Timi geht essen: Tantris

Die folgenden Zeilen sind mit absoluter Vorsicht zu genießen! Das Münchner Tantris ist nichts für jeden Tag. Nichts für jeden Monat, nein eigentlich nicht mal für jedes Jahr. Ohne Vorwissen würde ich schon gar keinen Besuch empfehlen. Dann ist alles sehr schwierig und man versteht vieles nicht. Auch sollte man sich vorher zumindest mal die Mühe gemacht haben, die Homepage mit der Geschichte des Hauses durchzulesen. Ferner gibt es unzählige Fernsehreportagen über das Tantris, die man gesehen haben sollte, bevor man sich ins Ungewisse wagt! Dem Interessierten sei der Film „40 Jahre Tantris“ ans Herz gelegt. (Kann man auch kostenlos auf der Tantris Homepage www.tantris.de anschauen.)
Selbstredend hat der kluge Timi nichts davon gemacht und ist einfach so ins Tantris – ein ziemlicher Schock! Wie gesagt, bitte macht euch vorher darüber schlau, dann guckt ihr nicht so dumm aus der Wäsche wie ich. Es ist zum Beispiel auch gut zu wissen, dass der Laden seinen zweiten Michelin Stern bereits 1974 erhalten hat. Da bin ich noch nicht mal nackert um den Christbaum gelaufen. Daher auch die etwas gewöhnungsbedürftige Inneneinrichtung. Allein diese, streng im Stil der glorreichen Siebziger gehalten, könnte die Sonderausgaben einer „Schöner Wohnen“- Zeitschrift füllen.
Ich stehe also endlich vor dem Tantris und kann’s kaum erwarten reinzugehen. Das ist wirklich wie Weihnachten! Sympathisch ist schon mal der schwarze 5er BMW, der mit Tantris Logo, schräg auf dem Bordstein, vor dem großzügigen Eingang mit Drehtüre parkt. Jetzt kann’s also losgehen. Uns wird die Drehtüre manuell in Gang gesetzt und die Freundin drängelt sich erstmal vor. Ich glaube, sie hat Hunger! Im Nachhinein schon sehr lustig, weil wir noch zwei Tage später satt waren und nur noch kleine Portionen zu uns nehmen konnten.
Uns werden fachmännisch die Jacken abgenommen, der Tisch zugewiesen, unser Oberkellner vorgestellt. Das Trara kennt man ja. Ohne lange zu zögern bestellen wir beide die Empfehlung des Chefkochs Hans Haas: das Acht-Gang-Gourmetmenü zum stolzen Preis von 175 Euro, ohne Wein. Man könnte aber auch einzelne Gerichte á la Carte bestellen, meint unser Tischkellner. (Nicht der Oberkellner, der ist am Gäste begrüßen.) Die Portion Gnocchi für 63 Euro würde mich schon mal interessieren. Da sind die Kartoffeln sicher eigenhändig vom Chef koch im Rucksack aus Bolivien nach München getragen worden. Bei dem Stundenlohn kommt natürlich auch solch ein Preis zustande. Dem Tantris würde

ch ́s zutrauen. Die Bestellung ist abgegeben, jetzt kommt eine junge, hübsche Dame und bringt mir und der Freundin die Weinkarte. 80 Seiten Wein! Alle auf Vorrat hinter uns. Gut sichtbar für den Gast durch eine dunkel- graue Glasscheibe. Die Flaschen sind durch eine unterschwellige Beleuchtung gekonnt in Szene gesetzt. Schön. Dennoch hilft mir das bei der Weinauswahl recht wenig. Wir wollen uns eine Flasche aussuchen, weil wir uns gegen die Weinbegleitung entschieden haben. Vermutlich unglaublich interessant, zu jedem Gang den passenden Wein zu bekommen, aber bei einem Preis von 25 Euro pro Gang(!) für ein Glas(!) macht das für zwei Personen 8 mal 25 mal 2 Euro. Das ist es mir persönlich nicht wert.
Während ich unentschlossen in der Weinkarte blätter und feststellen muss, dass ich mich beim Wein ums Verrecken nicht auskenne, kommt auch schon der Sommelier. Ein junger Bursche, 10-Tage Bart in der Visage, zerzauste Haare, perfekt sitzender Anzug – lässiger Typ. Sein amerikanischer Akzent macht ihn noch lässiger. LÄÄÄÄSSSSIIIGGG! „Darf ik ih- non ainon Wain empfehlorn, der Herr?“, fragt er mit einem andächtigen Blick auf die Weinkarte. Ich sag ihm, dass er das gerne tun kann, weil ich mich leicht überfordert fühle und ich von Wein keine Ahnung habe. Er: „Da konnt ik euk den Froschkönig empfehlorn. Der is der Wahnsinn für die Damen. Sie können ja dann ein Pils trinken.“ Klare Worte, super Typ, der versucht uns hier keinen teuren Mist zu verkaufen. Die Flasche Wein ist eine der billigeren auf der Karte und kostet im Vergleich zu den nebenstehenen Weinen nur 65 Euro. Im Nachhinein muss ich sagen: Jeden Cent wert! Wirklich fantastisch, besonders für die Damen. Denen schmeckt er schon sehr gut, kann ich mal behaupten.
Allein der Vorgang des „Wein-Einschenkens“ sprengt diese Fink Ausgabe. Daher möchte ich schnellstmöglich zum Essen kommen und ein paar Worte zu jedem Gang verlieren: [Die Beschreibung der „Grüße aus der Küche“ wurden von der Redaktion gekürzt.] Beim Servieren des ersten Ganges wird mir zum ersten Mal bewusst, dass hier eine halbe Armee an Personal arbeitet. Wir haben unterschiedliche Kellner für Gedeck, Wasser, sonstige Getränke, Wein, Essen und Beratung. Zu diesen sechs Personen, die sich immer um zwei bis drei Tische kümmern, gibt es eine Küchenbelegschaft von ca. 10 Personen und um die 5 Oberkellner, die nur herumschwirren und Smalltalk zelebrieren. Der Wahnsinn. Jetzt aber zum Essen:

