Rückblick
Die Gedanken, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung arbeiten wollen und dies erfolgreich tun können, dass sie hierfür selbstverständlich Unterstützung bekommen müssen, sind inzwischen in vieler Leute Köpfe verankert. Vor 40 Jahren waren es einige wenige engagierte Pioniere, die die Freisinger Werkstatt für Menschen mit Behinderung ins Leben riefen. Allen voran: Herrmann Altmann, Gründer der Lebenshilfe Freising e.V., Sonderschullehrer und ehemaliger Rektor der St. Georg Schule. Auf seine Initiative hin ging 1971 die erste Freisinger Werkstatt im ehemaligen Neustifter Polizeihaus in Betrieb. Fünf Menschen mit Behinderung fertigten dort fortan Metallteile an – unter anderem für die Firma Driescher. Die WfbM ist noch heute für das Moosburger Elektrotechnikunternehmen tätig. Doch mit dem Angebot stieg auch die Nachfrage nach Arbeitsplätzen. Die Räumlichkeiten in Neustift wurden schnell zu klein. Man zog um – zunächst in das alte medizinische Krankenhaus in der Kölblstraße (heute Musikschule) und 1974 schließlich in die neu erbaute Werkstatt in der Gartenstraße. Dort begann für insgesamt 30 Menschen mit Behinderung das Arbeitsleben.
Der Bedarf an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung entwickelte sich weiter rasant: 1976 zählte die Werkstatt bereits 86 Mitarbeiter mit Behinderung. Johann Bachmeier, von 1976 bis 2010 Gruppenleiter der Abteilung „Kunststoff“, erinnert sich noch gut an die Anfangsjahre: „Damals wie heute sind Gruppenleiter „Allrounder“. Sie bereiten die Arbeitsplätze vor, betreuen die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit und arbeiten auch selbst in der Produktion mit. Gemeinsam mit dem Sozialdienst entwickeln sie Förderpläne für jeden einzelnen Mitarbeiter und setzen diese um. In den 70er-Jahren holten die Gruppenleiter die Mitarbeiter in der Früh aber auch noch selbst mit dem Bus von zu Hause ab. Die Mitarbeiter wohnten alle sehr verstreut. Teilweise auf Bauernhöfen irgendwo hinter Moosinning.“ Die langen Arbeitswege wurden nicht nur für die Betreuer, sondern auch für die Mitarbeiter selbst mehr und mehr zur Belastung. 1977 wurde deshalb im alten Schulhaus von Kirchasch im Landkreis Erding eine provisorische Werkstatt eingerichtet. 1980 konnte die neu gebaute Erdinger Werkstatt in Betrieb genommen werden. Fahrdienste wurden eingerichtet.
Ende der 80er-Jahre wuchs der Wunsch, die Beschäftigungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter auf weitere Branchen auszuweiten: Ein landwirtschaftliches Anwesen wurde in Burgharting bei Erding gekauft und in eine Gärtnerei umgewandelt. Anfang der 90er-Jahre stand dann fest, dass die Werkstatt mehr geeignete Plätze für Menschen mit Schwerst- und Mehrfachbehinderungen benötigen würde: 1994 ging die Förderstätte in Kleinbachern, 1995 die Förderstätte in Erding in Betrieb. Aus der Initiative eines Sonderschullehrers, dem Engagement der Lebenshilfe Freising e.V. war im Laufe der Jahre ein mittelständisches Unternehmen mit mehreren Standorten erwachsen. Die Zeit für einige wichtige Veränderung organisatorischer Art war gekommen: Am 1. Januar 1992 wurden die Werkstätten in die Rechtsform der gemeinnützigen GmbH umgewandelt – mit der Lebenshilfe Erding e.V. und der Lebenshilfe Freising e.V. als gleichberechtigte Gesellschafter.
Innerhalb der Werkstätten wurde das Mitspracherecht von Mitarbeitern mit Behinderung und Eltern gestärkt. Seit Mitte der 1980er-Jahre vertritt ein Werkstattrat die Interessen der Mitarbeiter gegenüber der Werkstattleitung. Diese, bis dahin freiwillige Mitwirkungsmöglichkeit wurde 2001 mit der „Werkstätten-Mitwirkungsverordnung“ verbindlich festgelegt. Aktuell besteht der Werkstattrat aus fünf gewählten Mitarbeitern mit Behinderung und einer Vertrauensperson. Die Elternbeiräte sind seit 1989 als wichtiges Bindeglied zwischen Eltern, Angehörigen, Betreuern und der Werkstatt nicht mehr wegzudenken.
