahrhunderten intensiv genutzt. Die Strategie, nach der meine Forstkollegen vor 50 und 100 Jahren gewirtschaftet haben, die sieht man dem Freisinger Wald noch heute an. Und wir bauen wiederum darauf auf, denn im Schutz früherer Monokulturen wächst mittlerweile ein bunter Mischwald heran. Insofern ist Forstwirtschaft etwas sehr Traditionelles. Andererseits braucht jede Försterin, jeder Förster eine solide Vorstellungskraft von der Wachstumsdynamik der Bäume und damit auch eine Vision in die Zukunft.

Seit einiger Zeit schwappt ein Trend aus Japan zu uns, das sogenannte Waldbaden, der auch allenthalben begeistert beschrieben und praktiziert wird. Wie ist Dein Gefühl dazu, hat es einen neuen Trend gebraucht, um uns in den Wald zu bringen?

Um uns in den Wald zu bringen, glaube ich nicht. Es sind ja bereits viele Menschen im Wald unterwegs. In Gesprächen spüre ich, dass ihn die meisten sehr mögen. Sie finden dort Ruhe und Ausgleich in einer sonst eher stressigen Alltagswelt. Wenn sie gut gemacht sind, können Angebote wie „Waldbaden“ das Abschalten und Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes erleichtern. Im Wesentlichen geht es darum, sich auf seine Langsamkeit einzulassen.

Du hast sehr viel dafür getan, dass wir in Freising Wald nutzen können und noch dazu viel Mehrwert haben, also zum Beispiel verstehen können, wie Wälder auf anderen Kontinenten aussehen. Der Weltwald ist quasi Dein Lebensprojekt, woran sich natürlich abbildet, dass da jemand nicht nur eine Arbeit, sondern auch eine Leidenschaft in seinem Leben gefunden hat…

Ja, der Wald war für mich schon als Jugendlicher ein faszinierender Raum, in dem ich mich gerne bewegt habe, ein Biotop, in dem ich daheim war. Die Leidenschaft kam später mit der Arbeit, mit der Möglichkeit zu formen und zu entwickeln hinzu.

Mittlerweile bist Du ja in Deinem Arbeitsleben schon relativ weit fortgeschritten. Wie sieht die Rückschau aus, hast Du das Gefühl, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben?

Ja, ganz ohne Abstriche, ja. Als es nach dem Abitur darum ging ein Studium zu ergreifen, dachte ich zunächst an Physik oder Germanistik. Meine Mutter hätte mich gern als Lehrer in diesen Fächern gesehen. Aber ich trieb mich in den Wäldern herum, kletterte auf Hochstände und las. Ich las alles Mögliche, aber vor allem Goethe. Ich erinnere mich an Verse wie „Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch“. Oder, mit dem Blick auf die Baumarten: „Die Eiche starret mächtig und eigensinnig zackt sich Ast an Ast, der Ahorn mild, von süßem Safte trächtig, steigt rein empor und spielt mit seiner Last.“ Goethes Naturzugang beeindruckt mich bis heute. Vielleicht gerade weil ich mich damals eher als Theoretiker fühlte, entschloss ich mich etwas Handfestes zu machen und studierte Forstwirtschaft. Das ist jetzt etwa 40 Jahre her. Ich habe jedes Jahr genossen, ein Revier zu betreuen und dafür Sorge zu tragen. All die Pläne, die ich im Kopf habe und umsetzen möchte, reichen allerdings weit über meine reguläre Dienstzeit hinaus.

Im Weltwald gibt es ja sehr viel Verknüpfung zwischen Wald und Kunst. Ist es denn so, dass wir hier auch eine zweite Leidenschaft von Dir sehen?

Da fällt mir ein Zitat ein, das mir als Student unterkam. Es stammt vom Begründer der Forstakademie in Tharandt, Heinrich Cotta: „Waldwirtschaft ist halb Wissenschaft, halb Kunst und nur die Ausführung macht hierbei den Meister.“ Cotta war ein Zeitgenosse Goethes und stand auch mit ihm im Austausch. Und ja, so verstehe ich meine Arbeit. Da gibt es diesen Bereich Naturwissenschaft, Technik, Ökonomie auf der einen Seite und da gibt es den anderen Bereich, den Cotta Kunst nennt und den ich jetzt mal umschreibe mit gestalten, mit Sinn für das Naturschöne, aber auch für das Kommunikative. Ein Gestalten für Menschen, dafür, dass Menschen sich im Wald wohl fühlen. Man kann sich dieses Spannungsfeld deutlich machen, indem man polare Begriffe wie Analytik und Ganzheitlichkeit oder Hard Skills und Soft Skills gegenüberstellt. Das Interessante dabei ist immer der Brückenschlag. Schauen wir uns also in diesem Zusammenhang den Weltwald an. Das Leitmotiv Cottas ist hier noch greifbarer als im Wirtschaftswald. Da ist zum einen eine wissenschaftliche Baumsammlung, bei der es darum geht, die verschiedenen Waldtypen der gemäßigten Breiten auf begrenzter Fläche „en miniature“ nachzubauen. Hunderte von Baumarten aus Nordamerika, Europa und Asien spielen dabei eine Rolle. Und da ist das Ziel, einen attraktiven Erholungsraum, einen Waldpark zu schaffen, in dem man sich nebenbei auch informieren kann. Dazu gehören geführte Pfade, Alleen, Wiesen, grasende Schafe, Wasserflächen und lauschige Plätze zum Entspannen. Dazu gehören reizvolle Kleinarchitekturen wie die Pavillons und die „Gärten der Kontinente“. Dazu gehört auch das Entwerfen von Printmedien und Schautafeln, ein Internetauftritt und ein Veranstaltungsprogramm. Und auch Kunst im engeren Sinne gibt es: Konzerte, Landart und Bildhauersymposien, die viel beachtete Skulpuren hinterlassen haben.

