„Ein Museum kann nicht nur ein Ort der Asche sein, da muss auch die Glut weitergegeben werden.“
Im Gespräch mit Christoph Kürzeder

In leuchtendem Weiß erstrahlt das frisch renovierte Diözesanmuseum auf der Westspitze des Dombergs. Anfang Oktober öffnet das Museum wieder seine Türen – damit finden fast ein Jahrzehnt der Planung und der Umbauarbeiten, die mit der Schließung 2013 begonnen hatten, ein Ende. Lange Zeit waren die Ausstellungen auf Wanderschaft, das Museumsteam fand für die Zeit des Umbaus in der Münchner Residenz Büroräume. Nun aber beginnt das Museumsleben wieder in Freising, in den eigenen vier Museumswänden: Der FINK besuchte Dr. Christoph Kürzeder, seit 2012 Direktor des Diözesanmuseums Freising.

Herr Kürzeder, freuen Sie sich, nach einem knappen Jahrzehnt des Unterwegsseins, nun endlich in den eigenen vier Wänden arbeiten zu können?

Die Wanderschaft war sehr inspirierend und lehrreich. Sie war zwar anstrengend, aber hat uns auch sehr viel Spaß gemacht. Es ist schön zurückzukommen und wieder ein eigenes Haus zu haben – aber daran müssen wir uns erst wieder gewöhnen.

In wenigen Jahren feiert das Diözesanmuseum sein 50-jähriges Bestehen in diesen Gemäuern. Wie fühlt es sich für Sie an, sich mit dem großen Umbauprojekt in eine Traditionslinie einzuschreiben?

Was sind 50 Jahre in Anbetracht des Dombergs mit seiner jahrtausendelangen Geschichte? Wir haben hier im Museum Ausgrabungen gehabt, wir wissen inzwischen, dass wir es mit vielen Zivilisationsschichten zu tun haben. Nein, für mich ist eine Tradition von 50 Jahren keine erdrückende, oder bedrohliche. Es ist eine Verantwortung, die man hat. Für einen Menschen ist es ein Alter, aber für eine Institution wie ein Museum? Man sieht, wie sich die Museumslandschaft verändert hat, wie sich die Auftraggeberin, die katholische Kirche verändert hat, wie sich auch sicher der Domberg noch einmal verändert. Wir sind alle in einem stetigen Veränderungsprozess. Derzeit ist es vielleicht eher ein Paradigmenwechsel. Dafür steht das Museum auch, dass es ein Paradigmenwechsel ist auf dem Domberg; auch unserer Zeit, ich will das gar nicht auf den Domberg reduzieren.

In welcher Hinsicht ein Paradigmenwechsel?

Die Frage, welche Rolle eine Kulturinstitution in einer kirchlichen Einrichtung und Gemeinschaft spielt, die hat sich verändert. Wir sprechen heute von einer Art Kulturpastoral oder Kulturseelsorge. Sie ist zwar so alt wie das Christentum selbst, denn ohne Kunst und Kultur hätte sich auch diese Religion gar nicht so durchsetzen können. Insofern ist aber die Musealisierung natürlich schon ein Paradigmenwechsel, weil wir Dinge zeigen, die nicht mehr im Kontext und sozusagen nicht mehr in Aktion sind. Insofern haben wir eine neue Aufgabe. Es geht um Vermittlung von Erbe – das ist das eine, das ist wichtig und richtig. Aber es geht auch um die Relevanz eines Erbes für eine Gesellschaft. Ein Museum kann nicht nur ein Ort der Asche sein, da muss auch das Feuer weitergegeben werden. Hier im Museum haben wir nicht nur einen historischen Blick auf die Dinge, sondern die Menschen erleben ja diese Kunst und diese Fragen in ihrer Zeit.

Die Ausstellungen des Diözesanmuseums haben sich seit 2013 auf Reisen begeben: ins Kloster Beuerberg bei Eurasburg, ins Ursulinenkloster nach Landshut, nach München ins Bayerische Nationalmuseum oder nach Venedig in die Biblioteca Nazionale Marciana. War es eine Herausforderung, an ganz verschiedenen Orten immer wieder neu anzufangen?

Ja. Man kommt in bestehende Kulturinstitutionen, die bestimmtes Arbeiten gewöhnt sind. Man muss sich eher auf sie einstellen, als dass sie sich auf uns einstellen; und das haben wir auch versucht. Wir haben mit der Kunsthalle zusammengearbeitet, die immer mit Kooperationen arbeitet; das Bayerische Nationalmuseum eher nicht, das ist ein Haus, das aus sich selber und mit dem eigenen Team arbeitet – das ist auch gut gelungen. In Venedig war es ein Arbeiten mit einer anderen Mentalität. Italien kennen wir alle gut, wir bereisen das Land gerne und ich habe ja früher einmal ein Jahr in Italien gelebt. Aber dann als Institutionen zusammenzuarbeiten ist noch einmal etwas Anderes, das war manchmal nicht ganz leicht, aber im Ergebnis dann sehr schön. Es sind alles sehr starke Partner gewesen, die ein  sehr ausgeprägtes Eigenprofil hatten. Da haben wir uns eingebracht, sehr dezidiert als Team und mit unseren Themen. Es war Herausforderung, aber auch Bereicherung. Wir haben in den Institutionen jeweils sehr viel gelernt.

