Die Reichsautobahn und das RAB-Waldlager
Archivstück des Monats

Zapfsäulen für Benzin und Diesel, komprimierte Erdgas und Elektro-Schnellladesäulen, Stromladestationen, eine Wasserstofftankstelle, dazu 323 PKW Parkplätze und 240 LKW-Stellplätze sollten die „Tank und Rastanlage der Zukunft“ bilden. Dieses ehrgeizige Projekt hatte die Autobahndirektion Südbayern an der A 9 bei Fürholzen am 22. September 2017 durch Bayerns Innenminister Herrmann und Bundesverkehrsminister Dobrindt eingeweiht. Was vielleicht nur noch die älteren Bewohner wissen, ist: Im Frühjahr 1936 begannen die Bauarbeiten für ein noch größeres Projekt, nämlich den 30 km langen Streckenabschnitt der Reichsautobahn Berlin-München, der den Freisinger Bezirk durchschnitt und die Orte Wolnzach und Dirnismaning verband. Ziemlich genau vor 80 Jahren wurden die Arbeiten vollendet.

Nach der ursprünglichen Planung sollte das Autobahnnetz – oder die „Straßen des Führers“, wie sie der Volksmund bezeichnete – pro Jahr um 1000 km wachsen. Dies gelang jedoch nur in den Jahren 1936 bis 1938, also auch während der Freisinger Abschnitt errichtet wurde. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges waren 3300 Autobahnkilometer fertiggestellt. Seit 1940 setzte man auch Kriegsgefangene, Häftlinge aus Konzentrationslagern und andere Zwangsarbeiter beim Bau ein. Zwischen 1941 und 1942 wurden die Baumaßnahmen fast völlig eingestellt. Ab Herbst 1943 durften Autobahnen wegen des geringen Fahrzeugverkehrs sogar von Radfahrern benutzt werden. Und gegen Ende des Krieges wurden Reichsautobahnen auch als Behelfsflugplätze durch die deutsche Luftwaffe benutzt.

Die für den Bau benötigten Arbeiter wurden in den umliegenden Dörfern in Privatquartieren, oder, wie in Hetzenhausen, in einem eigens gebauten Waldlager – dem „RAB-Waldlager Hetzenhausen“ – untergebracht. Noch heute fällt eine große Lichtung im Wald unweit des Hetzenhauser Funkturmes auf: Hier standen zwei Mannschaftsbaracken, eine Wirtschaftsbaracke, eine Waschbaracke, eine Abortbaracke, eine Kantine und sogar ein Schwimmbad.

Einem Inspektionsbericht vom Oktober 1937 zufolge hatte das Waldlager 144 Betten. Die Mehrzahl dieser Arbeiter kam aus Schlesien, der Rest aus der Rheinpfalz, aus Schwaben oder aus Ober und Niederbayern. Wie das Waldlager im Detail ausgestattet war, erfahren wir ebenfalls aus dem Bericht. So werden unter einer Vielzahl von Gegenständen 144 Strohsäcke, Essnäpfe, Stiefelzieher, Sturmlaternen wie auch eine Fahne, ein Lautsprecher, ein Radioschrank oder eine Filmleinwand aufgeführt. Für die Einhaltung der Lagerordnung sorgte der Lagerführer. Verantwortlich für die Reinlichkeit der Schlafräume war der Stubenälteste. Sportliche Wettkämpfe wie Kleinkaliberschießen oder Boxkämpfe hielten die „Arbeitskameraden“ bei Stimmung. Die „KdF“, also die NS-Gemeinschaft der Deutschen Arbeitsfront „Kraft durch Freude“, veranstaltete Kameradschaftsabende oder bunte Abende mit Bauernbühne und Gesang. Zum Oktoberfest 1937 zum Beispiel wurde eine Omnibusfahrt vom Waldlager nach München organisiert. Übrigens: Um sich als Freund des „arbeitenden Volkes“ zu gebären, hatte das Regime den Preis für eine Maß Bier ab 1933 auf 90 Pfennig limitiert.

Die NS-Propaganda stellte den Autobahnbau als zentrale und sichtbare Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dar und verband sie mit dem Versprechen auf eine künftige Massenmotorisierung. Die Auswirkung auf die Arbeitslosenzahl war aber aufgrund der relativ geringen Zahl der direkt eingesetzten Arbeiter nur marginal. 1934 waren rund 85.000 Arbeiter beim reichsweiten Autobahnbau beschäftigt; 1936 war mit 130.000 Arbeitern eine Höchstzahl erreicht. Diese Zahlen widerlegen die Legende von einem rasanten Beschäftigungswunder.