1. Gang: Pochierte Gänseleberterrine mit Karotten-Kürbisgemüse, Périgord Trüffel Marinade und rosa Entenbrust.
Die Gänseleber ist ja schon fast Standard. Mich langweilt sie eher. Da kann man mit weniger grausamer Tierhaltung bessere Produkte verwenden. Aber die Masse scheint die Foie Gras eben zu fordern. Kann man nix machen. Dennoch ist der erste Gang über jeden Zweifel erhaben. Alles fügt sich wunderbar zu einer Komposition. Eine zartere Entenbrust kann ich mir nicht vorstellen. Sie zerfällt quasi auf der Gabel.

2. Gang: Ausgelöster Hummer mit frischen Steinpilzen und Ravioli
Wenn man das Wort Geschmack beschreiben sollte, funktioniert dies wohl am besten mit diesem Gericht. Mund auf, Hummer und Ravioli rein – das ist vollendeter Geschmack. Kaum in Worte zu fassen.

3. Gang: Gebratener Seewolf mit geschmorten Tomaten, Selleriepürée und Gartentomaten-Chilifond.
Der Fisch mit festem, schnittfestem Fleisch. Die Zusammenstellung erinnert durch den Fond eher an eine Suppe mit Fischeinlage. Eines der schwächeren Gerichte, weil das Selleriepürée hier keinen Sinn macht und der Seewolf schon ordentlich Würze vertragen hätte. Aber trotzdem noch besser, als alles was ich jemals in meinem Leben bruzzeln werde!

4. Rehessenz mit Briochenockerl
Als Zwischengang lass ich mir das eingehen, ich bin ja schon eigentlich ziemlich satt. So ein Süppchen zwischendurch steigert dann auch wieder den Appetit und leitet wunderbar zum nächsten Gang über.

5. Gratinierte Lammkotelettes mit Bohnen und Auberginen-Couscous
Ich schäme mich immer mehr für das, was andere Leute „Essen“ nennen. Ich kann es nicht fassen – das ist das beste Gericht, das ich jemals gegessen habe! Keine Ahnung, wie dieser Herr Haas das macht, aber das ist unbeschreiblich. Versuchen wir es trotzdem: Die Lammkotelettes sind in einem Panademantel, schwer zu sagen, ob das der Couscous ist, ich seh zumindest sonst nirgendwo einen. Super knusprig und perfekt zum Lamm. Das Lamm ist butterweich, nein, das ist das falsche Wort. Ein Hauch von Lamm, das vom Knochen fällt, sobald man es auch nur berührt. Wie gesagt, schwer zu beschreiben, mein Vokabular reicht hier einfach nicht aus. Unbeschreiblich! Die Krone setzt dem Ganzen aber ein etwa münzgroßes Auberginen-Püree auf, das auf einem der beiden Koteletts glänzt. Auf Nachfrage bei unserem Oberkellner ist das eine Reduktion von 3 Auberginen, 3 Zucchinis, Tomatenmark und einigen Litern Brühe pro Portion(!). Aha, in diesem Klecks sind also 6 Portionen Gemüse versteckt. So macht Gemüseessen auch Kindern Spaß.

6. Gefüllte Zucchiniblüte mit Ziegentopfen und Estragon
Ich muss mich hier entschuldigen. Ich war vom Lamm immer noch so fasziniert, dass ich diesen Gang einfach während des Redens in mich hineingestopft habe. Hierzu habe ich keine Erinnerungen mehr.

7. Mandelsoufflé mit Holunderzwetschgen
Einfach in der Aufmachung, komplex im Geschmackserlebnis. Man denkt, man kennt das Gericht vom Landgasthof und wird dann eines besseren belehrt. Mischung aus Mousse, leichtem Kuchen, Muffin, Creme. Einfach wunderbar!

8. Leicht gelierte Bananen-Apfelsuppe mit Gewürzorangen-Sorbet
Da ist es ja endlich, das Süppchen. Nicht mehr ganz so modern, aber nett bodenständig. Braucht man nicht, kann man aber zum Abschluss gut essen.

Ich hoffe, ihr habt einen kleinen Eindruck des Tantris bekommen und wisst jetzt, was euch dort erwartet. Und tut mir einen Gefallen: Schaut euch den Tantris Film auf der Homepage an.

Bis dann, Timi

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2012.
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