Der Kümmerer
Ludwig „Zottl“ Dinzinger pendelt zwischen Freising, dem Flughafen und seiner Streuobstwiese

Was haben ein Wirt, ein FMG-Mitarbeiter, ein Abfallsammler und ein Streuobstwieseneigentümer gemeinsam?

Sie kümmern sich jeder auf seine Art um das Leben, das des Menschen und der Natur. Ludwig „Zottl“ Dinzinger bewältigt dieses Pensum in Personalunion und macht dabei keinerlei gestressten Eindruck. Herausforderungen sind für ihn kein Problem oder gar eine Belastung, vielmehr nimmt er die Situationen, wie sie nun mal sind und packt mit Herz und Verstand ohne zu Zögern einfach an.

So kann es mit den Gästen im Furtner, den er seit zehn Jahren gemeinsam mit Franziska Kreuter schmeißt, schon mal „nervig“ werden, am Ende überwiegt dann aber doch die Lust an der Gastronomie, zu der er kam wie die Jungfrau zum Kind. Bis dato hatte er nämlich nie was mit Wirtshauskultur zu tun, es sei denn als Gast. Als Franzi damals gezielt ihn als potenziellen Kompagnon auserkor, hat er sich ursprünglich nur deshalb darauf eingelassen, weil das Projekt auf ein Jahr Laufzeit terminiert war. Mittlerweile haben die Beiden in der ehemaligen Brauerei-Gaststätte etwas aufgebaut, das beide toll finden und damit einen Treffpunkt geschaffen, der in Freising seines gleichen suchen kann, und das obwohl sie von vornherein kein fixes Konzept hatten, sondern erstmal ganz spontan nach bestem Wissen und Gewissen losgelegt haben. Ganz offensichtlich haben sie das richtige Gespür für den Betrieb, gepaart mit Elan und Spaß an der Freud. Was das Duo da aus dem Nichts heraus auf die Beine gestellt hat, ist wahrlich beeindruckend, und so ist es auch kein Wunder, dass der „Zottl“ wie ihn alle nennen, sich inzwischen voll und ganz mit der Kultkneipe identifiziert. Dort ist er aber eher weniger in der Gaststube anzutreffen, sondern mehr im Hintergrund aktiv. So kümmert er sich als „Vize-Wirt“ um das Büro und das Lager, und erst wenn Not am Mann ist, stellt er sich hinter die Theke. Der Spitzname stammt übrigens aus seinen Jugendjahren, als noch ein wilder Lockenkopf sein Haupt bedeckte, heute trägt er kurzgeschnittenes Haar.

Damit fällt er sicherlich auch bei seiner Tätigkeit am Flughafen nicht aus der Reihe. Als Teilzeitbeschäftigter der Flughafen München Gesellschaft ist er im Bereich Groundhandling für das Verladen der Gepäckstücke und die zugehörige Bandkontrolle zuständig. Wenn’s hart auf hart kommt, sagt er, kann es schon mal vorkommen, dass ein Mitarbeiter acht bis zehn Tonnen Gepäck pro Tag verlädt. Und dies nicht nur in der Ebene, sondern auch in Form von Würfen bis auf zwei Meter Höhe. Das sei nur eine Frage der Technik, erklärt er, und grinst dabei. Im Übrigen ist auch das so eine Tätigkeit, in die er eher zufällig hinein gerutscht ist. Angefangen hat er bei der FMG schon 1996, während seines Studiums, heute sichert ihm der Job sein Grundeinkommen.

Dieses wollte er sich ursprünglich als Agrarwissenschaftler verdienen, was nicht von Ungefähr kommt. Schließlich wuchs er auf einem Bauernhof in Niederbayern auf und entwickelte deshalb ein gesteigertes Interesse an der Ökologie und besonders am ökologischen Landbau. Was also war nahe liegender als ein Studium an der TU München in Weihenstephan, wo er zudem auch noch Franziska Kreuter kennenlernen sollte. Er spezialisierte sich auf die Fachrichtung Landbewirtschaftung und Umwelt und schloss sein Studium als Diplom-Agrar-Ingenieur ab. Anschließend absolvierte er noch ein spezifisches Fernstudium für Umweltingenieurwesen und Gewässerschutz an der TU Braunschweig. Mit dieser umfassenden Ausbildung fand er rasch eine Anstellung an der Limnologischen Station in Iffeldorf, wo er als Spezialist für Gewässerkunde beim Umbau eines Forschungsgebäudes assistierte. Danach kehrte er nach Freising zurück um sieben Jahre lang sein Wissen als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Landbaus an der TU e inzubringen. Während dieser Zeit hat er unter anderem ein Forschungsprojekt zur ökologischen Freiland-Legehennen- Haltung in Viehhausen betreut, quasi Betriebswirtschaftslehre im wahrsten Sinn des Wortes praktiziert. So spannend das alles klingt, so deutlich kristallisierte sich im Lauf der Zeit aber auch heraus, dass er wohl auf Dauer mehr Zeit am Schreibtisch verbringen würde, als draußen vor Ort zu sein, was ihm aber das wesentlich Wichtigere ist. Also zog er die Reißleine, besann sich auf sich und seine Qualitäten und richtete sich ein facettenreiches, selbstbestimmtes Leben ein.