So entsteht dort ja eine Art kontemplative Stimmung, eine gewisse Ordnung, die von den Besucherinnen und Besuchern offensichtlich auch angenommen wird. Wir können vielleicht sogar sagen, der Wald färbt auf uns ab, er ist uns in gewissem Sinne Vorbild…

Das ist gut formuliert. Der Wald hat ja eine ganz eigene Atmosphäre, mit seiner Ruhe und Gelassenheit, mit seiner Frische und seinen Düften. Am meisten beeindruckt mich seine unerschütterliche Erneuerungskraft. All das macht etwas mit uns.

Du hast auch einen Lehrauftrag an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Was bietest Du da an?

Das sind Kurse über Baumkunde und praktischen Waldbau. Mein Lieblingsfach ist dabei ein von mir ins Leben gerufenes Wahlmodul mit dem Titel „Waldästhetik“.

Bei Betrachtung dieses enormen Gesamtwerks, das Du da geschaffen hast, könnte man sich fragen, ob Du in Deinem Leben überhaupt noch für andere Dinge Zeit hast…

Ja, durchaus. Da gibt es noch ein paar andere Interessen. Der Weltwald ist ja auch keine bloße One Man Show. So ein Projekt kann nur gelingen, wenn man sich in einem Netzwerk von Menschen bewegt, die im besten Sinne zusammenarbeiten. Besonders möchte ich meinen hochgeschätzten Mitarbeiter Stephan Huber hier erwähnen, der den Weltwald seit über 20 Jahren vor Ort betreut und ohne den gar nichts ginge. Verschiedene z.T. staatliche Stellen unterstützen und fördern zudem das Ganze im Hintergrund. Da ist z.B. das Amt für Waldgenetik, das seit Jahrzehnten das notwendige Saatgut beschafft. Da gibt es einen Lenkungsausschuss mit Vertretern der Bayerischen Staatsforsten sowie der Forstverwaltung, der u. a. über die Finanzen befindet. Da gibt es einen wissenschaftlichen Beirat. Ebenfalls großer Dank gebührt dem Förderverein Weltwald & Erlebnispfad Freising e.V., dessen Mitglieder immer zur Stelle sind, wenn größere Veranstaltungen anstehen.

Ich komme zurück auf Deine vorgenannten Hobbies, da hast Du natürlich Interesse geweckt, was macht Dir außer Deiner schönen beruflichen Aufgabe noch Freude?

Ich habe mich viele Jahre mit Yoga befasst, angeregt dadurch auch mit östlicher und westlicher Philosophie. Natürlich ist da noch mein Faible für Sprache und Literatur. Besonders liebe ich Italien und tauche immer wieder gerne ein in diese Kultur der Leichtigkeit, der Lebensart und des guten Geschmacks.

Herbert, letzte Frage: Wenn Du heute Dein Leben mit einer Farbe beschreiben solltest, welche wäre es und warum?

Gold. Ich meine damit weniger einen bestimmten Farbton als eine Lichtstimmung. Das erste leuchtende Grün der Buchen im Frühling hat diesen Schuss. Da gibt es auch das rote Gold im Herbstwald. Um die Großen Seen (USA, Kanada) wird dieses Feuerwerk der Farben „Indian Summer“ genannt. Außerdem, wenn du am Strand liegst und die Sonne sinkt am Horizont, dann siehst Du eine Straße dieses glitzernden Goldes auf dem Wasser. Und, wenn der Herbstwind durch die Hainbuchen streicht, dann fallen die Blätter wie Golddukaten zu Boden…

 

Informationen zum Freisinger Weltwald gibt es im Netz unter www.weltwald.de 

 

Interview: Birgit Mooser-Niefanger

Unsere Autorin trifft sich für den FINK mit interessanten Menschen zur „großen Fragestunde“ und hofft, heraus zu finden, was Menschen in ihrem Innersten bewegt. Die Fotos zur Serie macht Birgits langjähriger Freund und Kollege Franz Josef Kirmaier (das produktionshaus).

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Dezember 2022.
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