Wer im oberbayerischen Hügelland nördlich von München auf abgelegenen Nebenstraßen unterwegs ist, erwartet wohl kaum, dabei eine Sternwarte inmitten von Kuhweiden zu entdecken. Zu stark ist die Lichtverschmutzung in diesem dichtbesiedelten Gebiet, um einen ungetrübten Blick ins All genießen zu können. Doch genau hier fand Hans Eggendinger auf einer Anhöhe bei Freising den weit und breit idealsten Standort für ein Observatorium. Und sein Mut sollte ihm Recht geben. Die Sternwarte bei Pellhausen ist seit über 40 Jahren bei Hobby wie Profi-Astronomen ein feststehender Begriff. So beobachtete er beispielsweise im Jahr 1994 durch seine Kuppel mit akribischer Geduld den Jupiter, der zehn Stunden benötigt, um sich um die eigene Achse zu drehen. Dabei entdeckte er auf dem Gasriesen graue Schatten, die vom Einschlag der Kometenkette Shoemaker-Levy stammten, deren Trümmer derzeit gerade auf den Planten stürzten. Der vielseitig versierte gebürtige Freisinger übertrug sogleich seine Beobachtungen in Pläne und Karten, um selbige an das Jupiter Beobachtungsinstitut in Cambridge zu schicken, wo seine Entdeckung helle Begeisterung auslöste. Eggendinger spricht im Nachhinein „Vom dicksten Hund seines Lebens“ und einer „absoluten Sensation“.
Dass er einst einen derartigen Coup landen würde, vermutete der gelernte Konditor nicht in seinen kühnsten Träumen. Zwar wollte er schon immer gern hinaus, über den Tellerrand schauen, doch blieb er dabei stets bodenständig und heimatverbunden. Um in andere Welten und Backkünste einzutauchen, ging er für seinen Meisterkurs in die Schweiz, kam danach aber wieder zurück in die Domstadt, um an der Unteren Hauptstraße das weithin bekannte Café Eggendinger zu eröffnen. Die Arbeit dort aber war extrem kräftezehrend, täglich stand er von 2 Uhr morgens bis weit in den Vormittag hinein in der Backstube, hatte kaum Zeit für etwas anderes. So entschloss er sich 1977 das Café aufzugeben und sich eine Anstellung mit geregelter Arbeitszeit zu suchen und so auch die Möglichkeit zu haben, nachts in die Sterne gucken zu können, einer Leidenschaft, die ihn schon in seiner Kindheit fesselte. Der Blick in das nächtliche Firmament half ihm immer wieder, verschiedenste Lebenskrisen zu meistern.
Nach diversen Jobs in einem Getränkemarkt und als Zeitungsausfahrer fand er schließlich eine Stelle bei IKEA, die ihn nicht zuletzt deshalb erfüllte, weil er dort Menschen aus anderen Kulturen traf, die seinen Horizont erheblich erweiterten. Die Offenheit und die Toleranz dafür, sagt er, entstammen seiner Leidenschaft zu den Sternen. „Wenn man da oben hinausschaut, dann merkt man, wie winzig wir selber auf unserer Erde sind. Auf diesem Sandkorn verschwinden alle Grenzen und man lernt die kostbarste Form der Materie zu schätzen: das Leben.“ Der Blick ins Universum ist für ihn der Inbegriff der Schöpfung und er ist sich sicher, dass irgendwo da draußen im Weltall ein Ur-Geist haust, der für die Entwicklung des Alls und der Gestirne zuständig ist. Den kann er seit 1978, seit der Fertigstellung seiner eigenen Sternwarte, nun Nacht für Nacht suchen. Sobald der Himmel einigermaßen klar ist, tauscht er nämlich gerne sein kuscheliges Bett in Lerchenfeld mit der weniger komfortablen, dafür spannenderen Kuppel. Die hat er über bald zehn Jahre in Eigenregie mit handwerklich begabten Freunden errichtet. Ausgeheckt hat er den Plan mit seinen Freunden Hubert Schwarzer und Thomas Riedmair, einem Maurer, der ihm den Grund und seine Tatkraft zur Verfügung stellte. Unter der 3 Meter durchmessenden Kuppel mit einer 15 cm großen Öffnung befindet sich ein 2,5 m langes Schwenkrohr, doch bevor er da hindurchschaut, legt er sich erstmal klassische Musik auf.
