Eröffnung der Westtangente
Das Ende einer fast unendlichen Geschichte

Es sind drei Oberbürgermeister, die sich mit dem Projekt beschäftigen und an der Realisierung arbeiten: Adolf Schäfer, Dieter Thalhammer und Tobias Eschenbacher. Erste Überlegungen zu einer westlichen Umgehung von Freising gehen bereits auf das Jahr 1967 zurück. Sozusagen erstmals urkundlich erwähnt wird die Tangente dann durch die Aufnahme in den Flächennutzungsplan der Stadt im Jahr 1972. Niemand hätte damals wohl geglaubt, dass es dann noch ein halbes Jahrhundert dauern wird, bis man auf der Straße fahren kann.
Was ist in diesen 50 Jahren geschehen? Was ist passiert? Nachdem die Voruntersuchungen abgeschlossen waren, wurde am 29. Dezember 1976 das Raumordnungsverfahren eingeleitet, das – und schon da gingen elf Jahre ins Land – 1987 im Antrag auf die Planfeststellung mündet. Danach dauert es wieder acht Jahre, bis am 4. Oktober 1995 das Verfahren mit dem Planfeststellungsbeschluss abgeschlossen wird. Dann tritt das Vöttinger Bürgerforum auf den Plan und klagt gegen den Bau der Westtangente. Mit Erfolg: Sowohl vor dem Verwaltungsgericht 1998 als auch vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof 1999. Die damalige Einstufung der Westumfahrung als Gemeindeverbindungsstraße war falsch, als Verbindung von Staats- und Bundesstraßen müsse die Tangente höher klassifiziert werden, so das Urteil der Gerichte. Fazit: Die Planungen werden gestoppt.
Im Jahr 2000 startet die Stadt einen neuen Anlauf: So wird im Oktober 2000 beschlossen, die Westtangente als Kreisstraße zu bauen, jedoch in der Sonderbaulast der Stadt Freising, die die Straße somit planen und finanzieren muss. Sechs Trassen mit Varianten hat man inzwischen erarbeitet, mit ihnen geht man in den schwierigen und umstrittenen Prozess der Trassenfindung. Das dauert: Im Januar 2004 fällt die Entscheidung für die sogenannte Variante WT 1 opt. 2 – das ist die, die am nächsten an der Stadt liegt und einen Tunnel unter Vötting hindurch vorsieht. Im April 2004 wird dann der Antrag auf Planfeststellung bei der Regierung von Oberbayern eingereicht. Nach einigen Planänderungen (Verzicht auf den Anschluss der Staatsstraße 2339 und Verlängerung des Tunnels) wird am 12. Juni 2008 der Planfeststellungsbeschluss erlassen. Und wieder tritt das Vöttinger Bürgerforum in Aktion, beklagt den Planfeststellungsbeschluss. Dieses Mal jedoch ohne Erfolg, der Planfeststellungsbeschluss wird im März 2011 rechtskräftig. Geplanter Projektbeginn ist zu diesem Zeitpunkt Juli 2013.
Doch im Mai 2013 kündigt das Aktionsbündnis „Besser ohne Westtangente“ einen  Bürgerentscheid zur Westtangente an, der Projektstart wird vorerst verschoben. Die Gegner des Projekts führen Natur- und Landschaftsschutzgründe, eine unsichere Finanzierung und generelle Zweifel am Nutzen der neuen Umgehungsstraße ins Feld. Aus dem am 22. September 2013 parallel zur Bundestagswahl durchgeführten Bürgerentscheid gehen die Befürworter der Westtangente mit 56,5 Prozent der Stimmen als Sieger hervor, woraufhin der Stadtrat am 21. November 2013 das Projekt endgültig beschließt. 2015 versucht das Vöttinger Bürgerforum erneut, einen Bürgerentscheid zu beantragen. Formuliertes Ziel ist ein weitgehender dreijähriger Baustopp der Westtangente. Man solle erst die Auswirkungen der kurz vor Baubeginn stehenden Nordostumfahrung der B 301 auf den Verkehr in Freising abwarten, um dann neu über die Westtangente zu entscheiden, so das Ansinnen. Geplanter Baubeginn für die Nordostumfahrung war 2017, eine Bauzeit von drei bis vier Jahren war angesetzt. Die nötige Stimmenanzahl zum Beantragen des Bürgerentscheides wird zwar erreicht, allerdings lehnt ihn der Freisinger Stadtrat mit der Begründung ab, dass ein Bürgerentscheid nur für ein Jahr gültig sein könne und ein Projektstopp angesichts der schon investierten Summen nicht mit den Grundsätzen von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit vereinbar wäre. Eine Klage des Bürgerforums vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht gegen diesen Beschluss wird im Mai 2016 abgelehnt. Ab jetzt ist der Weg zum Bau der Westtangente endgültig frei.