Dazu zählt etwa sein Faible fürs Kanufahren, was sich überraschenderweise zu einer echten Aufgabe entwickelt hat. Denn wer in Marzling sein Kanu in der Moosach zu Wasser bringt, der muss allerhand Müll, der darin schwimmt, umschiffen, oder selbigen sammeln. Und  genau darin hat Dinzinger vor elf Jahren eine echte Aufgabe entdeckt, sich ein paar Kumpels an Bord geholt, um mit denen gezielt auf Abfallsammeltour zu fahren. Meistens sind sie nicht so weit gekommen, wie sie gerne gerudert wären, weil das Kanu schon vorher übervoll war. Und er macht das tatsächlich nur, weil er dem Fluss helfen will, nicht etwa weil er damit bekannt werden will oder gar den Zeigefinger heben möchte. Vielmehr würde er sich freuen, wenn er Nachahmer findet oder sich doch ein paar Unachtsame von ihm anregen lassen, ihr Verhalten zu überdenken. Und wenn einer zufällig dann am Furtner vorbeikommt, sobald dort gerade mal wieder die „Ernte“ der letzten Tour präsentiert wird, kommt er vielleicht doch ins Nachdenken.

Das ist nicht nur gelebter Umweltschutz, sondern gewissermaßen eine Verneigung vor der Schöpfung. Dazu zählt auch sein „liebstes Hobby“, genauer seine Streuobstwiese in Niederbayern. Seit bald 20 Jahren hegt und pflegt er das knapp 5000 qm große Grundstück, das sich zusehends zum paradiesischen Mikrokosmos mausert. Dort gedeihen um die 30 Bäume, Apfel, Birne, Sauerkirsche, Zwetschge und Walnuss sowie einige Hecken, wobei ihn weniger die Früchte, respektive die Ernte, interessieren, sondern vielmehr die Schaffung eines Lebensraumes für allerlei Tierarten. Solch ein intaktes Ökosystem zu situieren ist gerade in einer Gegend, in der sich nur Felder befinden, die kaum mehr Unterschlupf für Tiere bieten, von essenzieller Bedeutung. Mittlerweile nisten und brüten dort so seltene Vogelarten wie die Goldammer und der Neuntöter, der es vermag, Insekten und Mäuse aufzuspießen. Und den zugewanderten Eidechsen hat Dinzinger eigens Burgen als Schutz vor der kalten Jahreszeit und zum Eierlegen gebaut. Obwohl er mit diesem Engagement ein Vorzeige-Projekt hinsichtlich einer Förderung der Artenvielfalt generiert hat, gewähren ihm weder das Landratsamt noch anderweitige Behörden jedwede Unterstützung. Das ist schade, kann ihn aber von Festhalten an seinem „Lebenstraum“ nicht abbringen.

Wenn sich einer so leidenschaftlich um Zusammenleben in jeglicher Form stark macht, dann darf er zwischendurch gern auch mal einfach nur an sich und sein Wohlergehen denken. Im Fall von Dinzinger spielt da sein Kanu eine Schlüsselrolle, nämlich dann, wenn er mal wieder bei Nacht die Moosach hinunterpaddelt, was immer wieder ein neues Erlebnis ist, weil ungeahntes Treibgut, wie etwa herabgefallene Äste oder umgeknickte Bäume, den Weg versperren kann. Aber wenn alles gut geht, schafft er es in einer Nacht sogar bis nach Moosburg. Das birgt einen Hauch von Freiheit und Abenteuerlust, und eben die treiben ihn auch, wenn er auf Reisen geht. Anstatt in irgendeiner hippen Hotelanlage abzuhängen, macht er sich als Entdecker unbekannter Landschaften und spezifischer Naturphänomene auf den Weg, taucht in das Leben fremder Menschen ein und studiert die Geschichte der Orte, an denen er gerade unterwegs ist. Es ist eben immer wieder das Leben in all seinen Varianten, das Dinzinger fesselt und fasziniert.  

von Elisabeth Hoffmann 

Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Oktober 2022.
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