Allen Orten folgten unzählige Besucher: innen, obschon – würde man meinen – der katholische Glaube oder religiöse Themen derzeit keine Hochkonjunktur haben. Was denken Sie, woher kommt die große Resonanz an den Ausstellungen des Diözesanmuseums?

Natürlich bewegen wir uns immer im Bereich der Fragen der Religion. Das ist die Aufgabe eines kirchlichen Museums. Nehmen wir zum Beispiel die Ausstellung in der Kunsthalle „Mit Leib und Seele. Münchner Rokoko von Asam bis Günther“. Da waren unsere Objekte fast alle aus dem kirchlichen Bereich und mit der Frage verbunden, wie man in welcher Epoche die immer gleichen Geschichten erzählt. Es gibt ja keine unendliche Variationsbreite. Wir haben Texte aus dem Evangelium, die Jesus-Geschichte ist klar definiert und festgelegt, Maria, die Heiligen. Wir haben einen Kanon, der feststeht und mit ihm kann man wunderbar arbeiten. Aber vielleicht ist das Geheimnis des Zuspruchs, dass wir es geschafft haben, diese Themen als relevant für die Menschen zu präsentieren. Ich glaube, in Beuerberg ist es uns gut gelungen, weil wir sehr lebensnahe Themen gewählt haben. Ob es das Thema der Heimat war, ob es das Thema der Tugenden war, ob es das Thema Lebensentscheidungen war. Das sind alles Themen, die jeden Menschen irgendwie betreffen, selbst wenn er Religion in seiner Lebensphase gerade nicht als relevant einstuft. Es sind Themen, die eine breite gesellschaftliche Relevanz haben. Ich denke, das ist es, was wir auch hier gerne fortführen würden.

Wie groß ist eigentlich das Team, das im Diözesanmuseum, in der Ausarbeitung der Ausstellungen hinter Ihnen steht?

Wir haben im Team eine Kuratorin und einen Kurator sowie eine Stelle für die Vermittlungsarbeit. Ganz neu haben wir eine zusätzliche Stelle für die byzantinische Sammlung und das Kloster Beuerberg bekommen. Wir sind ein kleines Team; vielleicht auch deswegen beweglich, vielleicht auch deswegen effizient, insofern, dass wir kurze Entscheidungswege haben und wir uns gut im Team auseinandersetzen können. Und jede und jeder, das muss ich wirklich sagen, gibt immer ihr und sein Bestes. Wir haben ganz tolle freiberufliche Kolleginnen und Kollegen, die uns unterstützen sowie unsere Volontärinnen. Im Haus haben wir Aufsichts- und Reinigungspersonal, wir haben Haustechnik: Wir haben alles, was ein Museum braucht, aber in einem relativ kleinen Rahmen.

Was bedeutet für Sie die Lage auf dem Domberg, was macht den Reiz des Diözesanmuseums in der ehemaligen fürstbischöflichen Residenzstadt Freising aus?

Die Sanierung hat es geschafft, dass man das Wesen des Gebäudes wiedererkennt, die Eleganz des Gebäudes, ihre architektonische Qualität. Die Architekten Brückner&Brückner haben sich sehr mutig für ein sehr transparentes Gebäude entschieden. Das Gebäude war auf dem Domberg in gewisser Weise architektonisch immer schon ein Fremdkörper. Das ist vielleicht negativ ausgedrückt; positiv könnte man sagen, es ist ein sehr eigenständiges Gebäude auf dem Domberg, weil es ein bisschen aus dem historischen Kontext ausbricht. Es ist mit dem tollen Lichthof ein sehr großzügiges und für uns auch deswegen sehr gut bespielbares Haus. Die Aufteilung des Hauses ist perfekt, weil es eine sehr klare und sehr stringente Gliederung hat. Die herausgehobene, exponierte Lage ist natürlich schon fantastisch. Wir haben unglaublich schöne Blickachsen, von denen aus wir auf die Stadt, auf den Domberg und in das Land sehen können. Wir haben derzeit wieder Alpenblick, man sieht den Fernsehturm, man sieht die Flugzeuge kommen und gehen. Es ist nicht nur Naturraum, es ist auch Kulturraum, den wir von hier sehen. Der Rest des Berges ist noch ein bisschen im Dornröschenschlaf, aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern. Doch nun müssen wir natürlich auch schauen, dass die Menschen hierherkommen. Der Freisinger Domberg ist im Großraum München kein touristischer Hotspot. Die Frage, dass wir es schaffen, hier auch Besucher herzubringen, die dieses Gebäude hoffentlich dann kennen und lieben lernen und immer wieder kommen, das ist natürlich schon eine Herausforderung. Es ist eine Entscheidung: Ich muss hierherfahren. Sie ist mit Aufwand, mit Planung verbunden.

