Andrea Zenk-Guth und ihr Mann Daniel Zenk arbeiten beide am Flughafen, beide lieben ihre Jobs. Die Eltern der 13-jährigen Antonia und der kleinen Ida (5) unternehmen viel mit ihren Kindern. Es ist ein aktives Leben, das die Vier führen. Bis zu jenem Tag im März, als der Lockdown die Familie in die eigenen vier Wende “zwingt”. Dort lernen sie einen völlig neuen Alltag kennen. Dem FINK haben die Vier nun einen Einblick gegeben in ein Leben unter dem Eindruck eines Virus, das die Welt lahmgelegt hat. In der Zeit vor Corona galt bei der Familie vor allem die Devise: „Wer da ist, der macht’s“. Und das hat immer super funktioniert, wie Daniel (43) und Andrea (37) betonen. Feste Aufgaben für Mama oder Papa braucht es bei dem lebensfrohen Paar nicht – es wird einfach das erledigt, was gerade anfällt, wofür man gerade Zeit hat. Denn beide sind beruflich ziemlich eingespannt: Daniel Zenk als Fluglotse bei der Deutschen Flugsicherung, seine Frau Andrea als Kommunikationswirtin und als Service Agent am Check-In und Gate der Deutschen Lufthansa. Diesen Job hat sie erst Anfang des Jahres angenommen: „Im Januar habe ich nach ein paar Monaten, die ich mit meiner Familie zu Hause und auf Reisen genossen habe, in meinem langersehnten neuen Beruf bei der Lufthansa angefangen“, erzählt die zweifache Mama.„Davor war ich sechs Jahre bei FlixBus in München im klassischen ,Vormittags-Mama-Bürojob’ tätig.“ Die beiden arbeiten im Schichtdienst und stimmen ihre Arbeitszeiten aufeinander ab. So ist es ihnen möglich, dass immer jemand für die Tochter da sein kann. Oftmals sogar beide gleichzeitig, was Daniel und Andrea als sehr positiven Aspekt des Schichtdienstes sehen. Die 13-jährige Antonia ist Schülerin der siebten Klasse am Josef-Hofmiller-Gymnasium, ihre kleine Schwester Ida geht noch in den Kindergarten. Beide Tochter sind kontaktfreudig, haben viele Freundinnen. Die Freizeit der Patchwork-Familie hat vor Corona vor allem eins beinhaltet: viele Reisen und Ausflüge.
Antonias leiblicher Papa lebt in Erlangen, ebenso Andreas Mutter und viele gute Freunde. Regelmäßige Besuche, im Schnitt alle drei Wochen, gehören dazu, die Freisinger pflegen einen engen Kontakt zu Familie und Freunden. Antonia und Ida sind keine Stubenhocker, verbringen viel Zeit an der frischen Luft, treffen sich mit Freunden, fahren Fahrrad oder Cityroller. Antonia tanzt Ballett. Bei den Eltern ist eher Andrea diejenige, die soziale Kontakte gerne pflegt: „Andrea braucht das deutlich mehr als ich“, sagt Daniel. „Egal ob es ratschen mit anderen Mamas auf dem Spielplatz, Kaffee mit Freunden oder mal ein Essen mit Bekannten ist, ich bin einfach gerne unter Menschen“, erzählt die 37-Jährige. Beide beschreiben ihr Leben so: „Wir sind eine Familie, die gerne Besuch zu sich einlädt, gerne in den Biergarten geht. Aber auch eine Familie, die gerne zu Hause ist, und sich daheim sehr wohl fühlt. Wir sind ziemlich abwechslungsreich und vielfältig.“ Genau deshalb ist es für das aktive, offene Vierergespann eine große Umstellung, den gesamten Alltag zu viert und nur im eigenen Zuhause oder in der Natur zu gestalten.
An dem gewohnt strukturierten und perfekt eingespielten Tagesablauf hat sich durch die Corona-Pandemie einiges geändert. Andrea ist auf unbestimmte Zeit in Kurzarbeit und damit den ganzen Tag zu Hause. Daniel arbeitet derzeit Coronabedingt nur noch ein bis zwei Dienste pro Woche. Das Problem bei Andrea: Da sie erst seit Anfang des Jahres in ihrem Beruf arbeitet, hat sie da noch nicht wirklich Fuß fassen können in ihrer neuen Arbeitsstelle, befindet sich im Moment noch in der Probezeit. „Da hat man jetzt durchaus die ein oder andere schlaflose Nacht hinter sich. Vor allem auch, weil man nicht so recht weil, wie gravierend die Corona-Krise die Airlines jetzt tatsächlich getroffen hat, und wann alles wieder anlaufen wird“, sagt sie. Und dennoch ist das Paar dankbar: „Wir haben beide sehr soziale Arbeitgeber, wodurch sich unsere finanzielle Situation nicht maßgeblich verändert hat.“ Es ist also eine Mischung aus ungutem Gefühl, was nach der Krise kommen wird, und Dankbarkeit für die Stabilität und Sicherheit, in der die Familie trotz allem leben kann. Doch nicht nur Andrea und Daniel sind zu Hause – auch Antonia und ihre kleine Schwester Ida kennen aufgrund des Lockdowns nicht in Schule und Kindergarten, sind einer völlig neuen Situation ausgesetzt. Die Eltern müssen ihre Tochter nun komplett selbst beschäftigen und dafür sorgen, dass den Mädels nicht die Decke auf den Kopf fällt. Da ist Kreativität gefragt. „Daniel darf ja ab und zu arbeiten gehen“, beneidet Andrea ihren Mann. Sie vermisst ihre Arbeit sehr.
