Geschäftsmann mit Leib, Seele, Kamm und Schere
Der Friseurmeister Jakob Sainer: Gartler, Seelentröster, Kummerkasten

45 Jahre lang war er nicht nur der Mann, der für die Frisur zuständig war. 45 Jahre war er auch Gesprächspartner, manchmal Kummerkasten, manchmal Seelentröster und manchmal sogar ein Freund: Jakob Sainer. 69 Jahre ist der Mann jetzt alt, der vor 45 Jahren in der Oberen Domberggasse seinen Friseursalon eröffnet hat. Jetzt ist er in den Ruhestand gegangen, jetzt kann sich der leidenschaftliche Gärtner um die Pferde und die Hirsche auf seinem kleinen Bauernhof in Vilsheim bei Landshut kümmern. Auch, weil er sein berufliches Lebenswerk in guten Händen weiß: Die Töchter Alexandra und Simone führen jetzt das Geschäft in dem Haus, das seit vielen Jahren als „Sainerhaus“ bekannt ist. Allein das sagt eigentlich schon alles.

Wie Jakob Sainer so dasitzt und sich im Salon umblickt, merkt man ihm seine Zufriedenheit an. Und dann klingelt es, als die Tür aufgeht, eine ältere Dame betritt den Salon und fällt Jakob Sainer sofort in die Arme, begrüßt ihn mit einem Strahlen im Gesicht: „Mei, is des schee, dass Sie da sind.“ Wie es ihr denn gehe, will Jakob Sainer wissen. „Ja mei, eine Gallen-OP hatte ich halt gerade.“ Eine bezeichnende Szene. Denn zum einen ist Jakob Sainer nicht mehr oft da – also da in seinem Geschäft: Alle zwei Wochen, so erzählt er, kommt er mal vorbei, erstens um Frühstück mitzubringen, und zweitens um sich selbst die Haare schneiden zu lassen, wie er schelmisch lächelnd anfügt.

Und zum anderen: „Wir leben von der Stammkundschaft“, blickt Sainer zurück, der das Haus an der Domberggasse aus dem 15. Jahrhundert erst gemietet, Anfang der 70er Jahre dann gekauft hat. Denn die Lage, die die Touristen, die vom Domberg herab kommen, als so idyllisch empfinden, ist keine, die Laufkundschaft anzieht. Sainer hat das stets als Vorteil gesehen: „Wenn ein Kunde kommt, dann weiß man, dass er absichtlich hier ist und dass wir empfohlen wurden.“ Und für die Kunden war das seit jeher auch ein Vorteil: Denn Service, Freundlichkeit und Qualität war Sainer immer besonders wichtig, um sich die Stammkundschaft aufzubauen und zu erhalten.

Mit Stammkunden, von denen einige zu Freunden geworden sind, seien dann eben auch Gespräche möglich, die sich nicht nur ums Wetter drehen. Oft sei es „ums Garteln“ gegangen, erinnert sich Sainer, aber auch persönliche Schicksalsschläge und Liebeskummer seien Themen gewesen. Auch wenn er ab und zu vorbeikommt – „ja, Freising fehlt mir schon“, gibt Sainer zu. Immerhin war er hier auch sehr bekannt, war 17 Jahre lang auch Innungsprüfungsvorsitzender, hat auch rund 60 Lehrlinge selbst ausgebildet. Landshut, so sagt Sainer, sei zwar ein guter Ersatz, aber 45 Jahre Geschäftsinhaber in Freising, das prägt eben. Bereuen, so sagt Sainer, tue er nichts, gar nichts. „Ich bin mit dem Ganzen überglücklich.“ Denn auch das Klima unter den Inzwischen 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in beiden Geschäften – seit vier Jahren gibt es die Filiale „Tim und Sainer“ an der Fischergasse – sei gut. Nicht zuletzt deshalb, weil bereits seit einem Vierteljahrhundert Sainer Betriebsausflüge, gerne zum Dolce Vita an den Gardasee, eingeführt hat.

Wichtig in diesem Beruf: Verschwiegenheit. Deshalb lässt sich Sainer auch manche Dinge und Vorkommnisse nicht entlocken. Zu erzählen hat er trotzdem viel. Zum Beispiel, dass er bei Josef Eiter gelernt habe, der ihm in Sachen Geschäftsleben bis heute ein Vorbild gewesen sei. Eiter, und das war in den 60er Jahren so gar nicht üblich, hatte ihn sogar öfter mal am Samstagnachmittag nach Hause geschickt, damit der junge Jakob Fußball schauen konnte.

Wie sehr Sainer Freising am Herzen liegt, zeigt eine andere Geschichte: Vom letzten Bader im Landkreis Freising habe er dessen Inventar aufgekauft. Jetzt ist das Mobiliar und Werkzeug von anno dazumal als Leihgabe Sainers im Gefängnismuseum zu bewundern. „Ich wollte, dass die Friseurlehrlinge wissen, wie es früher war.“ Früher, als der Bader noch Wunden versorgt hat, Zähne riss und auch als Leichenbeschauer unterwegs war. Das freilich ist schon lange her. Doch auch Sainer trauert der sogenannten guten alten Zeit nicht nach. Er freut sich über den Ruhestand. Freilich: Hätte er sich nicht vor eineinhalb Jahren alle Bänder in der rechten Schulter gerissen, so dass es ihm ab da schwer fiel, den Arm zu heben, „tät‘ ich heut‘ noch herinstehen“, sagt der Friseurmeister i. R. – und lacht wieder. Denn so wie es jetzt ist, sei es gut. Wie hat er es in seinem „Abschiedsbrief“ an die Kunden formuliert: Jetzt habe er Zeit und Muße, „am Wochenende rauszufahren und so lange zu bleiben, wie es mit gefällt. Sei es nur dafür, um am Gardasee bei einem Glas Rotwein der Sonne beim Untergehen zuzusehen.“

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom April 2019.
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