Der Umbau des Diözesanmuseums ging nicht immer reibungslos von statten. Es gab – wie in der Tagespresse berichtet wurde – Diskussionen um die Gestaltung des Daches, den Abriss des oktogonalen Anbaus an der Nordseite. Wie würden Sie das Verhältnis zur Stadt Freising beschreiben?

Ich denke, die Auseinandersetzungen sind im Rahmen einer solchen Baumaßnahme relativ normal. Das Verhältnis ist deswegen von einem gegenseitigen Respekt geprägt. Und es hat, glaube ich, keine echten tiefen Wunden hinterlassen. Das Ergebnis spricht auch für sich. Natürlich stellt sich eine Stadt auch immer die Frage, wie weit sie gehen kann. Wir haben hier ein Denkmal und das sind auch die Diskussionsthemen gewesen. Jede Seite muss ihre Verantwortung tragen und muss in ihren Anliegen ernst genommen werden. Und ich denke, der Diskurs mit den Behörden, mit der Stadt, mit dem Landesamt für Denkmalpflege war aber auch immer so, dass wir gemeinsam ein gutes Ergebnis gefunden haben. Die konstruktive Zusammenarbeit war meistens gegeben. Die Störungen sind dann meistens emotionaler Natur. Sie zeigen, dass sich Menschen mit diesem Ort verbunden fühlen und dass sie dafür auch kämpfen. Im Großen und Ganzen haben wir uns immer wieder im gemeinsamen Ziel gefunden und das Ergebnis ist auch ein gemeinsames, auf das die Diözese und die Stadt stolz sein können. Das wäre in einem Widerstands- oder Konfrontationsmodus gar nicht möglich gewesen – für beide Seiten. Insofern ist es ein gutes und geklärtes Verhältnis auf Augenhöhe. Das ist wichtig.

Was ist Ihre Vision für das Diözesanmuseum Freising? Wo sehen Sie es in der Museumslandschaft?

Unser Ziel ist die Eigenständigkeit. Das Charakteristische, das uns ausmacht, das wollen wir bewahren, hier weiterführen und sicher auch nochmals professionalisieren. Insofern ist die Rückkehr ins Haus gut. Es geht darum, die Persönlichkeit des Hauses zu entwickeln. Das hat man jetzt schon, wenn man reinkommt: Das Gebäude ist sehr einzigartig. Das heißt aber nicht, dass andere Museen nicht auch einzigartig sind. Es geht darum, dass man hier etwas schafft, bei dem die Menschen sagen, dafür lohnt es sich, herzufahren, da bin ich gerne, da nehme ich immer etwas mit – und das ist ja schon sehr viel. Früher gab es den Vergleich, der immer wieder herumspukt, dass wir das zweitgrößte kirchliche Museum nach den Vatikanischen Museen seien – auf was basiert der Vergleich? Ich weiß es nicht. Die Vatikanischen Museen sind toll, unerreichbar, eine ganz andere Hausnummer.

„Wie immer. Nur neu.“ lautet der Auftaktslogan zur Eröffnung. Gibt es bestimmte Orte, Blickwinkel, Exponate, die Sie den Menschen bei ihrem Besuch im neuen Diözesanmuseum ans Herz legen möchten, die sie nicht missen sollten?

Es gibt keinen Platz, den ich nicht empfehlen würde. Ich stelle die Frage immer andersherum. Es gibt ja diese Bücher „100 places to see before you die”; da würde ich das Diözesanmuseum schon dazutun – aber eben im Ganzen. Das sage ich nun ganz unbescheiden. Es gibt so unglaublich viele schöne Situationen in diesem Haus, dass ich es gar nicht entscheiden könnte. Menschen sind verschieden in ihrer Wahrnehmung und in ihren Bedürfnissen. Ich weiß keinen Platz, der nicht schön wäre, kein Objekt, wo ich nicht sagen würde, das lohnt sich; da gibt es keine Lieblingskinder, da gibt es keine Lieblingssituationen. Ich glaube, die Offenheit für ein solches Haus ist wichtig, für alle. Sonst würden wir auch selber im Team Orte zweiter, dritter Klasse schaffen – das machen wir nicht.

 

Interview: Isabella Hödl-Notter

Fotos: Diözesanmuseum Freising, Thomas Dashuber, Michael Hopf

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2022.
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