Vor den neuen Umständen war die Mama stets für die Organisation aller Familientermine zuständig. Das fiel von heute auf morgen alles weg – der Kalender bleibt vorerst leer. „Unsere gewohnte Struktur zu erhalten war nicht unbedingt unser oberstes Ziel, aber eine neue Corona-Struktur zu etablieren schien uns dennoch wichtig“, erzählt Daniel.
Schülerin Antonia steht nun ein wenig später auf als während der normalen Schulzeit- der Zeitdruck fällt für die 13-Jährige komplett weg. „Das Homeschooling klappt soweit ganz gut“, reflektiert Antonias Mama die vergangenen Wochen zufrieden. Was die Familie im Lockdown sehr genießt, ist die Zeit für gemeinsame Mahlzeiten, die aufgrund der Schichtarbeit nicht täglich m.glich waren. Auch ausgiebige Spaziergänge halten die Vier bei Laune. Zu Beginn des Lockdowns hatten Andrea und Daniel jedoch noch deutlich mehr Ideen, wie sie ihren Tag füllen können: „Anfangs haben wir uns aller Projekte angenommen, die wir schon immer mal im Kopf hatten“, erinnert sich Andrea zurück, „von Keller ausmisten bis zum Gartenhäuschen streichen war alles dabei.“ Doch ganz so entspannt ging es nicht weiter: „Über die Wochen nahm ehrlicherweise die Entspannung etwas ab und die Anspannung kam zurück.” Andrea trieb mehr und mehr die Frage um, wann sie wieder arbeiten darf und wie es nun genau im Job weitergeht. Es fehlten die Freunde, die geselligen Abende mit Gästen zu Hause, der Kaffee im Café – einfach die Abwechslung. Den Kindern fehlten zunehmend ihre Hobbys und auch ihre Freunde. „Klar haben wir es immer noch genossen, nicht in Hektik und im Termindruck zu stecken. Aber die Harmonie nahm schon hier und da etwas ab“, gestehen Daniel und Andrea.
Besonders für die beiden Töchter ist die gesamte Situation nicht einfach: Sie sind noch zu jung, um wirklich zu begreifen, wieso sie keinen ihrer Freunde treffen konnten. Beide Kinder sind aufgeschlossen, kontaktfreudig und gehen gerne in die Schule und in den Kindergarten. Ida will beinahe täglich wissen, wann all ihre Freundinnen endlich wieder zu Besuch kommen dürfen. Eine herausfordernde Zeit, in der nicht nur die Vier als Familie noch n.her zusammenrücken, sondern auch die beiden Mädchen ein innigeres Verhältnis als Schwestern zueinander entwickeln. „Besonders bemerkenswert war für uns als Eltern, wie toll und intensiv unsere Mädels trotz acht Jahren Altersunterschied miteinander gespielt haben“, freut sich die Mama. Und der Papa ergänzt: „Das wäre ohne Corona bestimmt nicht so zu Stande gekommen.“ Trotz der fehlenden sozialen Kontakte waren die Mädchen nicht komplett abgeschottet, ihre Eltern haben sich stets darum bemüht, den Quarantäne-Alltag so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten. „Mit der Oma wurde geskyped, ebenso mit Idas Freundin Sarah.“ Und auch die Kinder wurden sehr kreativ: “Sie haben sogar über Skype verstecken gespielt. Irgendwie hat sogar das funktioniert.“ Antonia hatte dabei stets die Nachrichten im Blick, war immer bestens über Corona-Lockerungen informiert. Mit ihren Freundinnen blieb die 13-Jährige auch mit Briefen im Kontakt, die jeden Abend zur gleichen Zeit im Freien übergeben wurden.”Es war alles eine riesige Umstellung für die beiden, aber sie haben sich toll damit arrangiert”, finden die Eltern, die schon auch ein bisschen stolz und zufrieden damit sind, wie sie all das meistern. Müsste jeder die aktuelle emotionale Lage mit nur einem Wort beschreiben, so w.re es bei Daniel „gleichmütig“, bei Andrea „einseitig“. Antonia empfindet die Situation als „eingeschränkt“, die kleine Ida beschreibt den Lockdown als „schön“.
