Schwere Zeiten
Das Handwerk und sein goldener Boden

Das Handwerk, „die Wirtschaftsmacht von nebenan“, so wirbt die deutsche Handwerkskammer für ihren Berufsstand. Ein Slogan, der stark und sehr selbstbewusst klingt – und wohl auch nicht aus der Luft gegriffen ist. In Deutschland sind es über fünf Millionen Handwerker in den verschiedensten Dienstleistungen. In Freising allein arbeiten 10.700 Personen in 2969 Betrieben im Handwerk, davon sind 777 Auszubildende. Wenn das so ist, warum geben so viele Betriebe auf? Fehlt es doch an Nachwuchs und hat das Handwerk einen schlechten Ruf? Eine Suche nach Antworten.

Es ist ein sonniger Vormittag. Vögel zwitschern, blauer Himmel; ideales Wetter für Fassadenarbeiten. An einem Haus in der Freisinger Innenstadt steht ein großes Gerüst. Eine Malerfirma hat ihr Banner daran befestigt, die Handwerker sind betriebsam auf der Baustelle unterwegs. Maler, Fensterbauer, Putzer – alle sehr beschäftigt. Der Malermeister gibt die letzten Anweisungen an sein Team für den heutigen Tag. Das sieht erstmal weder nach Personalmangel noch nach Mangel an Aufträgen aus. „An den Aufträgen liegt es definitiv nicht“, sagt der Meister. Die Baubranche ist eine der wenigen, die von den Lockdowns nicht betroffen war. „Wir haben durchgearbeitet. Die Menschen haben angefangen ihre vier Wände verschönern zu lassen.“ Auf Monate sind solche Betriebe derzeit ausgebucht.

Das Problem sind eher die fehlenden Arbeitskräfte. Offene Stellen gibt es genug. Das weiß auch Kreishandwerksmeister Martin Reiter sehr genau, aber: „die Berufe im Handwerk müssen attraktiver werden.“ Oft würde schon an den weiterführenden Schulen, vor allem dort, wo auf das Abitur hingearbeitet wird, das Handwerk sehr stiefmütterlich behandelt. Handwerkstage wurden in diesen Schulen nur selten oder gar nicht angeboten. Das Klischee vom „dummen Handwerker“ sei sogar in manchen Elternköpfen noch drin, sagt Kerstin Stadler, Friseurmeisterin mit eigenem Betrieb und Reiters Stellvertreterin. Es werde der höchste Schulabschluss angestrebt, mit dem Ziel ein Studium zu absolvieren, aber „das kann und will ja auch nicht jeder.“ Da müsse besser vermittelt werden, dass Handwerk soviel mehr ist, „als dumm Stein auf Stein zu setzen oder stupide Haare zu schneiden.“ Das sei ja auch das schöne am Handwerksberuf, da sind sich alle einig: die Vielseitigkeit, etwas mit den Händen zu schaffen, körperlich zu arbeiten und kreativ zu sein.

Nachwuchs finden

Sehenswert dazu ist ein Video der deutschen Handwerkskammer. Auf unterhaltsame aber sehr eindringliche Weise wird deutlich, wie die Welt ohne Handwerk aussehen würde: Letztendlich würden wir alle nackt und wie Höhlenmenschen enden.

Die Kreishandwerkerschaft wird heuer im Herbst auch wieder auf der Berufsfit am Flughafen vertreten sein. Auf der Berufsorientierungsmesse für künftige Schulabgänger werden sie neben den beliebten Ständen der Feuerwehr und der Polizei für eine Ausbildung in einem der über 130 Berufe im Handwerk werben. Hier geht es vor allem darum, das Wissen über die Berufe im Handwerk zu erweitern. „Mit der Meisterprüfung hat man nämlich auch die Hochschulreife erlangt“, so Reiter, „das wissen die wenigsten.“ Darauf könne man aufbauen. Mittlerweile sind duale Studien möglich, bei denen man dann beispielsweise eine Zimmererlehre absolvieren und parallel Bauingenieurwesen studieren kann. Der Kontakt zu den jungen Menschen ist wichtig, auch, um junge Frauen für eine Ausbildung in den Handwerksberufen zu begeistern. Grundsätzlich sei nämlich „jeder Beruf für jeden geeignet“, findet der Kreishandwerksmeister.

Es gebe noch viele weitere gute Ideen, die gerade mit den Landesverbänden entwickelt werden, „die aber noch nicht spruchreif sind“, ergänzt Kerstin Stadler.

Veränderungen herbeiführen

Was aber auch deutlich wird in den Gesprächen mit denen, die es wissen müssen: Gerade wandelt sich etwas. „Das Handwerk gewinnt wieder an Ansehen“, findet Thomas Ottowa, Malermeister im gleichnamigen Betrieb in dritter Generation. Kerstin Stadler geht sogar noch weiter, sie sagt: „Es erschafft sich neu.“

Die Pandemie habe dazu beigetragen, dass nicht nur die Menschen sich und ihre eigenen vier Wände wieder zu schätzen gelernt haben und nun bereit sind, darin mit guter handwerklicher Arbeit zu investieren. „Ich dachte, ich habe einen krisensicheren Job“, erklärt die stellvertretende Kreishandwerksmeisterin. Sie habe sich „neu erfinden“ müssen, sich breiter aufstellen müssen. Und das erlebe sie gerade auch bei vielen anderen Kollegen, die neue innovative Ideen entwickeln.

Vielleicht werden auf diese Weise neben den „Modeberufen“, wie Reiter die stets beliebten KFZ-Mechaniker oder Schreiner nennt, auch die bisher meist „unattraktiven“ Berufe wie Metzger oder Bäcker, wieder beliebter.

Aber ist es nicht so, dass viele Betriebe schließen? Bestimmte Berufsbilder im Handwerk sucht man teilweise vergebens, einen richtigen Schuster zum Beispiel gibt es in Freising gar nicht mehr.

„In den nächsten Jahren werden noch einige dazu kommen, bei denen schon klar ist, dass sie keinen Nachfolger finden. Auch nicht in der eigenen Familie“, bestätigt Reiter. Und damit sei man dann wieder beim Nachwuchs. Was die aussterbenden Berufe betreffe, da liege es auch daran, dass manches eben mittlerweile maschinell gemacht werde und wir immer noch in einer Wegwerfgesellschaft leben. Das führe dann dazu, dass Schuster eben nicht mehr kostendeckend arbeiten könnten. Aber an dieser Stelle wird auch ein Umdenken beobachtet. Handwerklich ausgeführte Arbeiten haben einen hohen Wert, gut zu sehen im oben erwähnten Video der deutschen Handwerkskammer.

Auf der Baustelle wird langsam Feierabend gemacht. Der Malermeister klettert mit seinen Gesellen vom Gerüst, ihr Handwerks- Zeug laden sie zurück in die Autos. Sind sie zufrieden in ihrem Beruf? „Zu hundert Prozent!“, bekräftigen sie. Seine Berufswahl bereut niemand von ihnen. Martin Reiter rät jedem, früh durch Praktika in die Berufe hereinzuschnuppern, „sich schlau“ zu machen und Informationen, auch bei der Kreishandwerkerschaft, zu holen. „Die Möglichkeiten sind so groß!“ Informationen unter www.kreishandwerkerschaft- freising.de Video: www.youtube.com/watch?v= XrWowboyIsM

 

Von Anne Klein

Fotos: Kreishandwerkerschaft, GoloGrafie

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Juli/August 2022.
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