Gesellschaftliche Veränderungen
Die WfbM Freising – eine Erfolgsgeschichte? „Entscheidend für die positiven Entwicklungen innerhalb der Werkstätte waren neben dem persönlichen Einsatz der Beteiligten auch gesellschaftliche Veränderungen“, erläutert Elisabeth Mayer, die sich viele Jahre als Vorsitzende des Elternbeirats in der Freisinger Werkstatt engagierte. „In den 70er Jahren war es in Freising und anderswo noch undenkbar, dass Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, dass sie ins Kino gehen oder auch mal einen Stadtbummel machen. Sie kamen im öffentlichen Leben einfach nicht vor, wurden eher versteckt. Die Vorstellung, dass sie selbstbewusst einer Arbeit nachgehen könnten, setzte sich nur langsam durch. In den Werkstätten wurden entsprechend zunächst sogenannte „beschützende Arbeitsplätze“ geschaffen. Das Behüten und Betreuen stand im Mittelpunkt. Die Mitarbeiter wurden eher wie Kinder behandelt. Auch Eltern hatten kaum Mitspracherechte. Sie sollten vielmehr froh und dankbar sein, dass ihr Nachwuchs überhaupt einen Arbeitsplatz bekommen hat. Seither hat sich sehr viel verändert.“ Heute können sich Eltern einbringen und kommen mit ganz anderen Erwartungen in die Werkstätte. Sie wissen um die vielfältigen Möglichkeiten, die integrative Kindergärten und Schulen inzwischen bieten, und erwarten nun auch von den Betrieben in der Region, dass sie Menschen mit Behinderung einstellen. Bei Albert Wittmann, der inzwischen seit gut 10 Jahren die Geschäfte der WfbM führt, stoßen sie mit ihren Anliegen auf offene Ohren. „Wir bemühen uns seit 1994 intensiv darum, Mitarbeitern, die dies wünschen und die die Eignung mitbringen, einen Arbeitsplatz auf dem 1. Arbeitsmarkt zu vermitteln. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Menschen mit Behinderung hat dazu geführt, dass uns dies in den vergangenen Jahren auch immer besser gelungen ist. Die gute Arbeitsmarktlage in Freising hilft ebenfalls sehr. Inzwischen sind Mitarbeiter von uns in Schreinereien, Kindergärten, Betriebsküchen, Bauhöfen und vielen weiteren Betrieben tätig.“ Dass sich die Werkstätten für behinderte Menschen durch dieses Engagement irgendwann mal selbst abschaffen könnten, glaubt Wittmann indes nicht. „Wir freuen uns über jeden, der den Sprung auf den 1. Arbeitsmarkt schafft. Gerade für unsere Mitarbeiter mit etwas schwereren oder mehrfachen Behinderungen wird die Werkstätte aber wohl noch eine ganze Weile der ideale Arbeitsplatz bleiben.“ Hier haben sie die Möglichkeit zu lernen, zu arbeiten und ihre Kontakte zu Kollegen und Freunden zu pflegen. Berufsbildungs- und Arbeitsplätze werden individuell an ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse angepasst. Darüber hinaus können die Mitarbeiter der Werkstatt an verschiedenen „arbeitsbegleitenden Maßnahmen (abM)“ teilnehmen – zum Beispiel an Malkursen, Lese- und Schreibkursen, Musikunterricht, Tanz- und Theater-Workshops, Kochkursen, Computerkursen, Töpferkursen sowie verschiedenen sportlichen Aktivitäten wie Nordic Walking oder Klettern. Die Kurse finden während der regulären Arbeitszeit statt und sollen den Mitarbeitern ermöglichen, bereits erworbene Fähigkeiten zu erhalten oder Interessen und Fähigkeiten neu zu entdecken.
Eine wichtige Veränderung ist allerdings schon in Vorbereitung: Ab 1. Januar 2015 ändert die Werkstätten für behinderte Menschen Erding und Freising GmbH ihren Namen in Isar Sempt Werkstätten GmbH. „Die Betonung, der Fokus auf die Behinderung muss raus aus unserem Firmennamen. Damit wird man unseren Mitarbeitern einfach nicht gerecht,“ begründet Wittmann die Entscheidung.
Dieser Artikel erschien im FINK-Magazin vom November 2014.
In unserer Bibliothek können Sie diese und alle anderen Ausgaben der letzten Jahre online lesen.