Ein Aspekt, der besonders Andrea durch die Zeit der absoluten sozialen Distanzierung hinweggetragen hat, waren ihre Hobbys. Sowohl die Gartenarbeit bei Sonnenschein, als auch das „Rumbasteln“ an ihren geliebten VW-Bus hat die Mama sehr genossen. Bei ihrem Mann sieht es da anders aus: „Daniels Hobbys liegen mehr im sportlichen Bereich. Tennis, Golf, Klettern.“ All das war bis vor kurzem nicht möglich. Er nutze die Zeit also dafür, seine “sehr spärlichen handwerklichen Fähigkeiten auf ein nunmehr nur spärliches Niveau zu heben“, wie er mit einem Augenzwinkern sagt. Außerdem habe Daniel Spaß am neu erworbenen Pizzaofen. Und beschäftige sich mit der Optimierung des Hefeteigs und der perfekten Pizzasoße.
Auch, wenn die Zeit als Familie sehr schön und wertvoll für die Vier ist, fehlt einfach vieles. Besonders sehnsüchtig wartete man von Anfang an auf die Besuche der Großeltern. „Uns fehlt sowohl die Spontanität, Dinge tun zu können“, fasst es Daniel Zenk zusammen. „Ebenso fehlt uns aber auch die Struktur, die normalerweise von Schule, Kindergarten und Beruf vorgegeben werden.“ An die Auflagen halten sich Andrea und Daniel sehr konsequent, Ida und Antonia es ihren verantwortungsbewussten Eltern nach. „Trotzdem tauscht man sich natürlich aus, man diskutiert über die einzelnen Auflagen. Man versteht nicht alle Beschränkungen und findet manches widersinnig, trotzdem h.lt man sich selbstverständlich daran“, so Andrea.
Auch mit Erscheinungen wie Hygiene-Demos und Corona- Leugnern hat die Familie sich befasst: „Dass bei solch harten Einschnitten über einen solch langen Zeitraum Widerstand aufkommt – in Form von Demonstrationen – ist ganz natürlich.” Und das soll auch so sein, finden die beiden. “Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Deswegen ist das für uns in Ordnung. Dass radikale Parteien diese Veranstaltungen nutzen, ist wohl auch natürlich, empfinden wir aber als äußerst unangenehm!“ Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker nehmen sie nicht ernst und messen ihnen auch nicht viel Bedeutung zu. Für die Zeit nach Corona haben Andrea und Daniel bereits sehr konkrete Pl.ne: „Die Kinder in die Schule und den Kindergarten schicken, Frühstücken im Café nachmittags Freunde in den Garten einladen und zur Begrü.ung feste drücken. Am Abend bis zum Sonnenuntergang im Biergarten ohne Mundschutz sitzen. Vor dem Schlafen gehen die nächste Fernreise und Campingreise buchen.“ Töchterchen Antonia hat noch einen weiteren Plan, den sie umsetzen möchte, sobald es möglich ist: „Ich will den Mundschutz in den Müll werfen und jeden umarmen!“, erzählt die 13-Jährige sehnsüchtig. In der negativen Gesamtsituation sehen Andrea und Daniel auch etwas Positives: „Einige Jobs, wie Pflegeberufe und viele andere soziale Berufe werden sicherlich besser bezahlt und mehr geschätzt werden“, so ihre Hoffnung. Auch glauben sie daran, dass man wieder mehr auf regionale Produkte setzen wird, statt sich auf Importe zu verlassen. Auch hoffen die beiden, dass das Schul-und Bildungssystem sich weiterentwickeln wird und mehr auf Digitalisierung setzt.
Die negativen Folgen, die die beiden befürchten, sind vor allem die weiter auseinanderklaffende Schere zwischen arm und reich, sowie die Auswirkungen für Länder, die schon vor Corona auf Hilfe angewiesen waren. Insgesamt nehmen die Vier als Familie das Bewusstsein mit, dass sie zu viert eine Krise bewältigen können. „Auch ganz banale Dinge, die man sonst nie gemacht hätte, haben wir erledigt“, so Andrea, „das ist ein gutes Gefühl.“ Und eines kann ihnen nach der Krise keiner nehmen: viele sch.ne Erinnerungen. Erinnerungen aus einer völlig neuen, entschleunigten Situation. Erinnerungen an eine Zeit, in der man aus einer bedrohlichen Situation, die die ganze Welt innehalten lässt, das Beste herausgeholt hat, indem man jede Minute mit den wichtigsten Menschen in seinem Leben bewusst gestaltet hat.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juni 2020.
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