Spatenstich ist am 7. Mai 2015. Die geplante Bauzeit damals: vier Jahre. Die ersten Bauarbeiten finden östlich der Bahnlinie statt. Hier wird eine Brücke über die Schlüterallee gebaut. 2016/17 werden die Brücke über die Bahnstrecke sowie die Baustraße durch das Freisinger Moos bis zum Südportal des zukünftigen Tunnels errichtet. Im Laufe des Jahres 2018 entstehen auch mehrere Brücken und Kleintierdurchlässe auf der Trasse. In der zweiten Jahreshälfte wird die Kreuzung mit der Staatsstraße 2350 (die ehemalige B 11) und der Kreisstraße FS 44 umgebaut. Am 17. Juli 2020 wird dann das erste Teilstück der Westtangente zwischen der Staatsstraße 2350 und dem Anschluss zur Angerstraße für den Verkehr freigegeben. Damit wird die östliche Angerstraße vom Verkehr des dortigen Gewerbegebietes und dem Baustellenverkehr eines dort im Bau befindlichen Wohngebietes entlastet. Von September 2020 bis Juni 2021 wird der neue Kreisverkehr am nördlichen Ende der Westtangente realisiert.
Zu etwas Besonderem wird die Westtangente freilich durch den insgesamt 705 Meter langen Tunnel: Der 460 m lange nördliche Teil des Tunnels bis zur Giggenhauser Straße wird in bergmännischer Bauweise vorangetrieben. Der bergmännische Tunnelbau startet Anfang Mai 2017. Feierlicher Tunnelanstich ist am 22. Mai 2017, Tunnelpatin ist die Freisinger Stadtbaumeisterin Barbara Schelle. Im bergmännisch erstellten Teil des Tunnels erfolgt der Durchstich der Kalotte am 18. Januar 2018, der Ausbau der Strosse war am 13. April desselben Jahres beendet. Der südliche Tunnelteil mit der Unterquerung der Moosach wird in Deckelbauweise erstellt. Dazu wird die Moosach zeitweise auf einer Länge von rund 100 Meter in ein neues Flussbett verlegt. Beim Bau treten in diesem Bereich Ende des Jahres 2018 Probleme auf: Eine bei Probebohrungen identifizierte Tonschicht in etwa 23 Meter Tiefe, die das Grundwasser abgeschirmt hätte, hat im Bereich der Baustelle unerwartet ein Loch. Die notwendigen Maßnahmen, eine Abdichtung mittels Hochdruckinjektionsverfahren, führt zu Mehrkosten und zu einer Verzögerung der Eröffnung auf Beginn 2022. Mitte März 2020 werden die beiden Tunnelteile verbunden und bis Dezember 2020 ist das Ingenieursbauwerk Tunnel fertiggestellt. Seitdem wird die technische Ausstattung des Tunnels installiert. Seit September 2021 finden zudem umfangreiche Kontrollen und Übungen im Tunnel statt.
Ein Dauerbrenner sind über Jahre und Jahrzehnte die Kosten: Als im Jahr 2013 der Bürgerentscheid durchgeführt wird, liegen die geplanten Kosten bei 85,6 Millionen Euro. Im Dezember 2015 müssen die Kosten auf 91,1 Millionen Euro erhöht werden, zwei Jahre später werden die Kosten schon auf 98,4 Millionen Euro berechnet. Im Dezember 2018 dann ein weiterer Sprung auf 108,2 Millionen, ein Jahr später eine Kostenexplosion auf 133,8 Millionen Euro. Und jetzt musste man nochmals draufsatteln, liegt derzeit bei 139 Millionen Euro. Das alles muss freilich nicht die Stadt Freising allein stemmen. 70 Prozent der förderfähigen Kosten übernimmt der Freistaat Bayern, fünf Millionen Euro kommen aus dem Umlandfond des Flughafens München. Den Rest teilen sich Stadt und Landkreis Freising.

von Andreas Beschorner, Foto: Stadt Freising

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Januar 2022.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.

zur Bibliothek...
weitere Artikel zu diesem Thema: