Vorbei an der Bar betreten wir nun den Gastraum, hier macht sich etwas Ernüchterung breit, die Einrichtung des Restaurants wirkt eher schlicht. Neben einigen gemalten Bildern aus Afghanistan hängen Fotos an den Wänden, die das Volk der Kucci zeigen, den Namensgebern des Restaurants, wie wir später erfahren. Als Sitzmöglichkeit bietet das Kucci schlichte Holzstühle und an den Wänden entlang Bänke, dick gepolstert mit Kissen, verziert mit traditionellen Ornamenten. Außerdem fällt unser Blick auf schöne Lampen und Laternen aus Messing und Eisen, die durch buntes Glas mit Ornamenten eine angenehme Lichtstimmung machen. Die Wände sind verkleidet mit einer warmen, aber sehr schlichten Holzwand. Der geflieste Boden erinnert uns aber mehr an eine Halle oder einen Versammlungsraum als an ein gemütliches Restaurant. Wir vermissen das typische Flair Südasiens (und damit Afghanistans), bestehend aus kunstvoll verzierten Tüchern und Stoffen die durch ihre Anmutung an Zelte der Nomadenstämme und Baldachine erinnern, gemütliche Sitz- und Liegebereiche mit orientalischen Mustern, Teppichen und Kissen und kunstvoll verzierte dunkle Holzmöbel. Ebenso vermissen wir die Kleinigkeiten und Details bei der Tischdekoration und an den Wänden.
Nachdem wir uns einen ersten Eindruck gemacht haben, studieren wir aufmerksam die Speisekarte. Wir freuen uns, dass die Speisekarte nicht zu überladen ist mit Dutzenden von Gerichten, aber trotzdemeine gute Auswahl bietet. Da wir wenig bis kaum mit der afghanischen Küche vertraut sind, müssen wir uns nicht durch Seiten von exotischen Gerichten wühlen, deren Namen wir nicht richtig aussprechen können. Auf der Karte stehen Suppen, Vorspeisen, Geflügelspezialitäten und Lammgerichte gekocht oder vom Lavasteingrill, außerdem noch vegetarische Gerichte, Beilagen, Desserts und afghanische Getränke. Neben den normalen Gerichten finden sich verschiedene günstige Mittagsangebote auf der Karte.Rind und Schwein sucht man auf der Karte vergeblich, da Schweinefleisch im Islam verboten ist. Warum es kein Rind gibt, wissen wir aber nicht. Die traditionellen Zutaten sind Huhn, Lamm, Auberginen, Kartoffeln und Spinat. Dazu Basmatireis, gebraten, mit Safran, Kardamom, Pistazien und bitteren Orangen verfeinert. Fast alle Gerichte auf der Karte variieren diese Grundzutaten.
Gerade bei der Einzigartigkeit der verwendeten Zutaten und Gewürze wie Koriander, Nelken, Kardamom, Safran, Chili, Mandeln und Rosinen fällt uns eine Entscheidung nicht leicht, da jedes Gericht vielversprechend erscheint. Da wir uns nicht entscheiden können, fragen wir die Bedienung, ob wir eine Platte mit einer Zusammenstellung typischer afghanischer Gerichte bestellen können, die uns einen geschmacklichen Eindruck der Vielfalt gibt. Die Bedienung überlegt kurz und bietet uns eine gemischte Platte für zwei Personen an und gibt unsere Bestellung an die Küche weiter – wir sind zufrieden und freuen uns, dass man hier noch auf die Wünsche der Gäste eingeht.
Während wir gespannt auf unser Essen warten, begrüßt uns Besitzer Asef Josefi. Er ist gebürtiger Afghane und auch dort aufgewachsen, kam 1982 mit seiner ganzen Familie nach München. Seither hatte er schon ein afghanisches Restaurant in Hamburg, hat 20 Jahre in Amerika gelebt und als Übersetzer für amerikanische Soldaten in Afghanistan gearbeitet, bevor er nun das Kucci in Freising eröffnete – eine interessante und bemerkenswerte Geschichte. Wir packen diese Gelegenheit gleich am Schopf und fragen ihn, was eigentlich der Restaurantname „Kucci“ bedeutet. Freundlich erklärt er uns, dass die Kucci ein Volk von Kamelnomaden sind, die im Nordosten und Süden Afghanistans Weidegründe für die Wüstenschiffe, Schafe und Ziegen suchen.
Kucci sind von Haus aus Afghanen, die mit ihren Tieren jedes Jahr dem Winter am Hindukusch in das benachbarte Pakistan und bis in die chinesische Region Xinjiang entfliehen. Jeweils zu Beginn des Frühjahrs beladen sie ihre Kamele wieder mit Zelten aus Jute, mit Brennholz, Seilen und Kochgeschirr, um wie in biblischen Zeiten in das Herzland Asiens – Afghanistan – zurückzukehren. Ob der zuvorkommende Wirt Asef Josefi seinen Gastraum für eine Art Zuflucht für Freisinger Gastro-Nomaden hält, die keine Lust mehr auf das Gastro-Einerlei haben? Oder bezieht er sich mit dem Namen auf die Gerichte und Gewürze in der Speisekarte? Wir jedenfalls fühlen uns gleich wohl in seiner Herde und haben wegen des interessanten Gesprächs gar nicht gemerkt, dass in der Zwischenzeit schon das Essen in Form verschiedener Teller und Platten auf dem Tisch steht. Sogleich ziehen uns die Antipasti – nein „Pekaure Badenjan“ in Bann: Aubergine in Gewürzteig gebacken und Chapati, ein aus Weizenmehl hergestelltes Brot mit Gewürzen und Kräutern, dazu gibt es eine frische Kräuterquarksoße mit Koriander. Wir sind begeistert, wie raffiniert hier mit verschiedensten Gewürzen jongliert wird!Nach der ausgezeichneten Vorspeise sind wir gespannt auf das Hauptgericht.
In der Zwischenzeit klärt uns Asef Josefi noch kurz über die Besonderheiten der afghanischen Küche auf. Sie ist stark von der indischen, pakistanischen, mongolischen und türkischen Küche beeinflusst, da das Land einst eine wichtige Durchgangsregion zwischen Europa und Asien war. Zutaten wie Kardamom, Koriander, Chili, Rosinen, Minze, Mandeln oder Safran werden hier so vermischt, dass ganz neue einzigartige Geschmacksvariationen entstehen. Mal fruchtig süß, mal sauer, mal scharf, mal salzig – würzig, exotisch, vielfältig, ungewöhnlich und köstlich eben. Und schon steht die Hauptspeise auf dem Tisch: Auf den Tellern liegt zartes Hähnchenfleisch mit gebackenem Safranreis, Mandeln, Pistazien und Bitterorangenschale. Eine ausgezeichnete süß-pikante Mischung breitet sich in unserem Mund aus. Während wir unsere kulinarische Geschmacksreise mit „Quabeli Palau” – Lammfleisch mit braun gebackenem Basmatireis, Mandeln, Pistazien, Karottenstreifen und Rosinen fortsetzen, erkundigt sich immer wieder Gastwirt Asef Josefi und sein Personal nach unserem Wohlbefinden und unserer Zufriedenheit. Wir sind beeindruckt von der Aufmerksamkeit und der Gastfreundschaft, die uns hier entgegen gebracht wird.Außerdem probieren wir noch „Sabsi Tschalau-e-bagari”: Spinat, der mit Lauch und Gewürzen zubereitet wird, Kartoffeln in pikanter Soße mit Koriander und Ingwer mit dem Namen „Katschalu Tschalau-e-bagari” und Auberginen mit einer pikanten Soße. Als Beilage erwartet uns eine Zusammenstellung aus verschiedenen gebackenen Basmati-Reisspezialitäten, mal mit weißem Reis, mal mit Spinat und würzig braun gebacken. Getrunken wird dazu traditionell eine Art Ayran mit Gewürzen, frischem Zitronensaft und Gurke, es nennt sich „Dogh” oder verschiedene Tees, schwarz oder grün mit Kardamom, Minze oder Ingwer. Sie erinnern ein bisschen an Chai Tees. Die Getränke passen ausgezeichnet zu den Speisen und runden das rundum gelungene Essen ausgezeichnet ab.
Schließlich fehlt nur noch die Nachspeise: Ein afghanischer Vanille-Pudding mit Pistazien und ein wenig Pfeffer. Wir sind begeistert, satt und glücklich. Das „Kucci“ ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Wer gerne was Neues ausprobiert, dem sei die afghanische Küche und dieses Lokal im Besonderen ans Herz gelegt! Es ist mehr als nur ein weiteres Restaurant in Freising, das „Kucci“ ist eine exotisch- kulinarisch-köstliche Bereicherung. Hier kommt man als Gast und geht als Freund!
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom Mai 2015.
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