Der aufwändig inszenierte erste Spatenstich und die Eröffnungszeremonie des hiesigen Abschnittes am 4. November 1938 diente dazu, die Leistung der Nazis durch ihr Unternehmen „Reichsautobahnen“ in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen, wiewohl die Motorisierung noch gar nicht weit fortgeschritten war. Denn noch in den 1930er-Jahren entfällt für das Reich statistisch gesehen ein Kraftfahrzeug auf 75 Einwohner, in München immerhin ein Automobil auf 25 Einwohner.

Entlang der Trassenführung Eching-Fürholzer Berg wurde der Aushub auf Gleisen, auf denen so genannte Lorenzüge verkehrten, zu den tiefergelegenen Moosfeldern befördert. Zurückgebracht wurden die Züge mittels einer kleinen Dampflokomotive. Betrachtet man den heutigen Verkehr auf der „Nürnberger Autobahn“, kann man sich kaum vorstellen, dass noch bis in die 1960er-Jahre hinein das Gras auf dem Mittelstreifen von den Kleinbauern abgemäht wurde und manch einer seinen sonntäglichen Spaziergang oder Radausflug ungestört auf der Autobahn machen konnte.

Am Samstag, den 5. November 1938, erschien im Freisinger Tagblatt unter dem Titel „Vom Fels zum Meer reicht nun das graue Band“ ein zwei Seiten langer Artikel über die Eröffnung und Inbetriebnahme der neuen Autobahnteilstrecke im Bezirk Freising. Hierzu nun ein kurzer Auszug des in der pathetischen Sprache des Dritten Reiches verfassten Artikels: „Immer wieder haben wir mit wachem Interesse das Werden dieses grauen Doppelbandes verfolgt, sahen die teilweise mächtigen Fundierungsarbeiten im Moos bei Eching, den Durchschnitt der Höhenrücken bei Fürholzen und Oberkienberg, das Wachsen der Brücken über Flüsse, Kanäle und Talmulden, das Aufschütten der riesigen Dämme bei Schernbuch. Nun ist das Werk vollendet und in genialem Zuge schwingt sich das breite Doppelband durch die Landschaft, um vom heutigen Tage an für Jahrhunderte die schnellen Kraftwagen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, von Grenze zu Grenze zu tragen.“

Zur Übernahmefahrt auf der mit Fahnen und Girlandenschmuck umsäumten Autobahn seien neben den Politgrößen Abordnungen der SS, SA, Formationen der HJ, des BdM, Kreisleiter und Bürgermeister und nicht zuletzt die Arbeiterkolonnen erschienen. Die Eröffnungsrede an der Einfahrtsstelle Dirnismaning habe Professor Dr. Fritz Todt, Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen, gehalten. Daraufhin sei eine riesige Wagenkolonne von Dirnismaning in Richtung Ingolstadt in Gang gesetzt worden. Hunderte von Menschen seien aus den umliegenden Dörfern herbeigeeilt, um die Autokolonne mit „Heilrufen“ zu grüßen.

An den einzelnen Baustellen gab es im Anschluss an die Eröffnungsfeier Kameradschaftsabende in den jeweiligen Werkskantinen. Wie das Freisinger Tagblatt berichtet, habe sich in der Echinger Kantine unter den Klängen der Freisinger Kapelle von Franz Appel der Generalinspekteur persönlich eingefunden und in seiner launigen Rede gesagt, es sei zwar schön Chef des deutschen Straßenwesens zu sein, „aber es ist auch schön, wieder einmal Baraber unter Barabern zu sein.“ Unter Barabern verstand man ungelernte Bauarbeiter. Diese Solidaritätsbekundung habe natürlich großen Jubel in der Baukantine ausgelöst – so die Zeitung.

Weniger Jubel bei den Verantwortlichen der Reichsautobahn löste im Februar 1939 ein 54-jähriger Gütler aus. Nachdem er seine Entschädigung für die Grundabtretung nicht erhalten hatte, räumte er kurzerhand die frisch gepflanzten Sträucher und Ahornbäume von der Autobahn-Böschung ab, um bequemer seinen vom Staat nicht bezahlten Grund wieder abzugraben und auf seine benachbarte Wiese zu transportieren. Offenbar war die Oberste Bauleitung von der Dreistigkeit dieser Aktion so überrascht, dass sie dem aufmüpfigen Reichsbürger umgehend seine Entschädigung auszahlte und ihm lediglich zur Auflage machte, die beschädigte Böschung wieder instand zu setzen.

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Dezember 2018.
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