So gerne er dort allein der Erdenschwere entschwebt, eröffnet der kommunikationsfreudige Optimist auch verschiedensten Interessierten einen detaillierten Blick ins All. Neben Laien treffen sich dort Hobbyastronomen und sogar Musiker, wie etwa eine buntgemischte Combo ausländischer Musiker, die im Schatten der Kuppel ein ausgelassenes Konzert anstimmte, ein Beweis mehr für seine Offenheit allem und jedem gegenüber. Immer wieder ist es ihm ein Vergnügen, seine Kenntnisse weiter zu geben, und das nicht nur in Pellhausen. Seit über 50 Jahren engagiert sich der längst anerkannte Astronom zudem in der Volkssternwarte München, bietet dort Führungen an und wirkt im Führungsteam mit. Kein Wunder, dass er irgendwann auch begann, andere Observatorien zu besuchen, um sich mit weiteren Sternenguckern auszutauschen. So besuchte er seit Anfang der 1980er Jahre 13 Mal die professionelle Sternwarte am Pic du Midi in den französischen Pyrenäen, einem der besten Plätze für Sternenbeobachtungen in Europa auf 2877 m ü. NN, fernab jeglicher Lichtverschmutzung. Dort gibt es ein paar kleinere Observatorien, die Amateuren zu Verfügung stehen. Aufgrund seiner häufigen Aufenthalte gehörte er dort bald zur Mannschaft, so wie er vor Ort war. Die Lage hat auch den Vorteil, dass das Terrain per Bahn erreichbar ist, Eggendinger lehnt die Verkehrsfliegerei nämlich aus Umweltgründen ab. Deshalb flog er auch nur einmal nach Teneriffa, um aus den Teleskopen vom Teide ins All zu blicken. In Namibia musste das mitgebrachte Fernrohr genügen, dafür ist der Sternenhimmel dort wegen der extrem trockenen Luft wahrlich gigantisch, dies faszinierte ihn dermaßen, dass er den langen Flug vier Mal in Kauf nahm.
In den letzten Jahren aber ist er vor allem der Sonne, seinem Lieblingsplanten, hinterher. Die nämlich ist alles andere als beständig und ändert ihre Aktivität, und damit ihr Erscheinungsbild, in zyklischen Abständen. Während der elfjährigen Aktivitätsperioden tauchen beispielsweise Sonnenflecken auf, die nicht nur das Aussehen des Feuerballs verändern, sondern auch unser Klima beeinflussen. Wie abhängig wir von der Strahlkraft der Sonne sind, haben wir 1999 anlässlich der totalen Sonnenfinsternis und der partiellen Verdeckung 2015 erlebt, es wurde dunkel und still. Dass damals in Pellhausen schwer was los war, erklärt sich von selbst. Nicht nur seine Freunde vom Astrotreff Münchner Norden pilgerten auf die begnadete Anhöhe, auch unzählige Laien versammelten sich auf den Wegen entlang der Weiden, auf denen sich die Kühe Schlafen legten. Dass Eggendinger nicht nur gefesselt gen Himmel blickte, sondern das Spektakel mit seiner Kamera dokumentierte, erklärt sich von selbst. Mit solchen und Unmengen von weiteren Aufnahmen avancierte er zu einem der versiertesten Sonnenfotografen der Volkssternwarte München. Fernab jeglicher Forschung setzte sich der Genießer aber auch immer wieder gern einfach neben seine Kuppel und schaute der Sonne beim Untergehen zu.
Früher hob er nicht nur mit Hilfe aller möglichen Teleskope ab, sondern physisch an Bord eines Segelfliegers. Inspiriert von seinem Vater begann er Mitte der 1960er Jahre mit diesem sportlichen Abenteuer, dessen Freiheitsgefühl er schnell sehr zu schätzen wusste. Er wurde Mitglied des Luftsportvereins Freising, der am Flugplatz Lange Haken im Freisinger Moos beheimatet war, machte seinen Flugschein und flog schließlich selbst, wiederum nicht nur allein, sondern bis zu viersitzige Maschinen. Besonders begeisterte ihn dabei die lautlose und nachhaltige (weil nicht motorisierte) Art des Schwebens und das Erlebnis, den Kräften der Natur ausgesetzt zu sein. Dafür allerdings bedarf es einer gewissen Fitness, und eben deshalb gab er die Segelfliegerei aus Altersgründen auf.
Was er jedoch bis zuletzt nicht aufgab, war sein kritischer Geist, der auf einem scharfen Denkvermögen und einer umfassenden Informationsmittellage basierte. Mit fundiertem Wissen sprach er stets unverblümt aus, was er dachte, hielt Politikern und deren unmenschlichen Machtdemonstrationen den Spiegel vor. Gerne hätte er so manchen in seiner Sternwarte begrüßt, um ihm zu zeigen, wie verschwindend kleine und unwichtige Kreaturen wir im Getriebe des Kosmos sind. Entsprechend leidenschaftlich philosophierte er über das Leben und die Welt. All das ist nun bedauerlicherweise nicht mehr möglich, Hans Eggendinger, der so vieles in seinem Leben meisterte, hat den Kampf gegen mehrere Krankheiten vor einigen Wochen leider verloren. Seine Kuppel aber und sein geistiges Erbe bleiben weiter bestehen. Sein Freund Hans Schredl, der Eggendinger seit über 50 Jahren aus der Astronomen-Szene kennt, wird die Sternwarte in Pellhausen ganz in seinem Sinne weiter betreiben. (Text: Elisabeth Hoffmann, Foto: Franz Aichinger)
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Januar 2022.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.